Portraits
Anderen eine Stimme leihen
Ein Portrait
Es geht aber nicht nur um Sprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch oder die Muttersprache Deutsch, sondern auch um Programmiersprachen wie HTML, CSS, PHP oder javascript. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin mit einem Faible fürs Programmieren setzt sich seit Jahren für die Barrierefreiheit im Internet ein. Sie testet, ob Webseiten für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich sind, und in Workshops vermittelt sie ProgrammiererInnen, unter welchen Voraussetzungen eine blinde Person unbehindert im Netz surfen kann. Als akademische Übersetzerin ist sie auf kulturgeschichtliche und psychologische Fachliteratur spezialisiert. Da wie dort geht es darum, zu vermitteln, zu übersetzen und neue Welten zu erschließen.
Bereits in der Schulzeit übernimmt Susanne Buchner-Sabathy im Familien- und Freundeskreis kleine Übersetzungsarbeiten. Doch erst viele Jahre später, erst nach einer einschneidenden, nach einer dramatischen Lebenserfahrung, wird das Übersetzen für sie zum Beruf. Heute ist sie für Museen tätig und übersetzt Ausstellungskataloge. Aber auch Artikel und Vorträge für PsychoanalytikerInnen. Meist aber sind es Bücher. Für eines, das die Geschichte der Theater in Paris, London und Wien im 19. Jahrhundert beschreibt, erhält sie 2009 den Raymond-Aaron-Preis, einen renommierten Übersetzerpreis. In diesem Frühjahr erscheint ein Buch des englischen Psychoanalytikers Michael Parsons, das Susanne Buchner-Sabathy aus dem Englischen ins Deutsche übertragen hat. Fast ein Jahr hat sie sich mit dem 350 Seiten starken Buch beschäftigt. Zu übersetzen, das bedeute für sie, ihre Stimme, ihre Ausdrucksfähigkeit im Deutschen einer anderen Person zu leihen.
„Aber damit das funktioniert, muss ich beim Übersetzen in einen engen Kontakt mit der Autorin oder dem Autor kommen. Dieser gedankliche Kontakt muss da sein, auch wenn ich die Person nicht kenne. Und was die LeserInnen betrifft, möchte ich, dass sie das Buch oder den Artikel, dass sie meine Übersetzungen mit Genuss und Befriedigung lesen.“
Wissbegierig, kontaktfreudig, behütet
Die eigene Freude am Lesen wird der gebürtigen Steirerin gleichsam in die Wiege gelegt. Sie wächst in einer Buchhändlerfamilie in Fürstenfeld auf. Das Geschäft, das sich mitten in der Stadt befindet, wird bereits in der fünften Generation von der Familie Buchner geführt. Die Eltern, die drei Geschwister und Susanne lesen leidenschaftlich gern. „Es war aber nicht nur das Lesen. Es war auch diese sinnliche Umgebung, also wie die Bücher riechen und wie sich ihr Umschlag anfühlt. Das waren sehr starke Eindrücke in meiner Kindheit.“
Nach den Vorstellungen der Volksschullehrerin hätte das Kind weder eine Leseratte noch ein Büchermensch werden sollen. Es hätte auch nicht die Volksschule, sondern die Sonderschule besuchen sollen, da es eine Sehbehinderung hat. Die Eltern wehren sich, denn in der Sonderschule wäre ihr sehbehindertes Kind damals, zu Beginn der 1970er Jahre, nicht entsprechend gefördert worden, sondern bloß am Abstellgleis gelandet. Auch in der Volksschule wird das intelligente Mädchen nicht unterstützt, die Lehrerinnen zeigen keinerlei Verständnis. „Die Zeit in der Volksschule war wirklich hart für mich. Obwohl ich in der ersten Reihe saß, konnte ich auf der Tafel nichts lesen. Ich musste also immer aufstehen, zur Tafel gehen, schauen was dort steht, es mir merken, zurück auf meinen Platz gehen und ins Heft schreiben. Das sorgt halt für eine gewisse Unruhe, die mir meine Lehrerinnen übelnahmen.“ Die Lehrerinnen versagen, aber die Klassenkolleginnen lassen Susanne nicht im Stich. Sie flüstern ihr zu, was auf der Tafel steht und nehmen in Kauf, dass sie geschimpft und getadelt werden, weil sie angeblich schwätzen.
