Portraits
Ein Optimist von Natur aus
Theo Waba führt ein ganz normales Leben.
So sieht er das. Immer wieder aber erlebt er, dass Menschen, die eine Behinderung haben, auf ihre Behinderung reduziert werden. Dass die anderen nur „den Blinden“ sehen und nicht wahrnehmen, was diesen Menschen ausmacht. Medienleute wiederum, so Theo Waba, interessieren sich vor allem dann für einen Menschen, der sehbehindert ist, wenn sie ihn als Helden feiern oder als bemitleidenswert darstellen können. Er aber möchte gesehen werden, wie er ist, ein Mensch mit vielen Facetten und Interessen.
Seit 1979 ist Theo Waba in der Telefonzentrale der Uni Wien tätig. Acht der neun Mitarbeiter:innen im phone operating team sind blind oder sehbehindert. Als Telefonist erteilt er Auskunft, verweist an zuständige Stellen und manchmal sagt er auch ein paar aufmunternde Worte, wenn verzweifelte Maturant:innen nicht wissen, wie sie sich fürs Studium anmelden sollen oder Eltern ratlos sind, weil beim Studium ihrer Kinder nichts weitergeht. Theo Waba wohnt in Hütteldorf und braucht ungefähr eine Stunde zum Arbeitsplatz. Er ist froh, dass die neue Homeoffice Regelung seinen Arbeitsalltag erleichtert. Seine Kolleg:innen und er können bis zu zehn Tagen im Monat von zuhause aus arbeiten. „Das ist super, denn je älter ich werde, desto anstrengender sind für mich diese Wege.“
In der Telefonzentrale der Uni Wien beginnt Theo Waba seine Berufslaufbahn. Ein Lehrer des Bundesblindeninstituts (BBI) weiß, dass für die neue Telefonzentrale Leute gesucht werden. „Dieser Lehrer hat zu mir gesagt, wenn du willst, kannst du dort anfangen. So bin ich zu dem Job gekommen, ohne mich jemals zu bewerben. Das wirft mir meine Frau heute noch vor und sagt, dir ist ja immer alles in den Schoß gefallen.“ (Lacht) Anders als er, schreibt sie viele Bewerbungen und bekommt viele Absagen, bis sie schließlich doch im Innenministerium einen Job erhält. Die beiden kennen sich vom BBI. „Gegen Ende der Schulzeit, wir waren 17, sind wir uns nähergekommen und seitdem sind wir ein Paar. Es hat gepasst. Glück gehabt.“ Das junge Paar, Grete kommt aus Oberösterreich, Theo aus dem Burgenland, beschließt, nach der Schul- und Berufsausbildung am BBI in Wien zu bleiben. 1979 ziehen sie zusammen, und zwar in ihre Wohnung. „Das sagt mir meine Frau auch immer, nicht einmal eine Wohnung hast du suchen müssen!“ (Lacht). Sie sind 22 Jahre alt, als sie heiraten, beide arbeiten, fahren gern auf Urlaub und genießen ihr gemeinsames Leben. Sie ersparen sich im Laufe der nächsten Jahre genug Geld, um sich die Anzahlung für eine Eigentumswohnung leisten zu können. Sie sind jung, haben bereits viel geschafft, leben in ihrer eigenen Wohnung in Hütteldorf und denken daran, Kinder zu bekommen. Doch dann kommt es anders.
Theo Waba wächst mit drei Schwestern in Neusiedl am See auf. Der Vater ist Lehrer, später Schuldirektor, die Mutter versorgt die Kinder und den Haushalt und betreibt mit ihrem Mann einen kleinen Weinbaubetrieb. Theo ist der Dritte in der Geschwisterreihe, er und seine jüngere Schwester kommen mit einem angeborenen Glaukom, mit einem Grünen Star auf die Welt. Beide sind inzwischen blind. Die zwei älteren Schwestern sehen normal. Bereits als Kind ist Theo stark sehbehindert, aber er sieht am linken Auge genug, um die Volksschule in Neusiedl besuchen zu können. „Ich konnte, wenn ich in der ersten Reihe gesessen bin, noch von der Tafel abschreiben. Aber dann hat man gemeint, dass das Sehen für eine weiterführende Schule, fürs Gymnasium nicht reichen würde und dass ich in die Blindenschule gehen sollte.“ Mit zehn Jahren kommt Theo ans BBI. Nein, es sei nicht schön gewesen, als Zehnjähriger von zuhause, von den Eltern, von der Familie wegzukommen. „Heutzutage wäre ich in eine Regelschule gegangen, aber für mich war das damals nicht möglich.“ Die Wochenenden verbringt Theo zuhause, die Eltern holen ihn mit dem Auto ab und bringen ihn am Sonntag am Abend oder am Montag in der Früh wieder zurück.
