Aktuelles
„Alle Menschen haben das Recht ins Kunsthistorische Museum zu kommen“
KHM und ARCHES
Unter Ihrer Leitung, Frau Dr. Krall, hat das Kunsthistorische Museum in Wien, neben anderen renommierten Museen in London, Madrid und Oviedo, beim EU Projekt ARCHES mitgemacht. Warum?
Weil alle Menschen das Recht haben hereinzukommen. Und wenn einer, symbolisch gesprochen, eine Hand dafür braucht, dann reicht man ihm diese Hand. Dann stellt man einem Menschen, der blind ist, einen tastbaren Museumsplan zur Verfügung und Beschreibungen der Kunstobjekte, die genau seinen Bedürfnissen entsprechen. Personen, die gehörlos sind oder Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen wiederum eine andere Form von „Hand“, um sich die Kunstschätze selbstbestimmt erschließen zu können.
Es geht um Inklusion. Es geht darum, andere nicht mehr auszugrenzen.
Es ist enorm wichtig, dass wir das auf digitaler Basis machen, denn es gibt immer mehr digitale Hilfsmittel, die es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, ihr Leben zu meistern.
Die barrierefreie Museums-App, ein Ergebnis des Projektes ARCHES, stellt 20 Kunstwerke aus den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums vor. Diese Anwendungssoftware für Mobilgeräte funktioniert auf allen gängigen Betriebssystemen und digitalen Plattformen. Was bietet mir diese App, wenn ich blind oder sehbehindert bin?
Abgesehen davon, dass ich verschiedene Schriftgrößen und Schriftfarben wählen kann, werden die Kunstobjekte in einer lebendigen, empathischen Weise beschrieben. Nur so kann sich jemand, der nichts sieht, eine emotionale Vorstellung davon machen. Denn was fängt ein blinder Mensch mit der Information an, dass im Vordergrund ein Mädchen steht? Ich muss also bei den Bildbeschreibungen, bei den Objektbeschreibungen ganz anders vorgehen als ich es als Kunsthistorikerin gelernt habe. Was sonst mit den Augen wahrgenommen wird, muss ich mit Worten möglichst genau beschreiben und lebendig werden lassen. Auch Stimmungen werden in einer sehr anschaulichen Weise vermittelt, wie sie üblicherweise in der Fachsprache verpönt sind. Das mache ich gerne und das hat meine Tätigkeit ungemein bereichert. Aber es ist auch eine große Herausforderung.
Sie sind seit dem Jahr 2010 als Kunstvermittlerin für Menschen mit Behinderungen tätig. Wie aber haben Sie sich diese Art der Objektbeschreibung angeeignet, die Menschen mit einer Sehbehinderung überhaupt erst einen Zugang zu den Kunstobjekten ermöglicht?
Ich sag’s ganz offen, mich hat Frau Papst dabei unterstützt (lacht). Sie war die erste blinde Person, die ich damals kennengelernt habe und sie hat mich derart sensibel in diese Materie eingeführt. Sie war zu der Zeit noch am Bundesblindeninstitut (BBI) tätig. Ich erinnere mich noch gut an unseren ersten gemeinsamen Besuch im KHM vor zehn Jahren, wo wir ein Objekt für ein Tastrelief ausgesucht haben. Ich habe einige Bilder beschrieben und an ihren Reaktionen gemerkt, was ihr fehlt, was sie braucht, damit sie sich etwas vorstellen kann. Dann muss man es immer wieder tun, die Übung bringt’s.
13 Gemälde und sieben dreidimensionale Kunstobjekte wurden für die barrierefreie Museums-App ausgewählt. Die Informationen über die Kunstwerke sind für Menschen, die blind sind, äußerst detailreich und werden vorgelesen. Jene für Menschen mit Lernschwierigkeiten sind in einfacher Sprache geschrieben. Und für Personen, die hörbeeinträchtigt sind, stehen Filme in Gebärdensprache zur Verfügung. Wie ist man bei dem Projekt ARCHES, das gut zwei Jahre gedauert hat, vorgegangen, um diesen unterschiedlichen Anforderungen in einer einzigen App gerecht zu werden?
ARCHES ist ein partizipatives Projekt. Das bedeutet, dass von Anfang an Menschen mit Behinderungen teilgenommen haben.
Jedes der sechs Museen hat also Personen gesucht, die entweder seh- oder höreingeschränkt oder kognitiv beeinträchtig sind und bereit waren, mitzuarbeiten.
Wir Museumsleute haben aber auch mit IT TechnikerInnen und BildungswissenschafterInnen zusammengearbeitet und uns untereinander immer wieder ausgetauscht. Es hat viele Treffen, Workshops und Videokonferenzen gegeben.
In Wien haben rund 20 Menschen mit Behinderungen bei ARCHES mitgemacht und sich regelmäßig getroffen. Eva Papst, was hat Sie veranlasst beim Projekt mitzumachen und Ihr Wissen einzubringen, wie Kunstwerke Menschen, die blind oder sehbehindert sind, am besten vermittelt werden können?
