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Portraits

Edith List mit FFP2-Maske an ihrem Arbeitsplatz im Hilfsmittelshop, sie sitzt bei ihrem Schreibtisch und telefoniert.
Bildinfo: Edith List freut sich, dass sie ihren KundInnen viele nützliche und hilfreiche Dinge anbieten kann. Während der Pandemie gibt es vermehrt telefonische Anfragen und Bestellungen. © BSVWNB/Ursula Müller

Ein Glückstreffer

Für Edith List ist es ein Glückstreffer, im Hilfsmittelshop des BSV WNB arbeiten zu können.

Edith List

Gemeinsam mit ihrer Kollegin gebietet die Niederösterreicherin über ein kleines Reich nützlicher Dinge, die das Leben von Menschen, die blind oder stark sehbehindert sind, erleichtern.

 

Ein Faible fürs Praktische

Stolz präsentiert Edith List, was der Hilfsmittelshop zu bieten hat. Von der sprechenden Küchenwaage und Uhr, über das faltbare Schneidbrett bis hin zu Kartenspielen mit Braille Beschriftung oder Weißen Stöcken und Armschleifen, um nur einige Dinge zu nennen.

Ihr ganz persönliches „Liebkind“, wie sie sagt, ist die Haushaltsabteilung, die sie seit 2014, seit sie im Shop arbeitet, beständig erweitert.

„Es sind Dinge, die ich im Haushalt selbst verwende und die strenggenommen keine Hilfsmittel für blinde Leute sind, aber sie sind ausgesprochen praktisch.“

Wie zum Beispiel das faltbare Schneidbrett, hier lassen sich die Seiten des Küchenbretts hochklappen. Es entsteht eine Art Kanal und das geschnittene Gut lässt sich zielgenau in den Topf oder in die Schüssel befördern. Edith List, die nur noch auf einem Auge einen Sehrest von ungefähr vier Prozent hat, sucht im Internet gezielt nach diesen praktischen Utensilien. Sie möchte ihrer Kundschaft aber nicht nur den Alltag erleichtern. Sie will auch vermitteln, „dass das Leben mit einer Sehbehinderung lebenswert ist“.


Viele Dinge, die im Hilfsmittelshop angeboten werden, können sprechen. Seien es Küchen- oder Personenwaagen, Blutdruckmessgeräte, Fieberthermometer und Uhren. Es geht Edith List immer  darum, den Menschen etwas zu verkaufen, das für diese sinnvoll und brauchbar ist. Eine sprechende Uhr muss beispielsweise für einen älteren Menschen, der schon etwas schlecht hört, eine sehr gute Sprachausgabe haben, damit die Zeitansage verstanden wird. So kommt es vor, dass sie eine Tischuhr empfiehlt, auch wenn zunächst eine Armbanduhr gewünscht wurde, da eine Tischuhr die Zeit lauter und deutlicher ansagt.

Zwei Mal in der Woche fährt die Niederösterreicherin von Felixdorf nach Wien, berät und bedient KundInnen, erweitert immer wieder das Sortiment, verschickt Bestellungen und stellt am Computer Rechnungen aus.

„Ich bin schon recht stolz darauf, dass ich hier selbstständig arbeiten kann. Dass ich mir die notwendigen Computerkenntnisse angeeignet habe, um mit dem Programm arbeiten und Rechnungen schreiben zu können. Dass ich das alles erlernt habe.“

Als Edith List im Jahr 2014 im Hilfsmittelshop zu arbeiten beginnt, sind ihre beiden Söhne 19 und 21 Jahre alt und sie selbst durchlebt eine schwierige Zeit.

Ein mutiges Mädel

Edith List wächst in Gablitz im Wienerwald auf. Sie ist das jüngste von sechs Geschwistern. Ihre Mutter verfügt nur über einen geringen Sehrest. Und wie die Mutter, kommt auch die Tochter mit einem angeborenen Grauen Star auf die Welt. Edith wird bereits im ersten Lebensjahr mehrmals operiert, aber ihr Sehen verbessert sich dadurch kaum. Die dicke, schwere Brille, die sie mit vier, fünf Jahren bekommt, hilft auch wenig. Außerdem geht sie öfters kaputt oder verloren. Aber das kleine Mädchen ist mit dabei, wenn die älteren und sehenden Geschwister im Sommer schwimmen gehen oder im Winter hinter dem Haus mit den Skiern den Hügel hinunterfahren. „Meine Geschwister und ich lachen heute noch darüber, wie ich Skifahren gelernt habe. Ich bin oben am Hügel gestanden und hab‘ gerufen: ‚Geht’s?‘ Und dann bin ich einfach drauf los gefahren. Ohne Furcht.“

Die Mutter von sechs Kindern hat keine Zeit ihre sehbehinderte Tochter zu verhätscheln. Wenn ihre Jüngste kommt und sich weinend beschwert, dass die Brüder sie sekkieren würden, schickt die Mutter sie wieder zurück und fordert Edith auf, sich die Sache selbst auszumachen.