In der Zeit als Theo und seine Frau Grete an die Familienplanung denken, kommt es auf seinem linken Auge, wo er noch ein gewisses Sehvermögen hatte, zu einer Netzhautabhebung. Trotz zahlreicher Operationen erblindet er auch an diesem Auge. Beide haben damit zu kämpfen, beide müssen sich umstellen. Theo muss lernen, sich ohne Sehsinn zu orientieren und seine Frau, die damals schon sehr stark sehbehindert ist, verliert eine wichtige Unterstützung. Es ist ein schwieriger Prozess. Der junge Mann, er ist 27 Jahre alt, lernt, mit dem Langstock zu gehen, stellt von der Schwarz- auf die Brailleschrift um und kehrt nach einem langen Krankenstand an seinen Arbeitsplatz zurück. „Man hat die Telefonanlage für mich umgerüstet, das wurde über den Blinden- und Sehbehindertenverband (BSV WNB) gemacht und so konnte ich, wie zuvor, dort weiterarbeiten.“ In diesen Jahren rückt der Kinderwunsch in den Hintergrund, doch das Paar gibt ihn nicht auf. Fünf Jahre nach diesem dramatischen Ereignis wird Theo Waba Vater, seine Tochter Viki kommt auf die Welt. Drei Jahre später wird sein Sohn Anatol geboren, beide sehen gut. „Und dann ist das Leben vorangeschritten, heute habe ich 44 Dienstjahre, die Kinder sind erwachsen und ich denke mir, wo ist die Zeit geblieben?“ (Lacht)
Die Zeit ist ausgefüllt, die jungen Eltern sind, wie alle Eltern, damit beschäftigt, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen und sie müssen einen Weg finden, ohne Sehvermögen ihre Kinder zu versorgen. Nach 15 Jahren Berufstätigkeit bleibt Grete Waba zuhause und kümmert sich um den Nachwuchs. Die Eltern müssen alleine zurechtkommen, die Großeltern leben im Burgenland und in Oberösterreich, Persönliche Assistenz gibt es damals noch nicht. Wie managen sie ihr Leben mit Kindern? „Solange sie Babys sind, ist es einfach. Sobald die Kinder anfangen zu laufen, musst du strikt sein“, erinnert sich der Familienvater. „Sie mussten lernen, auf der Straße an der Hand zu gehen. Dann später, im Kindergartenalter durften sie ein Stück vorauslaufen, mussten sich aber daran halten, vor der nächsten Straße stehenzubleiben. Und zum Glück haben unsere Kinder gemacht, was wir ihnen gesagt haben, zumindest, wenn wir mit ihnen unterwegs waren. Wenn keine sehende Person dabei war.“
Wenn der junge Familienvater mit seinen beiden Kindern auf einem Spielplatz ist, den er nicht kennt, kraxelt er zunächst auf die Rutsche oder das Klettergerüst hinauf und erkundet so, ob seine Kinder sich dort gefahrlos aufhalten können. Das ist meist zur Gaudi und Hetz aller Kinder. Aber, so erinnert sich Theo Waba: „Es ist unheimlich herausfordernd gewesen und du machst Sachen, die du sonst nie gemacht hättest, weil die Kinder es wollen und für die eigenen Kinder tut man ja alles. Wir sind mit ihnen sogar ins Hallenbad gegangen. Es ist sehr schwierig, sich als Blinder in einem Hallenbad zu orientieren. Dann rennen die Kinder noch weg, weil sie schwimmen wollen und du kannst nur darauf vertrauen, dass sie wieder kommen. Aber unsere Kinder waren keine Draufgänger, sie haben sich immer sehr vorsichtig verhalten.“
Die Kinder lernen früh, selbstständig zu sein. Und vor allem lernen sie, genau zu beschreiben, wenn sie etwas sehen und wissen wollen, was es ist. Die Familie unternimmt Ausflüge, fährt auf Urlaub, fliegt nach Griechenland. „Wir haben zu den Kindern gesagt, Kinder, wir können alles machen, aber ihr müsst halt mithelfen. Wir haben sie aber auch so erzogen, dass sie nein sagen können. Wir wollten nie, dass sie unsere Hilfskräfte werden. Sie sind nicht unsere Helfer, sie sind unsere Kinder. So halten wir das bis heute.“ Die Familie, so Theo Waba, sei ihm immer sehr wichtig gewesen. „Ich bin froh, dass ich Zeit für die Familie hatte.“
