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„Ich geh’ immer gern dorthin, wo sich die blinden Leute zusammenfinden.“
Anna und Franz Schöffmann
Anna und ihr Mann Franz begehen heuer ihre 50jährige Mitgliedschaft beim BSV.
Bereits in der Schule, bereits im Bundesblindeninstitut (BBI), erzählt Anna Schöffmann, habe sie erfahren, dass der Verband Menschen unterstütze, die blind oder sehbehindert sind. „Wir waren immer wieder bei Weihnachtsfeiern, beim Blindenball oder bei den monatlichen Versammlungen. Früher hat es auch eine Frauenrunde gegeben, wo ich dabei war. Man trifft einfach Leute dort.“ Natürlich sehe man sich auch privat. Im Lauf der Zeit lerne man aber immer mehr Menschen kennen, die blind oder sehbehindert sind und der BSV sei ein idealer Ort, sich bei Veranstaltungen oder Festen wieder zu begegnen.
Anna und Franz lernen sich als Jugendliche im BBI kennen, und zwar als sie dorthin fahren, um sich für die Schule und das Internat anzumelden. Sie warten, begleitet von Verwandten, vor der Direktion. Franz beginnt ein Gespräch und sie stellen fest, dass sie beide aus Oberösterreich kommen. Zu Schulbeginn sitzen sie dann in derselben Klasse und mit 17 Jahren „hat sich die Liebe dazugeschlagen“, so Anna Schöffmann.
Wie war das für die damals 14jährige, von daheim, von Ebensee, einer Marktgemeinde am Traunsee, wegzugehen und ins Internat und in die Schule nach Wien zu kommen? Nein, es sei für sie keine große Umstellung gewesen, sagt Anna Schöffmann, die mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Denn sie, die aufgrund einer erblich bedingten Erkrankung zwar eingeschränkt, aber doch sehen kann, sei mit einem ganz bestimmten Ziel ins BBI gekommen.
„Ich hab‘ mir gesagt, da sind viele blinde Kinder und diesen Kindern kann ich in meiner Freizeit vorlesen oder ich kann mit ihnen spazieren gehen.“
Inzwischen ist ihr Sehvermögen viel geringer als damals, selbst mit der Lupe kann sie nicht mehr lesen, was bis vor einigen Jahren noch möglich gewesen ist.
Ein großes Herz für Kinder
Dieses Engagement für Kinder, für andere Menschen zieht sich durch Anna Schöffmanns Leben. Als 16jährige junge Frau lernt sie ein dreijähriges blindes Mädchen kennen. Die Kleine ist in einem Heim untergebracht. Als Anna ihrer Mutter von Hedi erzählt, antwortet diese: „Bring die Kleine doch mit, für sie haben wir auch noch Platz.“ Was im Jahr 1969 beginnt, dauert bis heute an. Damals wird das kleine Mädchen in Annas Familie aufgenommen, verbringt viel Zeit dort und empfindet Anna als ihre große Schwester. Im Alter von sechs Jahren kommt Hedi an das BBI, es ist Annas letztes Jahr. Sie schließt ihre Ausbildung als Telefonistin und Stenotypistin ab und beginnt bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) zu arbeiten. Zwei Jahre später heiraten sie und Franz.
„Wir feiern, so Gott will, in zwei Jahren unsere goldene Hochzeit.“
Solange Hedi am BBI ist, verbringt sie immer wieder ein Wochenende bei Anna. Und nicht nur sie allein, oft darf die Kleine noch jemanden mitbringen. „Ich wollte, dass die Hedi am Wochenende auch ihren Spaß mit ihren Freundinnen hat. So hatte ich dann zwei oder drei Kinder am Wochenende bei mir. Das hat gut gepasst, denn mein Mann war immer mit dem Sport unterwegs.“
1980 werden Anna und Franz Eltern. Ihre Tochter Birgit ist ebenfalls Mutter einer Tochter. Die Enkelin, inzwischen eine junge Frau, verbringt als Kind viel Zeit bei der Oma. „Kinder“, so Anna Schöffmann, waren halt immer meine Leidenschaft und mein Interesse.“ War es aufgrund der Sehbehinderung schwierig für sie, sich um die Tochter zu kümmern und auf die Enkelin aufzupassen? „Nein, das war kein Problem. Ich glaube auch deshalb nicht, weil mir mein Kinderwunsch und meine Freude an Kindern schon in die Wiege gelegt wurde.“ Es ist jedoch nicht leicht, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme, Herzrhythmusstörungen treten auf. Die Belastungen sind zu groß. „Ich habe dann nach 15 Jahren bei der PVA um eine krankheitsbedingte Pensionierung angesucht, die ich bekommen habe. Aber ich wäre auch sonst zuhause geblieben. Denn wir wollten unser Kind nicht in den Hort geben, sondern am Nachmittag selber betreuen.“
Vom Allroundsportler zum Multifunktionär
Franz Schöffmann wird als junger Mann von einem Freund mit dem „Sportvirus infiziert“ und lässt fast keine Sportart aus. Bald tritt er bei Wettkämpfen an, sei es in der Leichtathletik, im nordischen wie alpinen Skilauf, beim Schwimmen oder Schießen und beim Torball, auch Goalball genannt. „Ich hab viel öfter verloren als gewonnen“, fasst er seine Sportlerkarriere zusammen.
„Aber ich finde, verlieren bildet einen Menschen mehr als gewinnen. Gewinnen ist einfach. Zweiter, Dritter oder Letzter zu werden, muss man erst einmal verarbeiten.“
Er ist stolz darauf, dass er dreimal einen Marathon gelaufen ist, aber am meisten zählt, dass ihm das Sporteln Spaß macht.