Die Schulzeit verbringt Edith am Bundesblindeninstitut (BBI) und anschließend beginnt sie bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) in Wien als Telefonistin zu arbeiten. Die Freude am Sport und an der Bewegung ist ihr geblieben, sie sei schon als Kind ein Quecksilber gewesen. Ab dem Alter von 16 Jahren ist sie im Behindertensport aktiv.

„Ich bin jeden Tag mit der Sporttasche in die PVA gekommen und habe nach der Arbeit trainiert. Ich hab‘ so ziemlich alles gemacht, Schwimmen, Laufen, Leichtathletik und Skifahren. Und natürlich Konditions- und Krafttraining.“

Im Alpinen Skilauf feiert die sportliche Allrounderin internationale Erfolge. Sie startet zweimal bei den Paralympics und zweimal bei den Weltmeisterschaften. 1984 erringt sie die Goldmedaille in der Abfahrt und in der Kombination. Zwei Jahre später wird sie Weltmeisterin in der Abfahrt. Beim Abfahrtslauf und Riesentorlauf ist sie in ihrem Element. „Das war immer meins, weil ich ein bissl mutig war und eine Draufgängerin“, stellt sie lachend fest. Als sie 1990 beim Skifahren stürzt und sich verletzt, hört sie mit dem Leistungssport auf. Außerdem lernt sie zu der Zeit ihren späteren Mann kennen, da ist anderes wichtiger als das Training.

Was fasziniert die sportliche Niederösterreicherin am Wettkampf, was motiviert sie, intensiv zu trainieren? Sie überlegt, atmet tief durch und meint: „Vielleicht der Nervenkitzel. Ich war immer sehr ehrgeizig. Ich bin ein Wettkampf Typ. Ich hab‘ immer fleißig trainiert, aber es ist mir im Wettkampf immer viel mehr aufgegangen als im Training.“

Felixdorf

Mit Anfang 30 heiratet Edith List. Sie und ihr Mann ziehen in ein Reihenhaus in Felixdorf in Niederösterreich. Die beiden Söhne kommen auf die Welt, der jüngere hat ebenfalls einen angeborenen Grauen Star. Er wird bereits im Alter von drei Wochen operiert und bekommt kurz nach der OP Kontaktlinsen. Ihr Sohn profitiert von dieser frühen medizinischen Versorgung. Heute besitzt er den Führerschein, kann ein Fahrzeug lenken und viele andere Dinge tun, die der Mutter und der Großmutter nicht möglich sind.

Damals bedeutet dies für die junge Mutter aber auch, dass sie mit dem Kleinen regelmäßig ins AKH muss, oft zwei- bis dreimal in der Woche. Staunend erinnert sie sich: „Ich bin mit beiden Kindern öffentlich von Felixdorf ins AKH gefahren. Den größeren Sohn in der Rückentrage oder an der Hand, den kleineren vorne im Tragetuch, denn mit dem Kinderwagen in den Öffis wäre es damals gar nicht gegangen. Mein Mann war oft auf Dienstreisen, oft im Ausland, er war dann die ganze Woche nicht da. Ich frag‘ mich heute eh, wie ich das geschafft habe, aber es musste gehen.“ Die junge Frau hat damals so viel zu tun, dass an Sport und Wettkampf nicht mehr zu denken ist. Auch ohne Training fällt sie abends todmüde ins Bett. Erst später, als ihre Söhne Jugendliche sind, fängt sie wieder an, im Versehrtensportklub ASVÖ-Wien zu trainieren und seit dem Jahr 2007 arbeitet sie dort als Funktionärin ehrenamtlich mit.


Edith List ist in Felixdorf bei Wiener Neustadt, wo sie seit 30 Jahren lebt, längst heimisch geworden. Wenn sie nach Wien will, muss sie zunächst 20 Minuten zu Fuß zum Bahnhof gehen, aber das halte sie fit. Für ihre Fitness macht sie jedoch noch viel mehr. Sie ist im örtlichen Turnverein, oder besser gesagt, sie war dort bis zum Beginn der Corona Pandemie. Ja, sie sei dort bestens integriert, die Leiterin der Gruppe nehme Rücksicht auf sie, sage jede Übung genau an und korrigiere sie bei den Übungen, wenn nötig. So sei das kein Problem in einer Gruppe von Sehenden mitzumachen.