Einen ganz wichtigen Platz in seinem Leben nimmt sein Fußballverein ein, auch eine Art Familie. Seit er denken kann ist er ein Fan von Rapid. Sein Vater ist bereits Rapid Fan und Theo Waba gibt diese Liebe und Begeisterung wiederum an seinen Sohn weiter. Der leidenschaftliche Fußballfan und sein Sohn Anatol haben seit vielen Jahren ein Abo bei Rapid und sind jedes zweite Wochenende beim Heimspiel im Stadion. „Wenn in der Fankurve, wo wir mitten drinnen stehen, gesungen wird: Das hat der Opa schon erzählt, Rapid ist das was zählt!, dann krieg ich eine Ganslhaut. Es stimmt, es ist so und viele, die dort stehen, haben das auch so erlebt.“ Der eingefleischte Rapid Fan genießt die Zeit am Fußballplatz noch mehr, seit er bei den Spielen eine Audiodeskription zur Verfügung hat.
In der Freizeit unternehmen Theo Waba und seine Frau gern Ausflüge, gehen in Konzerte, ins Museum oder ins Kino. Seit einem Jahr lassen sie sich bei diesen Aktivitäten von einer Persönlichen Assistenz unterstützen. „Meine Frau hat das angeregt. Ich war zuerst skeptisch und hab gesagt, wir können eh alles alleine machen. Aber dann ist mir einiges eingefallen, was alleine gar nicht oder nur schwer möglich ist.“ Letzten Sommer nimmt das Paar an einer Stadtführung in Waidhofen an der Ybbs teil, die beiden besuchen das Stift Klosterneuburg, fahren zur Ars Electronica nach Linz. Auch wenn ein neuer Drucker oder Fernseher zu besorgen ist, bewährt sich die Persönliche Assistenz. Wer eine Persönliche Assistenz für die Freizeit möchte, meldet sich beim Fonds Soziales Wien (FSW), und bei Bedarf wird sie genehmigt. „Ich bin jetzt 61 Jahre alt und muss mir nicht mehr ständig beweisen, was ich alles selbst kann. Ich will es mir ein bisschen bequemer machen. Und die Assistenten geben uns eine neue Freiheit.“
Im letzten Jahr erfährt Theo Waba, dass er auf der Schöffenliste steht und er wird tatsächlich als Schöffe, also als Laienrichter berufen. Blindheit ist kein Grund, davon ausgeschlossen zu werden und er ist neugierig, wie die Verhandlung verlaufen wird. „Ich war beim Chorherr Prozess und der Richter hat von sich aus darauf geachtet, dass ich dem Prozess gut folgen konnte. Ich habe die Anklageschrift elektronisch bekommen und wenn im Gerichtssaal zum Beispiel Bilder gezeigt wurden, hat der Richter dazu aufgefordert, dass diese Bilder für mich beschrieben werden. Für mich war das eine sehr interessante Erfahrung als Schöffe bei einer Gerichtsverhandlung dabei zu sein und es war für mich sehr schön, dass ich so vorbehaltlos akzeptiert wurde.“
Manchmal, erzählt Theo Waba, wird in der Familie oder im Freundeskreis darüber geredet, wann und unter welchen Umständen das Leben noch lebenswert sei. So wie unlängst, als sie erfahren, dass ein Bekannter knapp nach seiner Pensionierung einen Schlaganfall erleidet und gepflegt werden muss. „Ist das Leben noch lebenswert, wenn du im Bett liegst und nichts mehr tun kannst? Manche sagen, dann will ich nicht mehr leben. Ich aber sage, dass ich schon gern wissen würde, wie Rapid gespielt hat.“ Auch wenn man nicht sagen könne, wie es einem in so einer Situation tatsächlich ergehe, spiegle dies seine Lebenseinstellung wider. Er sei von Natur aus einer, der eher das Positive sehe. Er sei eben von Natur aus ein Optimist.
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