Ich habe nicht gewusst, dass man auf diese Art und Weise einen Zugang zur Malerei bekommen kann. Dass ich einen Bezug zu einem Kunstwerk bekommen kann, das ich nie gesehen habe. Wenn mir jemand sagt, auf dem Bild ist die Madonna mit Kind dargestellt, dann sagt mir das sehr wenig. Aber diese Museums-App vermittelt mir nicht nur eine detailreiche Bildbeschreibung, sondern auch viele Hintergrundinformationen über den Maler, die Zeit, die Symbolik und den Stil. Und auch die Stimmung des Bildes wird mir vermittelt. Als blinde Person werde ich mir nie ein ganz realistisches Bild von einem Kunstwerk machen können, aber so erhalte ich einen Einblick auf dem Gebiet der Malerei, der bildenden Kunst, den man als blinder Mensch sonst gar nicht hätte.
Die meisten Menschen, die sehen können, kommen vermutlich nicht einmal auf die Idee, dass eine Person, die blind ist, überhaupt ins Museum gehen möchte. Wieso, Frau Papst, machen Sie das?
Ich bin überhaupt nicht der Typ, der ständig ins Museum rennt. Ich genieße diese Museums-App auch gern zuhause. Aber im Rahmen des Projektes ARCHES hatten wir viele Führungen im KHM. Und bei jeder Führung haben wir uns intensiv mit zwei oder drei Bildern auseinandergesetzt. Da ist mir klar geworden, dass es natürlich etwas ganz anderes ist, ob ich mich zuhause mit der App auseinandersetze oder ob ich im Museum eine Führung mache. Denn dabei tauchen viele Fragen auf und die KunstvermittlerInnen können darauf eingehen.
Die Menschen mit Behinderungen, die am Projekt ARCHES teilgenommen haben, haben sich über zwei Jahre lang regelmäßig zu dreistündigen Workshops getroffen. Es sind also Menschen zusammengekommen, die eine Seh-, eine Hör- oder eine Lernbehinderung haben.
Das war sehr spannend, denn da waren Menschen, die mit Sprache nicht so jonglieren können. Für blinde Leute ist die Sprache aber das Allerwichtigste. Bei den Führungen haben die KunstvermittlerInnen die Leute mit Lernbehinderungen animiert, ein Bild zu beschreiben. Ich bin ganz kribbelig und ungeduldig geworden, weil sie so lange brauchen, bis sie einen Satz herausbringen, den du verstehst und der auch einen Inhalt hat. Das erfordert viel Geduld, das war für uns sehr anstrengend.
Ich sage das bewusst so direkt, denn es hat einige Zeit gedauert, bis wir gelernt haben, miteinander umzugehen, sich zu verständigen und auf andere Rücksicht zu nehmen, die völlig andere Bedürfnisse haben als man selbst.
Natürlich habe ich auch bemerkt, dass es für die TeilnehmerInnen mit Lernbehinderung total schwierig war zu verstehen, warum wir alles erklärt haben wollten, wo doch eh alles klar ist, wo doch eh jeder sieht, worum es geht.
Es wurden 30 Workshops mit TeilnehmerInnen mit Behinderungen abgehalten, die von Ihnen, Frau Dr. Krall, und Ihren Kolleginnen geleitet wurden.
Die größte Herausforderung bestand für mich darin, die Gruppe emotional zusammen zu halten, das Interesse wach zu halten. Die Leute immer wieder zu motivieren, weiterzuarbeiten, dranzubleiben. Meine Kolleginnen und ich haben die Workshops vorbereitet und nachbesprochen. Wir konnten außerdem nicht ständig nur theoretisch arbeiten. Wir haben uns für jeden Workshop auch ein kreatives Angebot überlegt. Es wurde also auch gemalt, gezeichnet oder mit Ton gearbeitet.
Haben Sie als Teilnehmerin Durststrecken erlebt, Frau Papst?
Ja, vor allem am Anfang. Da haben wir uns schon manchmal gefragt, ob es überhaupt sinnvoll ist, Menschen mit so unterschiedlichen Behinderungen und Bedürfnissen zusammenzuwürfeln. Aber im Laufe der Zeit ist dieses Gefühl verschwunden. Ich bin öfters zu den Leuten mit Lernbehinderungen hingegangen. Ich habe gefragt, was machst du da gerade? Einige von ihnen waren künstlerisch tätig, haben gemalt. Und einige von ihnen sind dann auch zu uns gekommen und haben gefragt, warum wir einen Museumsplan brauchen, den wir mit den Fingern ertasten. Wir haben ihnen erklärt, dass wir uns im Museum mit dem Langstock leichter orientieren können, wenn wir vorher den Plan abgetastet haben. Also man braucht viel Zeit. Es dauert einfach, bis die Gruppe zusammenwächst.
Denn zuerst ist man ja einmal mit sich selbst beschäftigt, was ist meine Aufgabe, was trage ich zum Projekt bei, wo bin ich gerade gefordert.
Dann erst kann ich mehr auf die anderen eingehen. Und es war ja auch so, dass wir Menschen mit Sehbehinderung uns nicht immer einig waren. Jemand, der von Geburt an blind ist, braucht etwas anderes als jemand der erst später erblindet. Deshalb ist der Dialog so wichtig, deshalb ist es so wichtig, die Zielgruppe einzubinden, wenn man so eine App macht. Am Ende des Projekts gab es eine kleine Abschlussfeier. Alle waren sehr glücklich. Wir haben viel gearbeitet, auch viel gelitten, aber es war ein absolut sinnvolles Projekt.
Vielen Dank für diese Einblicke in das Projekt ARCHES sowie in die Entstehungsgeschichte der inzwischen dreifach ausgezeichneten Museums-App.
Links zur ARCHES Museums-App für das KHM
Audio der von Eva Papst gestalteten Einführung in die Museums-App
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