„Ich habe es damals so empfunden und empfinde es heute noch so, dass ich in dieser Klasse getragen, dass ich von den Gleichaltrigen unterstützt wurde.“
Die Kinder halten zusammen, die Lehrerinnen setzen sich für Zucht und Ordnung ein. So dürfen sich die Kinder in der Pause am Schulhof nicht frei bewegen, sondern müssen in Zweierreihen im Kreis gehen. In der Mitte steht die Schulwartin oder Lehrerin und hält einen langen Bambusstab in der Hand. Wer aus der Reihe tanzt, bekommt die kleine Lederkugel zu spüren, die vorne am Stab angebracht ist.
Die Volksschullehrerin will auch verhindern, dass Susanne ins Gymnasium geht. Wieder wehren sich die Eltern und setzen durch, dass ihre Tochter zur damals erforderlichen Aufnahmsprüfung fürs Gymnasium antreten kann. Eine neue Zeit bricht für das wissbegierige und lernfreudige Mädchen an. „Ich bin im Gymnasium aufgeblüht.“ Dort gibt es Gleichaltrige, die auch an vielem interessiert sind und Lehrkräfte, die erkennen und wertschätzen, wie begabt die Gymnasiastin ist. Wie aber ist es ihr möglich, mit ihrem geringen Sehvermögen mit den anderen mitzuhalten?
„Mein einziges Hilfsmittel war eine Lupe. So eine Lupe wie man sie verwendet, wenn man Briefmarken sortiert. Es war natürlich sehr herausfordernd und anstrengend, nur mit dieser Lupe zu lesen, zu schreiben oder mathematische Aufgaben zu lösen. Aber ich konnte mich geistig entfalten, mich hat das Lernen so gefreut und fasziniert und das tut es noch heute.“ (Lacht)
Lernen sei zutiefst befriedigend und beglückend für sie. Dies erlebe sie besonders intensiv, wenn sie an einer Übersetzung arbeite. „Mein Mann sagt immer, wenn ich etwas zum Übersetzen habe, werden bei mir Glückshormone ausgeschüttet, er nennt sie ‚Translatine‘“. (Lacht) Die beiden begegnen sich zum ersten Mal in ihrer Studienzeit in Graz, er studiert damals Technische Mathematik, sie Allgemeine Sprachwissenschaft.
Neues wagen
Die Studentin der Sprachwissenschaft engagiert sich in einem Projekt, das sich mit Deutsch als Fremdsprache beschäftigt. Auf die Theorie folgt die Praxis. Zweimal geht die junge Frau im Sommer nach Rumänien. In Alba Julia lernen angehende Priester bei ihr Deutsch, um auch die Angehörigen der deutschen Minderheit seelsorglich betreuen zu können. Als die Steirerin ihr zweites Studium abschließt, bewirbt sie sich für eine Stelle an der Universität Poznan in Polen. Am Institut für Germanistik soll sie Deutsch und österreichische Literatur unterrichten. Sie wartet auf eine Antwort. „Knapp bevor ich die Zusage erhalten und den Posten angetreten habe, habe ich mich in meinen späteren Mann verliebt.“ Der Abschied fällt schwer. Zu Beginn der 1990er Jahre muss die Sprachlehrerin noch in die Telefonzelle gehen, um mit ihrem Freund reden zu können. Das frisch verliebte Paar schreibt sich auch viele Briefe. „Ich habe mit der Lupe Briefe geschrieben und mit der Lupe seine Briefe gelesen. Es gibt noch immer Kartons voller Briefe von damals.“ (Lacht herzlich)
Drei Jahre unterrichtet Susanne Buchner-Sabathy an der Universität in Poznan. Was motiviert sie, ihre vertraute Umgebung immer wieder zu verlassen und in Polen und Rumänien Deutsch zu unterrichten oder in Frankreich Sprachkurse zu belegen?
„Es war natürlich schon herausfordernd, weil ich stark sehbehindert war. Aber ich wollte andere, neue Menschen kennenlernen und ich wollte schauen, wie es mir in einer ganz anderen Umgebung geht. Ich bin sehr behütet aufgewachsen, meine Eltern haben mich sehr unterstützt, sie waren aber auch sehr besorgt um mich. Meine Sehbehinderung hat mich also schon in meiner Entdeckerfreude gebremst. Für mich als junge Frau waren diese Auslandsaufenthalte eine Möglichkeit, meine behütete Umgebung zu verlassen und mich in einem neuen Kontext auszuprobieren. Das alles war sehr spannend, sehr lohnend für mich. Ich bin sehr froh, dass ich diese Chance genutzt habe, diese Chance für ein persönliches Wachstum.“
Zurück aus Polen, lässt sich Susanne Buchner-Sabathy in Wien nieder. Bei der Akademie der Wissenschaften arbeitet sie an einem großen Projekt mit. Dort wird ein Wörterbuch zur satirischen Zeitschrift Die Fackel von Karl Kraus erstellt. Später wechselt sie zur Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH, wo sie im Informationsmanagement tätig ist und Fachpublikationen betreut. In dieser Zeit verschlechtert sich das Sehvermögen stark. Es folgen mehrere Augenoperationen.
