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Eine Bühne für die Spontanität
Scheinbar ziellos bewegen sich junge Menschen in einem Saal. Barfuß. Mit winzigen Schritten. Dann wieder mit großen Bewegungen. Manche gehen schneller, andere langsamer. Mit schwingenden Armen oder in zaghaftem Rhythmus nehmen sie den Raum ein. Von außen betrachtet wirkt es ungeplant. Doch genau darum geht es hier: Um spontane Bewegungen, um Impulse.
Die blinden und sehbehinderten Jugendlichen der Verrückten Jugend Aktion wollten schon immer einmal Theater spielen. Heute ist es soweit: In der Hägelingasse, im BSVWNB, funktionieren sie den Anton Mayer-Saal in einen Übungsraum um. Gemeinsam betreten die Teilnehmenden den Raum und ziehen zu Beginn die Schuhe aus, um den Boden und sich selbst besser zu spüren.
Theater ist nicht gleich Theater!
Ein bisschen Erfahrung haben die meisten Jugendlichen schon mit dem Schauspiel gesammelt. Roman verkörperte im Kindergarten eine kleine Rolle und spielte auch im Chor-Musical „Der kleine Tag“ mit. Auch Oliver hatte im Schultheater ab und zu einen öffentlichen Auftritt. Doch heute versuchen sie sich in einer bisher unbekannten Spielform: dem Improvisations-Theater!
Die Jugendgruppen-Leiterinnen Tanja Kotek und Karoline Kadelski führen die Jugendlichen durch den Nachmittag: „Was wir heute mit euch machen sind ein paar Übungen. Beim Impro-Theater kommt es darauf an, dass man sich selber gut spürt und weiß, wie der eigene Körper sich anfühlt und bewegt. Es geht aber auch darum, die Gruppe zu spüren: Dass man weiß, wer macht was, wie die Körperhaltung oder die Emotion der anderen ist – es geht um das Zusammenspiel all dieser Elemente.“
Mit Gefühl in der Bewegung
Zum Einstieg bewegen sich die Teilnehmenden durch den Raum, ganz in ihrem jeweiligen Tempo. Vorwärts oder rückwärts. Wenn ihnen am eigenen Gang etwas auffällt, übertreiben sie es ins Extreme: In trippelnde Fußbewegungen oder ausholende Schritte. „Stellt euch vor, ihr trefft so eine Person auf der Straße“, regt Tanja Kotek die Vorstellungskraft an, „wie wäre diese Person so? Was hätte sie für Eigenschaften? Jetzt überlegt euch einen Satz, der diese Person charakterisieren könnte – und sprecht ihn aus.“
Nach den ersten Übungen reflektieren die Jugendlichen ihre Erfahrungen. Und die sind neu, denn es gibt keine vorgegebenen Texte, keine vordefinierte Rolle. Mario meint:
„Ich musste viel nachdenken, was mache ich als Nächstes? Am Anfang hatte ich Probleme aus mir herauszukommen. Beim zweiten, dritten Mal habe ich mir schon viel leichter getan.“
Damit ist er keineswegs alleine, denn auch die anderen müssen erst den Kopf ausschalten lernen – und dann den Impuls spüren und ausleben. Genau das wird nun geübt.
Fünf Dinge, die du assoziierst
Im Kreis aufgestellt erleben die Jugendlichen ihre Kreativität mit der Übung „Nenne mir fünf Dinge, die…“. Schnell und frei assoziiert reagieren die jeweils Angesprochenen. Tanja ruft Roman zu: „Nenne mir fünf Dinge, die du tun würdest, wenn du ein Superheld wärst!“ Angefeuert von den Zurufen der anderen Jugendlichen antwortet er in Sekundenschnelle: „Fliegen – Helfen – in die Zukunft schauen – Röntgenblick anwenden – auf Hochhäuser klettern“. „Mario, fünf Dinge, die du auf eine einsame Insel mitnehmen würdest?“ „Zelt – Unterlage – Feuersteine – Papier – Bambambam“. Lustige Antworten sind immer dabei, denn das Gesagte muss in erster Linie nicht wahr sein, sondern spontan ausgesprochen werden. Und darunter dürfen sich auch ruhig neue Wortkreationen mischen.
