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Home sweet home
Ob eine neue Wohnung bezogen, ein Teil der alten renoviert oder umgestaltet werden soll - neben der Freude auf ein neues Wohngefühl ist mit solchen Veränderungen auch immer jede Menge Aufwand verbunden. Ein solches Projekt erfordert viel Zeit und Geld, und manchmal benötigt man auch jede Menge Nerven.
Die Gestaltung von Wohnraum ist für jede und jeden wichtig und fordert viel persönlichen Einsatz. Dies umso mehr, wenn man nur sehr wenig oder gar nichts sehen kann. Welche Materialien sind schön und doch pflegeleicht? Welche Möbel passen in den Raum und wie finde ich die richtigen Vorhänge dazu? Was brauche ich, um mich wohl zu fühlen? Fragen über Fragen.
Die VeranstalterInnen von "Home sweet home", die am 23. Mai 2019 in den Räumlichkeiten des BSV Wien, Niederösterreich und Burgenland abgehalten wurde, hatten es sich zur Aufgabe gestellt, viele Fragen im Zusammenhang mit dem Thema Wohnen zu beantworten. Eine Reihe von AusstellerInnen sowie Fachvorträge widmeten sich engagiert den Fragen der zahlreichen BesucherInnen - natürlich unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse stark sehbehinderter und blinder Menschen.
Was es mit dem Modell aus Legosteinen vor dem Eingang zum Saal auf sich hatte, war rasch geklärt: Hier hatte nicht jemand ihrem / seinem Spieltrieb freien Lauf gelassen, sondern die Anordnung der einzelnen Stationen im Saal sowie die Durchgänge zum Vortragsraum nachgebildet. Normalerweise müssen sich sehbehinderte und blinde Menschen bei Ausstellungen einfach durchfragen, weil sie ja keine Pläne lesen können. Wie einfach es mit ein wenig Kreativität sein kann, dem Zielpublikum eine möglichst gute Orientierung zu ermöglichen, hat Frau Wahl, Trainerin für lebenspraktische Fähigkeiten, mit diesem Modell anschaulich demonstriert.
Gut geplant ist halb gewohnt
Meist setzen bei der Wohnraumgestaltung räumliche Verhältnisse und nicht zuletzt der Geldbeutel klare Grenzen. Umso wichtiger ist es, die vorhandenen räumlichen und finanziellen Ressourcen möglichst effizient einzusetzen.
Was liegt also näher, als fachlichen Rat einzuholen. Üblicherweise wird eine Skizze des Raums oder der Wohnung angefertigt und ein Vorschlag für die Möblierung eingezeichnet. Stoffmuster werden besorgt und die Spitze des Kugelschreibers zeigt im Laufe des Gesprächs mal hierhin, mal dorthin, um die Vorschläge zu erläutern, zu besprechen und dem KundInnenwunsch anzupassen.
Wenn man schlecht oder gar nicht sehen kann, funktioniert diese Art der Kommunikation sicher nicht. Das Einrichtungsteam Katzmaier hat sich deshalb etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Das Unternehmen fertigt bei Bedarf maßstabgetreue Modelle aus unterschiedlichen Hölzern an und schafft so eine Kommunikationsbasis besonderer Qualität. Nachdem sich die tastenden Hände einen Überblick verschafft haben, ist es ganz einfach, gemeinsam über Änderungswünsche oder Vorschläge zu diskutieren. Mit Hilfe des dreidimensionalen Holzmodells haben auch blinde KundInnen kein Problem, mit dem Finger eine Schranktür zu bezeichnen, an deren Stelle sie gerne drei Schubladen hätten und so die endgültige Gestaltung sozusagen auf Augenhöhe zu besprechen. Das Modell ist so detailgetreu, dass im Bett sogar eine selbst angefertigte Matratze liegt und ich nicht widerstehen kann, probehalber am Griff der Nachttischschublade zu ziehen. "Wir fertigen aber Modelle und keine Puppenstuben", schmunzelt Rita Katzmaier, Chefin des seit 1860 bestehenden Familienbetriebs.
