„Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste.“ - Dieses Zitat der Fotografin Susan Sontag fand an diesem Abend auch bei vielen BesucherInnen Anklang, die sich zum Themenabend unter dem Motto Reisen austauschten. Während einige der Anwesenden fremde Länder lieber auf eigene Faust erkunden, bevorzugen andere Reiseangebote, die sich speziell an blinde und sehbehinderte Reisende richten. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie sich ihr Fernweh - trotz mancher Schwierigkeiten -, nicht nehmen lassen.
Im Nachtzug nach Venedig
Veronika und Franz erzählen zu Beginn des Abends von ihrer gemeinsamen Reise nach Venedig. Beide kennen die Lagunenstadt bereits von früheren Urlauben, haben sich aber diesmal dazu entschieden, ohne sehende Begleiter nach Italien zu reisen. Um im Zug den richtigen Platz zu finden, nutzen die beiden eine Einstiegshilfe. Bereits vor der Reise nimmt Veronika, die selbst Italienisch spricht, außerdem Kontakt zum italienischen Äquivalent des Blindenverbandes auf. Für fünf Euro pro Stunde wird ihnen eine sehende Begleitung zur Verfügung gestellt. Da jeden Tag eine neue Begleitung die Führung übernimmt, lernen die beiden die Stadt von vielen verschiedenen Seiten kennen. Um sich auch allein zurecht zu finden, nutzt das Paar auch Navigationsgeräte, die allerdings nicht ganz zielsicher funktionieren. Doch auch wenn die Orientierung manchmal schwierig wird, wie etwa auf großen Plätzen, bleiben beide geduldig.
„Wichtig ist es, zu erleben, wie sich die Stadt anfühlt. Nicht so wichtig ist, ob man pünktlich irgendwo ankommt“, ist Franz überzeugt.
Barrierefreie Hotels
Petra und Bruno zieht es bei ihrer bislang letzten Reise an jenen Ort, wo sich das Paar kennengelernt hat, nach Saulgrub in Oberbayern. Dort bietet das AURA Hotel Urlaub ohne Barrieren an und richtet sich mit seinem Angebot speziell an blinde und sehbehinderte Menschen. Da Petra und Bruno gerne wandern, schätzen sie die Zwei-zu-eins-Begleitung bei Ausflügen. Auch ansonsten hat das Hotel individuelle Gästebetreuung, die blinde Gäste beim Mittagsbüffet, bei Zugreservierungen oder beim Schreiben von Postkarten unterstützt. Auch Seminare und Kurse für blinde Personen werden angeboten. Ein eigenes Schwimmbad, Sauna, Fitnessraum, eine Hörbuchbibliothek und ein Hilfsmittelshop runden das barrierefreie Angebot ab. Petra und Bruno schätzen das gute Preis-Leistungs-Verhältnis in Saulgrub und verbringen gerne Weihnachten und Silvester im barrierefreien Hotel.
Auch Wolfgang erzählt von seinen Urlauben, und zwar im Gästehaus Stubenberg in der Steiermark. Dort gibt es allerdings keine zusätzliche Gästebetreuung, weshalb er empfiehlt, mit einer sehenden Person gemeinsam zu verreisen. Im Dorf gibt es jedoch BegleiterInnen, die für Spaziergänge und Wanderungen gebucht werden können. Der Weg zum See birgt für blinde Gäste Schwierigkeiten, da eine Schnellstraße überquert werden muss. „Generell gibt es nur mehr sehr wenige Erholungseinrichtungen für blinde Menschen“, bedauert Wolfgang.
