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Good news from the USA – Gute Nachrichten aus Übersee
Interview mit Ciara Moser
Sie hat aufgrund ihrer herausragenden Fähigkeiten und Leistungen dieses begehrte Stipendium erhalten. Das Gespräch führen wir per Zoom.
Ciara, Sie sind seit Mitte Jänner in Boston, leben am Campus des Berklee Colleges, sind in einem Wohnheim für StudentInnen untergebracht und schon intensiv in Ihr neues Leben eingetaucht. Wie geht es Ihnen?
Danke, sehr gut geht’s mir! Bei mir ist es ja noch recht früh, acht Uhr. Aber ich habe bereits mein tägliches Workout gemacht. Es tut gut, wenn man in der Früh schon was getan hat. Nach unserem Interview werde ich in der Mensa frühstücken und dann ist der ganze Tag ausgefüllt mit Vorlesungen und Unterricht am Bass. Ich spiele entweder im Ensemble mit drei oder vier Leuten oder ich habe Einzelunterricht am Instrument.
Wie läuft der Unibetrieb zurzeit in der Pandemie ab?
Die theoretischen Vorlesungen werden online abgehalten. Wenn wir mit unseren LehrerInnen spielen, sei es im Ensemble oder im Einzelunterricht, tragen wir Masken. Im Studio tragen wir ebenfalls Masken. Und es gibt genaue Vorschriften, wann und wie oft gelüftet und Pausen gemacht werden müssen.
Am Berklee College of Music studieren ungefähr 6000 junge Menschen. Aufgrund der Pandemie sind es zurzeit weniger, da ein Teil ausschließlich online studiert. Wie geht es Ihnen als ausländische Studentin, die blind ist, an diesem großen College?
Ich war im Jahr 2019 schon einmal für ein Semester hier, zusammen mit meinem Freund, der auch Musiker ist und der, anders als ich, sehend ist. Deshalb ist es für mich ein bissl leichter.
Aber es hätte auch sonst funktioniert, denn die Leute in den USA sind blinden Menschen gegenüber sehr offen und aufgeschlossen. Das merke ich, sobald ich mein Zimmer verlasse. Du wirst weder blöd angeschaut noch komisch behandelt. Es ist für die anderen völlig normal, dass eine blinde Person studiert und am Campus lebt.
Das Gelände der Universität mit den Hörsälen, Bibliotheken, Mensen, Konzertsälen, Studios und Wohnheimen ist groß, wie finden Sie sich dort zurecht?
Am Campus gibt es ein Disability Service, also eine eigene Stelle für Studierende mit Behinderung. Und die Leute von dieser Stelle schauen darauf, dass für Studierende mit Behinderung alles gut funktioniert. Wenn ich etwas brauche, gehe ich dorthin. Wie ich hier angekommen bin, wurde gleich ein Mobilitätstraining für mich organisiert, damit ich hier alles finde und mich auskenne. Und dieses Mobilitätstraining wird mir als ausländische Studentin sogar finanziert. Ich musste nur ein Formular ausfüllen, das war alles. Ich kann mich auch deshalb gut orientieren, weil in allen Gebäuden die Türen mit Braille Schrift beschriftet sind. So finde ich die Vorlesungsräume, das WC, den Müllraum oder den Raum wo die Waschmaschinen stehen. Diese Waschmaschinen kann ich problemlos bedienen. Jede Maschine hat einen Barcode, also einen Strichcode. Es gibt eine App und mit der App scannt man den Code der Waschmaschine. Den Rest checkt mein Handy und ich kann dann alles machen, waschen, trocknen, zahlen. Sehr praktisch.
Wie versorgen Sie sich? Kochen Sie selbst oder essen Sie in der Mensa?
Ich esse fast immer in der Mensa. Wie ich das erste Mal dort hineingegangen bin, ist gleich jemand auf mich zugekommen, hat sich mit Namen vorgestellt und mir das Assistenzsystem erklärt, das hier für Menschen mit Behinderungen angeboten wird. Ich brauch‘ in der Mensa also nur zu sagen, dass ich Assistenz benötige, dann kommt jemand zu mir an den Tisch, liest mir die Speisekarte vor und bringt mir das Essen. Für mich ist das wirklich super, denn die Mensa ist riesig und hat viele verschiedene Stationen. Auch wenn die Assistenz mich begleiten würde, wäre es für mich immer noch stressig, mein Essen selbst zu holen. Und das passiert alles von selbst, ich habe nichts dafür gemacht. Es ist völlig selbstverständlich, dass es diese Assistenzleistungen gibt.
Wie gelingt es Ihnen, Kontakte zu knüpfen?
Ich habe mein Zimmer im 15. Stock des Wohnheims. Wenn ich im Lift mit jemanden zum Plaudern komm‘ und ich treff‘ die Person zwei, drei Tage später irgendwo wieder, dann redet sie mich an. Sagt hi, wir kennen uns und stellt sich mit Namen vor.
Die Leute gehen also auf mich zu. Das ist für mich super, denn ich kann nicht auf die anderen zugehen und erkenne sie auch nicht wieder, wenn ich mich nur einmal kurz mit ihnen unterhalten habe.
Die Leute sind viel offener und extrovertierter hier. Wenn ich unterwegs bin, reden mich immer wieder Leute an. Es ist aber nicht so, dass sie nervig sind oder mir etwas aufdrängen wollen. Sondern sie interessieren sich für mich.