Einzigartige Geschichten
Eine Übung folgt auf die andere: Vom „afrikanischen Klatschkreis“ über das Erfinden der Nonsense-Sprache „Jibberisch“ bis hin zu einem gespielten Gang-Battle. Die Jugendlichen werden immer lockerer und bald fließen spontan Bewegungen und Worte. Schließlich werden Geschichten geformt: Sie entstehen im gemeinsamen Tun, in Zweier-Gruppen bewegen sich die jungen Teilnehmenden durch den Raum. Abwechselnd sagt jede und jeder ein Wort um so einen Satz zu bilden. Bis eine Geschichte entsteht, die dramatisch, emotional oder alltäglich ist.
„Was haben alle diese Geschichten gemeinsam?“, regt Tanja die Jugendlichen zum Nachdenken an. Mit ihren Antworten gelangen sie zur Essenz des Erzählens: Denn es handelt sich immer um Situationen, ein Problem und eine Lösung. Genau diese Basis ist wichtig, um das Impro-Theater auf die Bühnenebene zu heben.
Das romantische Problem
Schließlich wird eine Langbank in die Mitte des Raums getragen. Sie stellt eine Parkbank dar, auf der ein erstes Date stattfinden soll. Doch weit gefehlt! Denn eine Person macht sich genau auf dieser Parkbank breit: In diesem Fall ist es zuerst Oliver, der sich auf die Langbank legt und sie so für das vorgestellte romantische Treffen blockiert. Dieses Problem verlangt nach einer Lösung! So müssen die Jugendlichen spielerisch versuchen, Oliver von der Bank wegzubringen. Mit schauspielerischem Talent und kreativen Ansätzen versuchen Mario, Roman und Selim abwechselnd die imaginierte Parkbank frei zu bekommen.
Bühne frei für die Improvisation
Nachdem es etliche Langbänke im Anton Mayer-Saal gibt, werden diese gleich genutzt: Und zwar als Zuschauerbänke. Der hölzerne Boden wird zur Bühne erklärt und von jeweils zwei Jugendlichen erobert. Sie beginnen mit einem improvisierten Schauspiel und formen eine Szene. Mit der Technik „Freezetag“ können die Schauspielenden jederzeit ausgewechselt werden. Roman und Dominic sind gerade mitten im Spiel, als ein Klatschen von der Zuschauerbank ertönt: Er markiert den „Freezetag“, das Einfrieren der Situation. Die beiden Schauspieler erstarren in ihrer momentanen Bewegung. Mario betritt die Bühne, löst einen der beiden ab und nimmt genau seine Haltung ein. Und schon startet eine neue Szene. Im Minutentakt werden Personen ausgewechselt, neue Handlungen etabliert.
„The show must go on“
Mit viel Applaus wird die finale Übung beendet. In einer letzten Feedback-Runde reflektieren die Jugendlichen ihre Erlebnisse. Mario erlebt einen Unterschied zu seinen bisherigen Schauspiel-Erfahrungen: „Damals haben wir gewusst, was kommt und wir haben es geübt. Das war jetzt nicht so und deswegen war es nicht immer leicht einzusteigen.“ Roman ging mit wenig Erwartungen in den Workshop:
„Als ich gehört habe: Impro-Theater, konnte ich mir im ersten Moment nichts vorstellen. Aber ich finde es echt super.“
Auch Selim hat mit viel Freude mitgewirkt: „Also ich fand den Tag sehr cool. Obwohl ich müde bin und die Füße schon nicht mehr mitmachen. Es hat mir gefallen und sehr viel Spaß gemacht. Es wäre noch lustiger, wenn wir noch mehr Leute dabei wären.“ Gemeinsam beschließen die neuen Improvisationskünstlerinnen und -künstler daher, schon bald wieder Impro-Theater zu spielen. Denn die Spontanität und Kreativität hat Lust auf mehr gemacht. Und nicht nur die Fantasie geweckt, sondern auch das Selbstvertrauen gestärkt. „The show must go on“ – beim nächsten Mal!
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