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Portraits

Eine junge Frau in Jeans und blauer Windjacke sitzt lachend auf einem Holz-Klettergerüst.
Bildinfo: Kerstin Wrba arbeitet heute am BBI, wo sie früher zur Schule gegangen ist. © BSVWNB/Ursula Müller

„Es war ein harter Kampf.“

Kerstin Wrba arbeitet seit 2010 in der Bibliothek des Bundesblindeninstituts (BBI) in Wien.

Die sportliche, musikalische und energiegeladene Bibliothekarin versorgt Leseratten in ganz Österreich mit Büchern und Zeitschriften in Brailleschrift.

Kerstin Wrba im Portrait

In der Bibliothek des BBI stehen Romane, Krimis, Reisebeschreibungen, Lyrik und Sachbücher in Brailleschrift. Rund 8000 verschiedene Werke, insgesamt etwa 20 000 Bände, können von Personen, die blind oder sehbehindert sind, entlehnt werden. Wer bei Kerstin Wrba ein Buch bestellt, bekommt es per Post zugeschickt. Darüber hinaus ist sie auch noch für unterschiedliche Druckarbeiten zuständig. Sie druckt Texte, Visitenkarten oder Zeitschriften, die entsprechend aufbereitet wurden, in Brailleschrift aus. Ihr Arbeitstag beginnt zwischen halb acht und acht Uhr. Aber sie ist meistens schon um halb sieben in der Früh im Haus und geht zuerst in die Kraftkammer, die hier allen zur Verfügung steht. Manchmal trainiert sie eine halbe Stunde, manchmal eineinhalb Stunden. „Um diese Zeit habe ich alles für mich alleine, die Geräte, die Dusche, die Garderobe. Es ist herrlich. Meistens trainiere ich vier Mal in der Woche. Es macht mir Spaß, es tut mir gut und ich komme schon voller Elan in mein Büro“, sagt sie lachend. Dort beantwortet sie E-Mails, erledigt Telefonate und verschickt die gewünschten Bücher. Oder sie steht am Drucker und druckt Liedtexte für die Chormitglieder des BBI aus, Visitenkarten in Schwarz- und Brailleschrift oder Rundschreiben für den Blinden- und Sehbehindertenverband, um nur ein paar Beispiele zu nennen.


„Ich bin spät erblindet“, erzählt die Mittdreißigerin. Kerstin wächst zusammen mit ihrem älteren Bruder in Pernitz in Niederösterreich auf. Ihr Vater arbeitet als Polizist, die Mutter sorgt für die Kinder und führt den Haushalt. Das Mädchen bekommt im Kindergartenalter eine Brille, und gegen Ende der Volksschule verschlechtert sich das Sehvermögen am rechten Auge sehr stark. „Ich hab so Fäden vor den Augen gesehen.“ Es folgen viele Augenuntersuchungen und Augenoperationen am Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH), trotzdem erblindet das Kind auf dem rechten Auge. Kerstin kann, da sie am linken Auge noch verhältnismäßig gut sieht, weiterhin die Regelschule besuchen. In der vierten Klasse Hauptschule tritt am linken Auge der Graue Star auf und sie bekommt eine Kunstlinse eingesetzt, eigentlich eine kleine OP. „Aber mein bis dahin gutes Auge hat so stark darauf reagiert, dass ich nichts mehr gesehen habe.“ Alle sind fassungslos, der Teenager kann kaum begreifen, was passiert ist. Auch für die Eltern ist es ein Schock, aber sie versuchen, ihre Tochter so gut wie möglich zu unterstützen. Und das tun sie bis heute.


Im Alter von 15 Jahren erblindet Kerstin. In einem Alter wo andere fortgehen, sich verlieben oder Zukunftspläne schmieden, steht der Teenager vor einer vollkommen neuen Situation. Wie kann es weitergehen? Der Vater erzählt ihr, dass es in Wien eine Schule für blinde und sehbehinderte Schüler:innen gibt. „Ich war am BBI schnuppern und hab gleich gewusst, dass ich in diese Schule will.“ Unter der Woche wohnt sie im Internat, die Wochenenden verbringt sie zuhause. Sie lernt die Brailleschrift und am PC zu arbeiten, sie absolviert den Telefonist:innenlehrgang und muss lernen, sich ohne Sehsinn zu bewegen und zu orientieren. Ihr Mobilitätstraining beginnt im Schul- und Internatsgebäude. Dann folgen die ersten Versuche im Straßenverkehr. Kerstin erlebt, wie schwierig es ist, draußen unterwegs zu sein, wenn man nichts sieht.