Am Berklee College of Music gibt es wie an anderen Universitäten verschiedene Studienrichtungen und Institute. Sie haben sich am dortigen Global Jazz Institut beworben, wo jedes Jahr nur 20 Studierende aufgenommen werden. Das Auswahlverfahren ist hart und aufwändig. Wer dort aufgenommen werden möchte, muss aber nicht nur herausragende Leistungen am Instrument erbringen.
Ja, es geht auch um die Persönlichkeit der Musikerin oder des Musikers und darum, was ich mit meiner Musik bewirken, ausdrücken und verändern will. Ein Hauptfach ist der Einzelunterricht und Ensemble spielen. Aber wir haben noch ein zweites Hauptfach, es heißt im Englischen Social Activism. Man könnte es im Deutschen als gesellschaftliches Engagement bezeichnen. Wäre nicht gerade die Corona Pandemie, würden wir in Krankenhäusern oder Gefängnissen Musik machen. Wir setzen uns aber auch theoretisch damit auseinander, welchen Einfluss die Musik auf Menschen hat, die an Alzheimer leiden. Oder welche Wirkung sie auf die Intelligenz und das Lernen hat, wenn Kinder ein Instrument spielen oder singen.
Um noch einmal auf das Herzstück Ihrer Ausbildung am Global Jazz Institut zu kommen. Was möchten Sie mit Ihrer Musik bewirken?
Ich möchte informieren und aufklären, ich möchte zeigen, dass eine blinde Person genauso alles machen kann wie eine sehende Person. Mit meinem Podcast: Blind. So What? betreibe ich das schon. Allein, dass ich auf Social Media-Kanälen wie Facebook und Instagram präsent bin, zeigt den anderen, ah, da ist eine blinde Bassistin.
Es ist ja so, dass sich viele Leute einfach nicht trauen, einen blinden Menschen zu fragen, wie machst du dieses oder jenes. Das ist aber wichtig. Also für mich als Musikerin ist es wichtig, dass sich andere mit dem Thema Blindheit auskennen. Und meine Masterarbeit hier am Global Jazz Institut ist ein Projekt über das Thema Musik und Blindheit.
Worum geht es in dieser Masterarbeit, in dieser Abschlussarbeit genau?
Es geht darum, was mich als blinde Musikerin ausmacht. Was ich anderen Menschen, insbesondere anderen MusikerInnen zeigen und geben kann. Es geht um meine Zugänge zur Musik. Ich belege hier auch ein Fach, wo es um assistive Technologien geht, also um technische Hilfsmittel für blinde MusikerInnen. Das Fach wird von einem blinden Musiker unterrichtet und wir lernen, wie wir eine bestimmte Software verwenden können, um Noten zu schreiben oder eine CD zu produzieren. Das ist für mich als blinde Musikerin ein ganz besonders spannender und wichtiger Bereich. Das war auch der Grund, warum ich das erste Mal hierhergekommen bin. Dann habe ich Leute kennengelernt, die am Global Jazz Institut studiert haben. Das hat mich sehr fasziniert und inspiriert. Deshalb habe ich mich dann für dieses Masterprogramm beworben.
Was bedeutet es für Sie als Person und als Musikerin, am Global Jazz Institut zu studieren, wo Sie mit ganz bedeutenden Jazz MusikerInnen arbeiten können?
Jedes Jahr erhalten nur 20 Leute diese Möglichkeit. Es ist für mich wirklich eine große Ehre, dass ich dabei sein darf. Und es ist für mich genau das richtige Studium. Denn ich wurde hier nicht nur aufgenommen, weil ich gut am Bass bin, sondern weil ich als Person überzeugt habe. Weil sie mich hier als Ganze wollen und nicht nur als Bassistin.
Es ist ja so, dass ich für so durchschnittliche Jobs, wo man Gigs spielt, selten gefragt werde, und zwar weil ich blind bin.
Das kann ein anderer genauso und es ist für alle Beteiligten einfacher, denn er kann selber sein Instrument und sein Zeug tragen und sich um seine Sachen kümmern. Aber hier am Global Jazz Institut ist meine Persönlichkeit genauso gefragt wie meine Könnerschaft am Bass. Ich kann hier unglaublich viel lernen, denn in meiner Karriere wird es immer auch um mich als Mensch, als Person gehen.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Allzu viel Freizeit habe ich nicht, muss ich sagen. Die Vorlesungen fangen um neun oder um zehn Uhr am Vormittag an und gehen bis zum frühen Abend. Wir bekommen auch in jedem Fach Aufgaben, wir müssen üben, lesen und Arbeiten schreiben. Dafür habe ich oft erst am Wochenende Zeit. Außerdem muss ich meine Masterarbeit bis Juni fertig machen. Oder wenn eine Band eine Bassistin braucht, bin ich gerne dabei. So komme ich zum Spielen, wir proben und machen Studioaufnahmen. Es ist wirklich viel los. Also, wenn ich Zeit habe, besuche ich manchmal drei Freunde, die mit mir am Institut studieren und wir essen zusammen oder ich schau ein bissl Netflix. Manchmal mache ich auch mit meinen österreichischen Freunden einen online Spieleabend. Aber wie gesagt, viel Zeit bleibt nicht.
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg am Berklee College of Music.
Ciara Mosers Podcast Blind. So what? ist in englischer Sprache und auf ihrer Website zu finden.
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