Möbel sind jedoch nur ein Teil dessen, was ein behagliches Heim ausmacht. "Katjas Welt" bietet nicht nur Tipps zum Thema Wohnraumgestaltung. Bei Katja Gatterer erhält man auch Hilfe zur Vernetzung mit HandwerkerInnen und sogar Begleitung beim Einkauf, wenn dies gewünscht ist. Gerade wer keine Farben sehen kann oder diese wegen einer Farbfehlsichtigkeit nicht richtig wahrnimmt, möchte schließlich sichergehen, keine allzu abartigen Kombinationen zu kreieren. Man will sich ja nicht nur selber in den eigenen vier Wänden wohl fühlen, sondern dies auch seinen GästInnen ermöglichen.
Und wenn wir schon beim Thema Wohlfühlen sind, sei auch gleich auf die "Duftpraxis Huberta Kunkel" hingewiesen. Essensdüfte sind mitunter äußerst appetitanregend; der Zwiebelduft von gestern kommt beim Kaffeekränzchen aber eher schlecht an. Aber Düfte können letztlich weit mehr, als unerwünschte Aromen zuzudecken. Sie haben auch Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Wenn schon vom Kochen die Rede ist, darf ein Besuch bei Petra Etzenberger nicht fehlen. Sie ist selbst blind und weiß daher genau, was Mann oder Frau in der Küche und im Haushalt gut gebrauchen kann. Die vielen kleinen Helfer sind meist keine speziellen Hilfsmittel für blinde Menschen, sondern handelsübliche Produkte, von deren Vorhandensein man aber erst einmal erfahren muss. Wiegen und Messen ist in der Küche besonders wichtig. Um Flüssigkeiten abzumessen, dienen üblicherweise Messbecher mit optischer Markierung des Füllstands. Blinden Menschen helfen hier kleine Gefäße mit fixem Volumen.
Den einen oder anderen speziellen Helfer wie sprechende Kurzzeitmesser oder einen Waffelautomaten mit akustischen Signalen gibt es dann aber doch. Viele davon sind auch im Hilfsmittel-Shop des BSVWNB erhältlich.
Apropos Kochen: Schön wäre es natürlich, immer frische Kräuter zu haben. Also rasch einen Abstecher nach nebenan zu HerBios. Hier erfährt man alles über Gärtnern auf kleinstem Raum. Es ist faszinierend, was auf einem knapp einen Meter breiten vertikalen "Garten" wachsen kann. Selbst auf dem kleinsten Balkon ist dafür vermutlich noch Platz. Wie Mutters Gewürzkasten hängt der kleine Garten an der Wand und liefert jederzeit frische Kräuter. Wer will, kann auch noch ein intelligentes Bewässerungssystem installieren lassen, um ruhigen Gewissens in den Urlaub zu fahren. Diese Methode bietet mehrere Vorteile: Der Minigarten versorgt uns mit frischen Zutaten, das Mikroklima wird verbessert und wer ohne zu sehen in die Erde fasst, läuft nicht Gefahr, eine schleimige Schnecke zwischen die Finger zu bekommen.
Jetzt benötigen wir noch Lebensmittel. Diese im Supermarkt einzukaufen, ist gerade für blinde Menschen äußerst stressig. Wenn man Beschriftungen nicht lesen kann, gestaltet sich das Auffinden von Produkten als Detektivarbeit. Dosen schütteln, versuchen, den schwappenden Geräuschen zu entnehmen, ob sich Tomaten oder Pfirsiche darin befinden, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Tja, spannende, unkonventionelle Gerichte könnten entstehen; dennoch, in einer Pastasauce wären Tomaten sicherlich die geeignetere Zutat. Wer sich nicht auf gut Glück und mit viel Zeitaufwand alleine durch den Supermarkt quälen möchte, findet vielleicht eine nette Begleitung zur Unterstützung.
Aber es geht auch anders: Supermärkte wie Billa oder Merkur bieten seit langem die Bestellung online an. Hier können auch blinde KäuferInnen nach Herzenslust stöbern und vor allem Produkte zielsicher identifizieren. Vorausgesetzt natürlich, die Webseite ist barrierefrei gestaltet. Die Lieferung kommt dann ins Haus und Überraschungen, was den Inhalt von Dosen betrifft, sind eher unwahrscheinlich.
