„Es ist ein Gefühl von Freiheit, wenn man sich selbstständig von A nach B bewegen kann.“
Interview mit Klara Messner
Klara Messner, die im Alter von 15 Jahren erblindet ist, studiert Wirtschaftspsychologie und lebt in Wien.
Frau Messner, was hat Sie veranlasst, ein Orientierungs- und Mobilitätstraining (O&M) beim Blinden- und Sehbehindertenverband WNB (BSVWNB) zu machen?
Ich bin in einem kleinen Ort in Niederösterreich aufgewachsen. Und als in der WG meiner Schwester ein Zimmer frei geworden ist, bin ich einige Zeit nach der Matura nach Wien übersiedelt. Das war im Jahr 2020. Auch alle meine Freund:innen sind mit der Zeit nach Wien gezogen und es war mir wichtig, möglichst mobil zu sein, um mich mit ihnen treffen zu können und meine regelmäßigen Wege selbstständig machen zu können.
Wie sind Sie zum O&M gekommen? Wie haben Sie sich das Training organisiert?
Zuerst habe ich mich auf der Webseite des BSV WNB informiert. Dann habe ich eine Mail hingeschrieben, um Kontakt aufzunehmen. Daraufhin hat sich gleich eine der O&M Trainer:innen gemeldet und wir haben uns einen Termin ausgemacht. Beim ersten Treffen wurde abgeklärt, wie gut ich bestimmte Grundtechniken beherrsche, wie beispielsweise die Stocktechnik, und was meine ersten Ziele sind, was ich also mit dem O&M erreichen möchte.
Da Sie bereits im Projekt Jugendcoaching waren, konnten Sie sich das O&M ganz unbürokratisch organisieren und mussten dafür keinen Antrag stellen. Was waren Ihre ersten konkreten Ziele?
Ich wohne in der Nähe der Schnellbahnstation Rennweg und ich wollte zunächst einmal mein Grätzl besser kennenlernen. Ich kenne die Gegend noch als Sehende, weil meine Oma hier gewohnt hat. Das ist ein Vorteil, denn dadurch hatte ich schon ein Bild, einen Plan, wie das Ganze aussieht. Allerdings gibt es hier diese große Kreuzung und es war echt hart und immer wieder sehr frustrierend, einen Weg zu suchen, wie ich diese Kreuzung alleine queren könnte.
Bei dieser Kreuzung kommen drei große Straßen, Rennweg, Fasangasse und Ungargasse zusammen, es herrscht fast immer starker Verkehr. Als Fußgänger:in muss man auf abbiegende Fahrzeuge und Straßenbahnen achten.
Es ist so, dass ich um diese große Kreuzung nicht herumkomme. Wenn ich zur Straßenbahn oder Schnellbahn möchte, muss ich über diese Kreuzung gehen. Ich könnte theoretisch mit dem O-Wagen bis Wien Mitte fahren und dort dann in die Schnellbahn einsteigen, aber das ist ein großer Umweg. Wir haben beim O&M viel probiert, wie ich diesen Weg schaffen könnte. Es war so schwierig, dass ich schon aufgeben wollte. Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass ich schnell drüber muss. Dann bin ich aber vor lauter Stress nicht gerade, sondern schief gegangen, das hat mich noch mehr gestresst.
Was hat Sie motiviert, weiter daran zu arbeiten und Ihre Angst zu überwinden?
Wir haben viel probiert und das hat viel Zeit gebraucht. Dann habe ich eine Person kennengelernt, die mich sehr inspiriert hat. Sie ist auch blind und ist alleine von Wien mit dem Zug nach Skandinavien gereist. Ich habe mir gedacht, wenn sie diese lange Fahrt schafft, dann werde ich den Weg über die Kreuzung zur Schnellbahn doch auch schaffen. So war es dann auch. Das ist ein großes Glücksgefühl. Und es motiviert mich, neue Wege zu wagen, die ich mich bisher noch nicht zu gehen getraut habe. Mittlerweile macht mir diese große Kreuzung keinen Stress und keine Angst mehr. (Lacht) Man muss sich halt einfach einmal trauen und es alleine machen.