Wenn alles ins Wanken gerät
Aufgrund einer genetisch bedingten Augenerkrankung muss die promovierte Sprachwissenschaftlerin zwar damit rechnen, dass das Sehvermögen im Alter von ungefähr vierzig Jahren stark abnehmen wird, aber vorbereiten könne man sich darauf nicht. „Ich habe damals wirklich das Gefühl gehabt, ich falle aus meinem Leben heraus.“ Ganz stimmt es nicht, denn die privaten Beziehungen zerbrechen nicht an diesem dramatischen Ereignis. Sie halten und sie geben Halt.
„Aber es war alles so fremd, alles so anders. Allein dass ich am Tisch sitze und plötzlich nicht mehr sehen kann, was auf meinem Teller ist, ist eine dramatische Verlusterfahrung.“
Bei ihrem letzten Krankenhausaufenthalt spricht Susanne Buchner-Sabathy dies beim Entlassungsgespräch an und meint, dass man es doch nicht dabei belassen könne. Der Arzt erwidert nur: „Sie sind erblindet, das wird so bleiben.“ Mit dieser Bemerkung wird die Patientin entlassen.
Die Worte des Arztes versetzen Susanne Buchner-Sabathy einen Schock. Wie soll, wie kann es weitergehen? Wie kann sie mit diesen Verlusten leben? Ihr Mann, ihre Familie und FreundInnen sind für sie da und unterstützen sie. Aber den Weg ins neue Leben muss sie selbst finden. Sie recherchiert, wo sie Hilfe erhalten könnte. Wendet sich an den Blinden- und Sehbehindertenverband, lernt, mit dem weißen Stock zu gehen und die alltäglichen Dinge neu zu tun. Das ist der Anfang. Wichtig und bedeutsam sind noch zwei weitere Entscheidungen. Die leidenschaftliche Leserin erlernt die Brailleschrift. Und die in ihren Grundfesten Erschütterte ringt sich durch, eine psychotherapeutische Unterstützung zu suchen. „Das war für mich sehr schwierig. Ich habe gezögert, eine Psychotherapie zu machen, ich habe mich sogar geschämt. Erst später habe ich begriffen, wie wichtig und heilsam dieser Schritt für mich war. Und dass es ein Zeichen von Stärke ist, um Hilfe zu bitten.“
Die professionelle Begleitung hilft dabei, den dramatischen Verlust zu bewältigen und sich den unterschiedlichen Gefühlen zu stellen, die damit einhergehen. Die Brailleschrift ermöglicht wieder den Zugang zu Büchern, zur Literatur und sie eröffnet neue berufliche Perspektiven. Susanne Buchner-Sabathy beginnt professionell als Übersetzerin zu arbeiten.
Wie schaut sie heute, viele Jahre nach ihrer Erblindung, auf ihr Leben?
„Mit großer Dankbarkeit. Es hat sich damals sehr viel verändert. Mein Leben heute ist anders als das Leben, das ich verloren habe. Aber es ist kein schlechteres. Im Gegenteil, ich führe ein glückliches und ausgefülltes Leben. Die Erblindung und das Leben mit der Blindheit ist ein wichtiger Teil meiner Geschichte, aber es ist bei Gott nicht die ganze Geschichte. Es gibt so viel mehr Dinge, die mich ausmachen und die mich zu der gemacht haben, die ich bin.“
Dazu zählen nicht nur die Bücher und das Lesen, die Reisen und Auslandsaufenthalte. Dazu gehören Beziehungen, Freundschaften, Interessen. Vor allem die Musik. Der Vater vermittelt ihr schon in jungen Jahren die Liebe zur klassischen Musik, als Kind lernt sie Klavier spielen. Das Repertoire wird im Lauf der Zeit größer, nach der Erblindung wendet sie sich dem Jazz zu und nimmt Unterricht in Jazz Piano. Sie hat Freude am Gärtnern. Im Elternhaus ihres Mannes, in der Nähe von Pöllau in der Steiermark, verbringt das Paar oft seine freie Zeit und pflegt den Garten, den die Mutter und Großmutter ihres Mannes angelegt haben. Ein Garten, wo Kräuter und Paradeiser wachsen, Beeren reifen und Sträucher blühen und verblühen, wo Beständigkeit und Veränderung gleichermaßen erfahrbar sind.
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