„Die Vorturnerin ist eine gute Freundin geworden und jetzt in der Pandemie gehen wir oft Walken oder machen eine Wanderung. Im Winter waren wir auch mit den Tourenskiern unterwegs.“

Die sportliche Niederösterreicherin geht aber auch alleine Walken und macht montags bei einem online Yogakurs des Blinden- und Sehbehindertenverbands mit. Yoga lernt Edith List vor ungefähr zehn Jahren bei einer Fastenkur kennen. Seit damals macht sie in der Fastenzeit immer eine Fastenkur. Heuer online. „Man wird beim Fasten begleitet und man trifft sich jeden Abend in der Gruppe. Da will man es natürlich schaffen und sich keine Blöße geben.“ Vier Wochen wird gefastet. Nach sieben Entlastungstagen folgen zwei Wochen strenges Fasten, es gibt nur klare Gemüsebrühe, Kräutertee und Wasser. Danach kommen noch sieben Aufbautage, wo man sich langsam wieder ans Essen gewöhnt. Sie sei ja eher eine Gemütlichere, die gerne nach der Arbeit auf ein Bier gehe oder einen Spritzer mit Freunden trinke, wie man das halt vor Beginn der Pandemie machen konnte. „Aber jetzt hab‘ ich gesagt, ich trink keinen Tropfen Alkohol in der Fastenzeit und ich halte bei der Fastenkur durch. Und ich bin stolz, dass ich das so gut hingekriegt habe.“


Dass Edith List Disziplin und Kampfgeist besitzt, kommt ihr auch in einer sehr schwierigen Lebenssituation zugute, als sich ihr Mann vor gut sieben Jahren von ihr trennt. „Ich bin damals in so ein Loch gefallen.“ Das Angebot des BSVWNB, im Hilfsmittelshop zu arbeiten, ist für sie damals viel mehr als nur ein Jobangebot. Es ist für sie ein Glückstreffer. „Ich bin dem Blinden- und Sehbehindertenverband sehr dankbar dafür. Ich hatte wieder eine Aufgabe. Ich habe gespürt, ich werde gebraucht. Ich bin mit so einer Freude in den Shop gefahren und tue es heute noch genauso.“

Will man so eine herausfordernde Lebenskrise meistern, braucht man Unterstützung von anderen. Aber man braucht genauso Mut, Energie und Tatkraft, um sich nach einem langen Familien- und Eheleben neu zu orientieren. Edith List bleibt im Reihenhaus in Felixdorf und im Lauf der Jahre gestaltet sie es um. Die Küche wird erneuert, ebenso das Badezimmer. „Und darüber freue ich mich immer wieder, denn das habe ich geschaffen. Mit meinen eigenen finanziellen Mitteln und mit meiner Kraft.“

Edith List bezeichnet sich als Gesellschaftsmensch. Sie freut sich immer, wenn sie nette Menschen trifft. Sie pflegt ihre Freundschaften und Familienkontakte, engagiert sich ehrenamtlich im Versehrtensportklub und liebt ihre Arbeit im Hilfsmittelshop des BSVWNB.

„Jetzt fragen mich die Leute schon, wann ich zu arbeiten aufhöre. Aber ich möchte noch gerne weitermachen, ich brauche diese Aufgabe. Es passt für mich einfach sehr gut, zwei Tage in der Woche in Wien im Hilfsmittelshop zu arbeiten.“

Die offene, kontaktfreudige und sportliche Niederösterreicherin ist froh, dass sie diese Aufgabe gefunden hat und sich im Kreis der Familie, der FreundInnen und des Blinden- und Sehbehindertenverbands aufgehoben fühlt.

Über das Angebot im Hilfsmittelshop des BSVWNB in der Wiener Hägelingasse 4-6 können Sie sich persönlich, telefonisch oder online informieren.

Öffnungszeiten: Dienstags und mittwochs von 13:00 bis 17:00 Uhr sowie donnerstags von 10:00 bis 12:00 und 13:00 bis 18:00 Uhr.
Telefon: 01 / 98 189-109

Ab Juni 2021 finden Sie hier laufend ergänzte Beiträge aus der Themenreihe über Hilfsmittel: Wie blinde Menschen alltägliche Probleme lösen.

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