„Einmal habe ich die Straßenbahn nicht gehört. Wie ich sie dann gehört habe, ist sie schon weggefahren. Ich war so wütend und traurig, ich habe mir gedacht, wenn ich sehen könnte, wäre alles so einfach. Von da an wollte ich beim Mobilitätstraining nicht mehr auf die Straße gehen.“

Ihr Trainer ist geduldig, arbeitet im Haus weiter, hört ihr zu und redet mit ihr. Nach einiger Zeit macht er seiner Schülerin jedoch klar, dass sie sich entscheiden müsse, wie es für sie weitergehen solle. Will sie mit dem Mobilitätstraining aufhören oder will sie den nächsten Schritt wagen? „Ich habe es mir überlegt, dann bin ich hinausgegangen und das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe mich dem gestellt und ich habe es geschafft. Ich bin stolz darauf. Ich bin jetzt schon lange mobil, fahr überall herum, komm überall hin. Aber diese ersten beiden Jahre waren sehr hart, es war ein harter Kampf.“


Was hilft ihr in dieser schwierigen Zeit, was hilft ihr, damit fertig zu werden, dass sie als Jugendliche erblindet ist? „Am BBI gab es eine Erzieherin, mit der hab ich viel geredet und ich hab viel geweint. Außerdem konnte ich meine Gefühle künstlerisch ausdrücken, ich hab mit Ton gearbeitet und Dinge gemalt, an die ich mich noch erinnern konnte. Das alles hat mir damals geholfen.“ Hinzu kommt, dass Kerstin kontaktfreudig ist und sich Freund:innen sucht.

„Ich habe bis heute ein gutes Netz von Freund:innen und dafür bin ich dankbar.“

Nicht genug, dass Kerstin im Alter von 15 Jahren erblindet. Zu der Zeit lassen sich auch ihre Eltern scheiden. Für das Mädchen kommt es zwar nicht ganz überraschend, aber es ist alles andere als einfach. Die Tochter bleibt bei der Mutter, aber sie vermisst den Vater, sie sei immer ein Papakind gewesen. Andererseits ist sie so sehr mit sich beschäftigt, dass die Scheidung der Eltern irgendwie in den Hintergrund rückt. Und der Kontakt zum Vater bleibt weiterhin bestehen. Nach ihrer Ausbildung am BBI fängt Kerstin Wrba an, als Telefonistin bei der Polizei in Wien zu arbeiten. Sie macht dies fünf Jahre, doch mit den Kolleg:innen ist es nicht immer einfach, sie drückt es so aus: „Bin ein bissl gemobbt worden.“ Sie hätte außerdem gern eine Arbeit, die etwas abwechslungsreicher ist. Als sie erfährt, dass am BBI jemand für die Bibliothek gesucht wird, bewirbt sie sich.

Ihren jetzigen Partner lernt die Bibliothekarin über die Singlebörse Parship kennen, das ist zwei Jahre her. Anders als Tinder bietet Parship neben den Fotos potentieller Partner:innen noch einen ganz kurzen Steckbrief. „Wenn mich dieser Steckbrief anspricht, kann ich der Person schreiben. Ich kann diese Online-Partnerbörse also auch als blinde Person bedienen.“ Kerstin Wrba hält sich beim Online-Dating an ein paar Regeln. Zuerst wird ein paar Mal hin- und hergeschrieben. Wenn die Person immer noch interessant und sympathisch klingt, trifft man sich in einer belebten Umgebung. Davor aber will sie den anderen wissen lassen, dass sie blind ist. „Einmal habe ich mit jemanden super geschrieben, wir hatten Spaß und ich hatte das Gefühl, jetzt kann ich ihm sagen, dass ich blind bin. Aber was hat er gesagt?! Super, dass du mir das sagst, aber ich hab soviel mit meiner Mutter zu tun, ich brauch jetzt nicht noch jemanden, den ich pflegen muss. Ich war so wütend, es hat mir auch wehgetan. Ich bin eine selbstständige Frau! Ich hab gedacht, jetzt reicht’s mir, ich hab von dieser Partnerbörse genug.“