Geführte Reise in der Gruppe
Auch Marcel ist bereits viel in der Welt herumgekommen und teilt seine Reiseerlebnisse mit den Anwesenden. Mit „VisionOutdoor“, einem Anbieter von geführten Reisen für blinde und sehbehinderte Menschen, erkundet Marcel Südafrika. Das Abenteuer beginnt für ihn schon bei der Anreise, die man bei dieser geführten Gruppenreise alleine antreten muss. Nach zwei Zwischenstopps landet Marcel in Johannesburg und tritt dort gemeinsam mit anderen Reisenden seine Tour an – leider ohne sein Gepäck, das erst später eintrifft. Deshalb hat er gleich einen Tipp für andere Reiselustige parat: Am besten mit einer einzigen Fluglinie anreisen. Das verringert die Gefahr, dass die Koffer verloren gehen. „VisionOutdoor“ empfiehlt Marcel vor allem wegen der guten Betreuung, die auf die Bedürfnisse von blinden Menschen zugeschnitten ist. „Man sollte auf jeden Fall auch gruppentauglich sein, um die Reise genießen zu können“, gibt er noch zu bedenken.
Neben „VisionOutdoor“ hat sich auch der Anbieter „Schottland für alle“ auf Gruppenreisen für blinde und sehbehinderte Menschen spezialisiert. Grete und Theo haben mit „Schottland für alle“ bereits das Baltikum und Georgien bereist und teilen ihre Reiseerinnerungen beim Themenabend. Anders als „VisionOutdoor“ sind die Gruppen bei „Schottland für alle“ gemischt und setzen sich aus blinden Menschen, aber auch Menschen mit einer anderen Form der Beeinträchtigung, zum Beispiel RollstuhlfahrerInnen, zusammen. Die jeweiligen Bedürfnisse sind dabei oft schwer kompatibel, dennoch blicken Grete und Theo auf sehr interessante Reisen zurück. „Ein Vorteil bei ‚Schottland für alle‘ ist die Reisegarantie. Das heißt, die Reise kommt immer zustande, egal wie viele Menschen buchen“, erklärt Theo.
Auf eigene Faust ins Abenteuer
„Ich bin 59 und reise seit 56 Jahren“, sagt Mahendra über sich selbst.
Obwohl er bereits seit seiner Kindheit blind ist und auch seine Frau Adina nicht sehen kann, reisen die beiden sehr gerne und lieben die Spontaneität. So zieht es sie immer wieder in neue Städte und Länder, und das ganz ohne sehende Begleitung. Vor Ort haben sie einige Tricks, um sich zurecht zu finden. So nutzen sie Navigationshilfen und suchen den Kontakt zu anderen Menschen, die ihnen im Notfall helfen. Auch die Visitenkarte des Hotels haben sie immer dabei, wenn sie nach dem Weg fragen. Am liebsten nutzen Mahendra und Adina an einem neuen Ort die öffentlichen Verkehrsmittel, weil sie dort gut neue Kontakte mit anderen Fahrgästen knüpfen können. Für das Reisen empfiehlt Mahendra vor allem viel Geduld, Humor und ein offenes Wesen. Sein Ziel, mindestens ein Land mit jedem Anfangsbuchstaben des Alphabets zu bereisen, verfolgt er weiterhin mit viel Elan.
Kreuzfahrt auf hoher See
Dominik, der sehbehindert ist, hat schon mehrere Kreuzfahrten unternommen und findet viele Vorteile an dieser Art des Reisens. „Bei einer Kreuzfahrt habe ich mein Quartier immer dabei und finde mich gut zurecht“, erklärt er. Auch die kürzeren Landausflüge lassen noch viel Zeit zur Erholung frei. Die Leute am Kreuzfahrtschiff zeigen sich, laut Dominik, sehr hilfsbereit. Vor allem die Aida mit deutschsprachiger Besatzung kann Dominik sehr empfehlen.
Und damit wird das Publikum, angetan von den Schilderungen der Reisenden, in den weiteren Abend entlassen. Die Liste der Reiseziele dürfte dabei, an Susan Sontag Beispiel nehmend, bei einigen BesucherInnen ein Stück länger geworden, und das allgemeine Fernweh deutlich angewachsen sein.