Wenn man am Land aufwächst, sei man es eben gewohnt, sich auszutoben. „Ich war ja als Bub ein freiwilliger Knecht am Bauernhof unseres Nachbarn“. Im Alter von acht oder neun Jahren fängt er an, dort mitzuarbeiten. Er legt mit der Gabel Mist auf, er schleppt schwere Getreidesäcke über die Stiege hinauf, greift überall an, wo man ihn braucht. „Mir hat das unheimlich Spaß gemacht.“ Doch als er 13 ist, ändert sich dies völlig. Zunächst wird an einem Auge die Linse entfernt, einige Monate später löst sich die Netzhaut ab und er verliert auf diesem Auge sein Sehvermögen. Als er bald darauf ins BBI nach Wien kommt, ändert sich sein Leben drastisch. „Auf dem Land zu leben bedeutet Freiheit. Im Internat, im BBI zu sein heißt eingeschlossen sein, bedeutet Unfreiheit.“ Aber er findet bald Freunde, spielt so oft wie möglich im Garten Fußball und macht das Beste aus der Situation.
Der Oberösterreicher wächst gemeinsam mit einer älteren Schwester in der Nähe von Wels auf. Außer den beiden gibt es noch einen älteren Bruder, den Franz nie kennenlernt. Aber der Schmerz über dessen frühen Tod, der Schmerz seiner Eltern über den Verlust des Kindes bewegt ihn tief. „Das war für meinen Vater ein ganz, ganz schwerer Schlag. Meine Eltern sind dann später in ein Kinderheim gegangen. Dort ist ein kleines Mädchen auf meinen Vater zugelaufen und das war seine Rettung. Sie haben das Kind adoptiert, meine ältere Schwester. Ich glaub, sonst wär mein Vater am Tod meines Bruders zugrunde gegangen. Meine Eltern haben 1931 geheiratet, aber erst 1949 ist ihr erstes Kind gekommen und das ist dann mit elf Monaten an Diphterie gestorben.“ Es grenzt fast an ein Wunder, dass das Leben diesem Paar doch noch eine Tochter und einen Sohn geschenkt hat.
Nicht nur im Sport, auch im Berufsleben stellt sich der junge Mann den Herausforderungen. Er beginnt seine Berufslaufbahn am Klinischen Institut für Pathologie der Universität Wien. Später wechselt er in die Ärztliche Direktion des Allgemeinen Krankenhauses (AKH). Dort hat er einen Chef, dem es wichtig ist, dass sich die MitarbeiterInnen entwickeln und entfalten können. „Am Anfang hab ich dort nur einfache Korrespondenz auf Deutsch geschrieben. Aber davor auf der Pathologie hab ich bereits Sachen mit vielen medizinischen Fachausdrücken und immer wieder Texte auf Englisch geschrieben. Ich hab mich weitergebildet, hab beim BSV einen Englischkurs gemacht. Ich hab dem Chef also gesagt, dass ich mich unterfordert fühle.“
Franz Schöffmann erhält neue Aufgaben. Es werden ihm das Beschwerdewesen und die Protokollführung bei den Sitzungen der Spitalsleitung übertragen. Später übernimmt er noch die Verwaltung der klinischen Studien. Er ist ein genauer und verlässlicher Mitarbeiter. Was motiviert ihn, neue Herausforderungen anzupacken? „Mein Credo lautet: Wissen ist Macht. Wenn ich mich blöd anstelle, bin ich der Wurschtl. Wenn ich mich entsprechend einbringe, bin ich akzeptiert.“ Sein Chef sei für ihn der ideale Chef gewesen. „Weil er zu mir gesagt hat, ich soll das machen, was ich besonders gut machen kann. Und die Dinge, die ich aufgrund der Sehbehinderung nicht so gut kann, sollen andere übernehmen. Das hat immer gut funktioniert.“
Franz Schöffmann engagiert sich nicht nur beruflich, sondern auch im Behindertensport. Er übernimmt im Versehrtensportklub ASVÖ-Wien viele verschiedene Aufgaben, vom langjährigen Obmann bis zum Ehrenobmann. Und im Wiener Behindertensportverband vom Kassier bis zum Vizepräsidenten und Rechnungsprüfer, phasenweise hat er mehrere Ämter gleichzeitig inne. Was bewegt ihn, sich in seiner Freizeit zu engagieren?
„Ich wollte etwas zurückgeben. Ich hab ja als aktiver Sportler von der Verbandsarbeit anderer profitiert. Und später hat mich der Erfolg motiviert.“
Es gelingt ihm und seinen MitstreiterInnen, viel höhere Subventionen für den Verband zu bekommen als bis dato. Sie arbeiten gut zusammen, ziehen an einem Strang und wollen für die SportlerInnen das Beste erreichen. Lachend erzählt der ehemalige Multifunktionär, dass die anderen gejammert hätten, als er angekündigt hatte, seine Tätigkeit zu beenden. Aber so sei es nun einmal, erstens sei er bald 70 Jahre alt und zweitens verbringen er und seine Frau nur ein halbes Jahr in Wien.
In der warmen Jahreshälfte leben die Schöffmanns in Oberösterreich, im Elternhaus von Franz Schöffmann. „Die Schwiegereltern“, so Anna Schöffmann, „haben das Haus auf ihre Kinder und Schwiegerkinder aufgeteilt, da ist für jedes ein Viertel herausgekommen. Und wir haben es uns dort für unsere Pension gemütlich hergerichtet.“ Die beiden anderen leben das ganze Jahr dort, betreuen den Garten und haben immer ein Auge auf die zweite Haushälfte. Franz und Anna, die seit ihrer Jugend in Wien leben, haben jetzt wieder ein Zuhause in Oberösterreich.
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