Was haben Sie mit Ihrer Trainerin noch erarbeitet?
Ich habe gelernt, Straßen- und Schnellbahnen sowie U-Bahnen zu benützen. Dann haben wir Stationen erarbeitet, wo sich mehrere Linien treffen, wie in Wien Mitte oder am Karlsplatz. Immer wenn ich einen Bedarf habe, rufe ich bei der O&M Trainerin an und bitte sie um einen Termin. Ich nenne ihr mein aktuelles Ziel, dann treffen wir uns am vereinbarten Ort und arbeiten daran. So kann ich meinen Radius immer mehr erweitern und ich werde immer selbstständiger.
Welche wichtigen Ziele haben Sie bei Ihrem O&M erreicht?
Es war für mich ein echter Meilenstein, wie ich das erste Mal alleine mit der U1 von Leopoldau zum Karlsplatz gefahren und dort in die 2er Straßenbahn umgestiegen bin, um zu einer Freundin zu fahren. Diese Freundin und alle anderen, die auch dort waren, haben gesagt: „Ur super, dass du das geschafft hast! Wir sind so stolz auf dich!“ Das war so ein gutes Gefühl. (Lacht) Früher habe ich mich nicht so getraut und bin oft mit dem Taxi gefahren, aber das geht halt mit der Zeit ins Geld. Und es ist ein Gefühl von Freiheit, wenn ich mich selbstständig von A nach B bewegen kann.
Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse und Fertigkeiten, die Sie sich beim O&M angeeignet haben?
Also, dass ich mir unterwegs Zeit lasse und wenn möglich, genug Zeit für die Strecke einplane. Und dass es immer eine Lösung gibt. Auch dann, wenn ich beim O&M etwas durchmache, wo ich mir denke: Meine Güte, das ist für mich überhaupt nicht machbar. Es gibt so gut wie immer weitere Optionen, die ich ausprobieren kann. Ich finde es sehr schön, dass sich meine Trainerin immer die Zeit nimmt, um eine möglichst gute und eine möglichst einfache Lösung für mich zu finden. Ich schätze es sehr, dass sie so aufmerksam und lösungsorientiert ist. Wichtig ist auch, dass es zwischenmenschlich passt, dass man sich gut versteht.
Haben Sie Rückschläge erlebt?
Na ja, es kommt schon vor, dass man einen Weg geht und einmal funktioniert es super, und das nächste Mal gefühlt überhaupt nicht. Das ist schon frustrierend. Man denkt sich, das gibt’s doch nicht, ich kann’s ja, aber jetzt geht’s nicht. Solche Tage gibt’s auch, man ist nicht immer gleich konzentriert.
Was hilft Ihnen, sich immer wieder neuen Situationen und Wegen auszusetzen und die damit verbundene Angst zu überwinden?
Mir hilft vor allem, dass ich mir bestimmte Grundfertigkeiten angeeignet habe. Ich weiß, worauf ich achten muss, wenn ich eine Kreuzung mit oder ohne Ampel überquere oder wie ich richtig in eine Straßen- oder Schnellbahn einsteige. Diese Grundfertigkeiten kann ich auch in neuen Situationen anwenden. Hilfreich ist auch, dass ich weiß, dass immer viele Leute unterwegs sind. Wenn ich kurz einmal stehenbleibe, um mich zu orientieren, kommt oft jemand auf mich zu und fragt, ob ich Hilfe brauche. Diese Hilfe nehme ich gerne an, denn ich muss mich ohnehin die ganze Zeit sehr konzentrieren.
Die Unterstützung, die Klara Messner von der BAABSV GmbH erhält, wird vom Sozialministeriumservice (SMS) finanziert.