Portraits
Blind & smart
Am Mittwoch, dem 24. April fand im Louis Braille Haus in der Hägelingasse 4-6 in Wien das erste Treffen statt.
Braille Schrift, ist das was für mich?
Diese Frage stand für Susanne Buchner-Sabathy und Margarete Waba im Mittelpunkt des ersten Treffens. Es ist keineswegs so, dass alle, die blind sind oder nur noch sehr wenig sehen, die Braille Schrift verwenden. Wie unterschiedlich die Zugänge sein können, wird schon bei den beiden Leiterinnen des Angebots deutlich. Beide sind von Geburt an stark sehbehindert. Margarete Waba erlernte die Braille Schrift bereits als Kind in der Schule. Susanne Buchner-Sabathy eignete sich diese Kulturtechnik erst als erwachsene Frau an.
Für beide aber gilt: „Die Braille Schrift ist für uns sehr, sehr wichtig. Braille lesen und schreiben zu können ist für ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben von zentraler Bedeutung.“
So möchten die zwei Frauen alle Interessierten ermutigen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Braille Schrift etwas für sie sei. Sie möchten die Vorteile aufzeigen, sich aber genauso mit den Widerständen beschäftigen, die dem Erlernen der Braille Schrift mitunter entgegengebracht werden.
Susanne Buchner-Sabathy besuchte eine Regelschule, allerdings war das damals keine Inklusionsklasse. Sie vermutet, dass die Lehrkräfte gar nicht in der Lage waren, sich ein zutreffendes Bild von ihrem stark eingeschränkten Sehvermögen zu machen. Über Hilfsmittel wie Lesegeräte wusste sie nicht Bescheid. So waren die Schulzeit und das Studium oft sehr anstrengend. Ihre ererbte Augenerkrankung ist jahrelang nur langsam fortgeschritten, doch nach einem Schub erblindete sie am rechten Auge und das linke war ebenfalls stark betroffen.
Wenn sich das Sehvermögen in kurzer Zeit verändert, verändert sich vieles im Leben. Das weiß Susanne Buchner-Sabathy aus eigener Erfahrung. „Diese Übergangsphasen, wenn man merkt, dass man viel weniger oder gar nichts mehr sieht, sind sehr schwierig und mit vielen Fragen verbunden. Bei unserem ersten Treffen besprachen wir, wie Braille dazu beiträgt, das Leben einfacher zu machen. Und auch was einen davon abhält, sich damit zu beschäftigen.“ Sie erinnere sich gut, sie wollte die Braille Schrift zunächst gar nicht erlernen. „Ich brauch‘ das doch nicht, ich bin doch nicht blind. Ich wollte nicht blind sein und ich wollte auch nichts mit der Community der blinden Menschen zu tun haben.“ Doch dann begegnete sie einem Menschen, der blind ist und die Braille Schrift mit großer Freude nützt und vermittelt. „Aus heutiger Sicht finde ich, dass ich die Blindenschrift zu spät erlernt habe, dass ich mich viel zu lange geplagt habe. Es hat mein Leben so erweitert und bereichert. Man kann in dieser Hinsicht sehr viel von anderen blinden Menschen lernen.“
Diese persönlichen Erfahrungen fließen in das Angebot ein, dies ist den beiden Kursleiterinnen sehr wichtig.