Aber einmal will sie es doch noch versuchen und reagiert auf den Steckbrief von Markus. Nach einiger Zeit schreibt sie ihm, dass sie blind ist. Für ihn ist das kein Problem. Beim ersten Treffen machen sie einen langen Spaziergang, reden und lachen viel. In den nächsten Monaten verabreden sie sich immer wieder, lernen sich langsam kennen, vertrauen einander sehr persönliche Dinge an und aus Freundschaft wird Liebe. Die beiden unternehmen viel, und singen in einem inklusiven Chor, wo Popsongs gesungen werden. Er nennt sich Chor ohne Grenzen und wird von der Volkshochschule (VHS) veranstaltet. „Mein Freund wollte mich eigentlich nur zum Schnuppern begleiten, aber nach einer Viertelstunde hat er sich dazu gestellt und bei seinem Lieblingslied mitgesungen. Jetzt singen wir beide dort.“

Kerstin und Markus besuchen Konzerte, gehen ins Kino und ins Kabarett, entspannen sich gern in einer Therme und fahren gemeinsam auf Urlaub. „Ich hatte auch blinde und sehbehinderte Partner, wir haben auch viel unternommen. Aber für mich ist es schon einfacher und entspannter, diese Dinge mit einer sehenden Person zu machen, weil ich nicht so konzentriert sein muss, nicht so aufpassen muss, wenn ich irgendwo unterwegs bin.“ Nein, ihr Partner kenne keine blinden Leute, aber er sei unvoreingenommen und kenne selbst das Gefühl, ein wenig anders als die anderen zu sein. Er habe es nicht einfach gehabt, sei sehr zurückgezogen gewesen.

„Er sagt öfters zu mir, die Blinde hat dem Sehenden das Leben gezeigt. Aber es ist ja gegenseitig, er erweitert mein Leben genauso. Wir ermöglichen es uns gegenseitig, dass wir uns weiterentwickeln.“

Das Paar schmiedet Zukunftspläne, möchte zusammenziehen und heiraten, und vielleicht auch ein Kind bekommen. „Aber“, wie Kerstin Wrba es ausdrückt, „step by step, eins nach dem anderen.“


Die offene, kontaktfreudige junge Frau denkt auch darüber nach, sich beruflich zu erweitern. Sie könne sich gut vorstellen, mit Jugendlichen hier im Haus, im BBI zu arbeiten, als eine Art Coach. Sie wisse, was es bedeute, in jungen Jahren zu erblinden und blind zu sein. Sie kenne das Gefühl, dass alles ausweglos sei. Es gebe heute noch Momente, wo sie sich wünscht: „Ich will diesen Sonnenuntergang sehen. Ich will das Feuerwerk zu Silvester sehen. Ja, manchmal hadert man ein bissl. Aber dann geht es wieder weiter und ich nehme mein Leben wieder in die Hand.“ Sie nützt die verschiedenen Möglichkeiten, sich immer wieder für den Alltag zu stärken. Sie macht gerne Sport, tauscht sich mit ihrem Partner aus, pflegt Freundschaften oder plaudert mit Leuten, die sie auf der Straße ansprechen, was immer wieder geschieht. Sie holt sich psychologische Unterstützung, hört Musik und singt sehr gerne. Das liegt in der Familie. Ihre Mutter singt in ihrer Jugend in einer Band und ihr Onkel tritt heute noch bei Festen und Feiern als Sänger auf. Zwei Jahre lang macht sie eine Gesangsausbildung. Kerstin Wrba erlebt Singen als ungemein befreiend. Beim Singen, sagt sie, könne sie eine Last abladen und sich mit neuer Energie aufladen.

Weblinks:

Braille-Bibiothek am BBI
Chor ohne Grenzen, VHS Simmering

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