Wir haben also die Lebensmittel eingekauft und müssen nun noch dafür sorgen, dass auch zu Hause keine unangenehmen Verwechslungen passieren. Immerhin sehen viele Verpackungen, nicht nur Dosen, sehr ähnlich aus. Beschriften und Kennzeichnen ist also angesagt. Susanne Buchner-Sabathy und Grete Waba ermutigen zur Nutzung der Braille-Schrift. Und wer diese nicht gut beherrscht, kann mit den sechs Punkten auch kreative gut unterscheidbare Muster schaffen, es muss ja kein Schriftzug sein. Hauptsache, man weiß über den Inhalt Bescheid.
Frau Wahl, die Expertin für lebenspraktische Fähigkeiten, setzt vor allem auf Methoden. Sie weiß, dass jeder Mensch sein individuelles Ordnungssystem finden muss. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ob nun farbige Markierungspunkte für KlientInnen mit Sehrest oder eine große Box mit vielen Fächern zum Sortieren, Klebebänder, Strasssteinchen in unterschiedlichen Formen oder in Kleidungsstücke eingenähte Knöpfe, um sie auseinander zu halten - in ihrem Sortiment gibt es nichts, das es nicht gibt. Sie liebt es durch Geschäfte zu streifen und Ausschau nach Dingen zu halten, die sich zum Markieren von Gegenständen eignen. "Methode" bedeutet für sie auch, die richtige Ausleuchtung zu finden, Gegenstände so unterzubringen, dass sich niemand daran verletzen kann. Aber auch eine "Tabuzone", an die niemand rühren darf, kann helfen, dass sich blinde Menschen nicht nur gut zurechtfinden, sondern sich in ihrer Umgebung wohl und zu Hause fühlen.
Sauber soll das Zuhause natürlich auch sein. Die Firma Vorwerk präsentierte ihre neuesten Staubsauger und führte auch vor, wie sie blind zu handhaben sind.
Die SpezialistInnen für technische Hilfsmittel für sehbehinderte und blinde Menschen bei der Firma Videbis wissen, wie wichtig für Menschen mit Sehbehinderung eine korrekte Ausleuchtung ist. Sie haben neben den zahlreichen Hilfsmitteln auch einen Optikermeister zur Ausstellung mitgebracht, der individuell auf KundInnenwünsche eingehen und beraten kann.
Martin Mayrhofer, Mitarbeiter bei Videbis, informierte in einem Vortrag über das "smarte Heim". Ob nun Alexa von Amazon oder spezielle Apps auf einem Smartphone - nahezu alles lässt sich heute entweder per Spracheingabe oder Tastendruck am Smartphone steuern. Fernseher, Stereoanlage, Heizungsthermostat und Beleuchtung, ja sogar Herd, Geschirrspüler und Waschmaschine lassen sich mit den smarten Helfern auch blind steuern.
Alles sicher?
MitarbeiterInnen der Kriminalpolizei informierten im Rahmen eines Vortrags über geeignete Methoden zum Schutz des Heims. Die Palette reicht vom Bügelschloss über Sicherheitstüren bis hin zu Alarmanlagen. Noch wichtiger ist es aber, niemanden in die Wohnung zu lassen - schon gar nicht Personen, die sich als KriminalpolizistInnen ausgeben. "Die Polizei kommt nicht unangemeldet ins Haus", wird uns versichert, es sei denn, Gefahr ist in Verzug.
Tipps gab es auch zum Personenschutz. Wer nicht sehen kann, kann vor potenziellen VerfolgerInnen auch schwer davonlaufen. In solchen Situationen kann es helfen, durch Lärm Aufmerksamkeit zu erregen. Schon eine laute Trillerpfeife kann potenzielle TäterInnen in die Flucht schlagen. Auch ein entsprechend sicheres Auftreten verringert die Gefahr zum Opfer zu werden, wissen die Fachkräfte.
"Home sweet home" präsentierte sich als eine sorgfältig geplante und mit viel Know-how durchgeführte Veranstaltung zum Thema schön und sicher wohnen, aus der selbst erfahrene "alte Hasen" noch eine Menge guter Tipps mit nach Hause nehmen konnten.
Bildergalerie der 1. Wohnmesse für blinde und sehbehinderte Menschen (facebook)
Danke an das Dehner Garten-Center für die vielen schönen Blumendekorationen!
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