Margarete Waba: „Es macht einen Unterschied, ob man die Braille Schrift von jemandem lernt, der diese Technik im Alltag selbst nutzt, oder von jemandem, der sie zwar vermitteln kann, aber nicht selbst verwendet. Wir wissen genau, welche Schwierigkeiten es zu überwinden gilt, wenn man als sehbehinderter Mensch die tastbare Schrift im Erwachsenenalter erlernt.“
Es ist nie zu spät, diese Fertigkeit zu erwerben, wie das Beispiel einer 93-jährigen Schülerin von Susanne Buchner-Sabathy zeigt. Und es ist unabhängig davon, über welche Schulbildung man verfügt. Es steht fast jedem Menschen offen, diese tastbare Punktschrift zu erlernen, entscheidend ist nur, ob man es tun will. Manche brauchen länger dafür als andere, aber Grundkenntnisse lassen sich verhältnismäßig schnell erwerben. „Ich habe Kurse angeboten, die zwölf Termine hatten. Manche haben in dieser Zeit das ganze Alphabet gemacht. Andere haben nur einige Buchstaben erlernt, aber das ist bereits ein guter Anfang und wenn man will, kann man danach selbstständig weiterlernen. Außerdem ist es ein großes Erfolgserlebnis, in einer schwierigen Lebenssituation eine neue Fertigkeit zu erwerben, die einem hilft, im Alltag besser zurecht zu kommen.“
Ausprobieren und etwas Neues wagen: Der Braille Schrift eine Chance geben
Es hängt natürlich davon ab, wie viel man bereit ist zu üben, wie gut es einem gelingt, die Punkte zu ertasten und in welchem Lebensalter man damit beginnt. Margarete Waba: „Wenn man spät erblindet, denn ist das Tastempfinden nicht so ausgeprägt. Man ist es nicht gewohnt, sich aufs Tasten zu verlassen. Man glaubt, dass man es nicht kann.“ Aber es hat zweifellos viele Vorteile, sich mit der Braille Schrift zu beschäftigen, auch in einem fortgeschrittenen Alter. Denn wer blind oder sehr stark sehbehindert ist und die Buchstaben in Braille kennt, kann die Aufschriften auf der Medikamentenschachtel, im Lift, in Museen oder auf diversen Verpackungen lesen. Kann die Gewürze und Lebensmittel in der Küche kennzeichnen, kann sich Informationen aus Zeitschriften und Büchern holen und sich schnell Notizen machen, kann also im besten Fall wieder schreiben und lesen. Aber es gehe gar nicht so sehr darum, dicke Bücher zu lesen, so Margarete Waba: „Es geht darum, dass ich kurze Informationen, die in Braille dargestellt sind lesen kann und dass ich es im Alltag leichter habe. Und diesen kleinen Erfolg kann man sehr schnell kriegen.“
Und schließlich gehe es auch darum, die Welt tastend zu erfahren und zu erkennen sowie Informationen tastend aufzunehmen, findet Susanne Buchner-Sabathy.
„Ich bin selbst spät erblindet. Ich weiß, es ist ein ganz schwieriger Schritt, vom Sehsinn loszulassen und sich darauf einzulassen, andere Sinne, also den Tastsinn und den Gehörsinn, für Bereiche zu verwenden, für die man früher den Sehsinn zur Verfügung hatte.“
Es gibt natürlich Hilfsmittel, die ein blinder Mensch nutzen kann, um sich etwas vorlesen zu lassen. Doch diese Hilfsmittel würden nicht die Fähigkeit ersetzen, lesen und schreiben zu können, davon sind die beiden Leiterinnen von blind & smart überzeugt. Es braucht beides. Moderne Technologien wie Computer, Smart Phone oder Kameras mit Sprachausgaben und die Kenntnis der Braille Schrift. Sie ergänzen einander.
„Es ist ein Unterschied“, so Margarete Waba, „ob ich etwas selbst lese oder ob ich es höre. Das betrifft das Merken, das Erfassen von Inhalten oder wenn es darum geht, sich einen Überblick über eine Sache zu verschaffen.“
Susanne Buchner-Sabathy arbeitet als Übersetzerin. Schreiben und Lesen ist aus ihrem beruflichen Alltag nicht wegzudenken. Außerdem liest sie sehr gerne und genießt es, mit einem Buch alleine zu sein, ohne die Stimme eines Vorlesers oder einer Vorleserin. Margarete Waba ist mit der Braille Schrift aufgewachsen, aber auch sie weiß, was es heißt, sich eine neue Technik anzueignen. Ihre beiden Kinder schenkten ihr vor fünf Jahren ein Smart Phone. „Das war für mich schon eine Hürde, aber mittlerweile bin ich ganz unglücklich, wenn ich es nicht in meiner Nähe habe. Denn es bietet mir viele Möglichkeiten. Ich kann nicht nur telefonieren, ich kann eine Nachricht schreiben, schnell eine Information bekommen oder etwas einscannen und mir vorlesen lassen.“ Das Smart Phone ist für viele Menschen mit Behinderungen zu einem wichtigen Hilfsmittel geworden. Grundlegende Informationen, wie man ein Smart Phone benützen kann, bieten die Leiterinnen von blind & smart zu einem späteren Zeitpunkt an. Und auch hier richtet sich ihr Angebot an Einsteigerinnen und Einsteiger, also an jene, die noch keine Erfahrung damit haben. Es geht genauso wie bei der Braille Schrift darum, auszuprobieren und etwas Neues zu wagen. So lassen sich Türen öffnen, neue Wege beschreiten und mehr Unabhängigkeit im Alltag erlangen.
Anmerkung: Der Kurs startet am 29. Mai, mit den ersten vier Kurseinheiten vor dem Sommer. Da die Teilnehmerzahl für den Kurs begrenzt ist, bitten wir bei Interesse um Voranmeldung im Mitgliederservice.
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