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„Ich geh in meinem Beruf total auf.“
Interview mit Sylwia Pietr und Lukas Sukal
Die Tastuntersuchung wird, neben anderen Methoden, eingesetzt, um Brustkrebs möglichst früh zu erkennen und die Brustgesundheit zu fördern. Wie, Frau Pietr, kann man sich Ihre Tätigkeit genau vorstellen?
Sylwia Pietr: Wir führen Beratungsgespräche zum Thema Brustgesundheit. Wir leiten Frauen an, wie sie sich selbst einmal im Monat sachkundig abtasten können. Und wir führen Tastuntersuchungen durch. Das machen wir zum Beispiel in einer gynäkologischen Praxis, in einer Klinik oder in einem Diagnosezentrum. Wir haben ungefähr 45 Minuten Zeit, die weibliche Brust zu untersuchen.
In Wien gibt es zurzeit vier Standorte, wo Frauen sich für diese Tastuntersuchung anmelden können. Wenn eine Dame zu mir kommt, begrüße ich sie zunächst, dann erkläre ich ihr, was ich machen werde und wenn sie etwas von mir wissen will, beantworte ich ihre Fragen. Am PC fülle ich den Anamnesebogen anhand von Standardfragen aus, also ob sie Kinder geboren hat, ob sie Hormone nimmt oder ob es eine OP an der Brust gegeben hat. Dann beginne ich mit dem Abtasten, zuerst die Lymphknoten und anschließend die Brust.
Frau Pietr, Sie haben eine genetisch bedingte Sehbehinderung und eine Seheinschränkung von 80 Prozent. Sie haben auch Kolleginnen, die blind sind. Wie ist es möglich, dass eine MTU, die blind oder sehbehindert ist, die weibliche Brust systematisch und vollständig abtasten und jene Stelle genau dokumentieren kann, wo etwas Auffälliges festgestellt wird?
Sylwia Pietr: Das mache ich mithilfe von Orientierungsstreifen, die ich an der weiblichen Brust anbringe. Es handelt sich dabei um Spezialklebestreifen, die mit Braillezeichen versehen sind. Dann taste ich Zentimeter für Zentimeter in drei Gewebeschichten die komplette Brust ab.
Diese Streifen brauche ich, um mich zu orientieren und um genau angeben zu können, wo ich etwas Auffälliges ertaste.
Wenn ich Gewebsveränderungen ertaste, trage ich diese in den Befundbogen ein. Ich dokumentiere die Brustuntersuchung am PC und leite alles an den Arzt oder die Ärztin weiter. Wenn ich fertig bin, sage ich der Patientin, dass der Arzt oder die Ärztin die Untersuchung noch mit ihr besprechen wird. Nur der Arzt kann eine Diagnose erstellen und leitet, wenn nötig, weitere Schritte ein. Unsere Aufgabe ist es, ganz genau zu tasten, zu dokumentieren und mit dem Arzt oder der Ärztin zusammenzuarbeiten.
Sie arbeiten 25 Stunden pro Woche und sind bei discovering hands angestellt. Diese Initiative wurde vom deutschen Gynäkologen Frank Hoffmann ins Leben gerufen. Sie bildet, in Zusammenarbeit mit dem Beruflichen Kompetenzzentrum des BSVWNB, blinde und sehbehinderte Frauen zur MTU aus. Und zwar nach dem Motto: Eine Behinderung wird zur Begabung und fördert die Gesundheit. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diesen Beruf zu ergreifen, der in Österreich noch wenig bekannt ist?
Sylwia Pietr: Ich hab’ ja Friseurin gelernt, später eine Familie gegründet und drei Kinder bekommen. Wie meine jüngste Tochter im Kindergarten war, bin ich zur Beruflichen Assistenz vom Blinden- und Sehbehindertenverband gegangen und hab gesagt, ich brauch etwas, ich möchte etwas Neues machen und mich weiterentwickeln. Damals habe ich zum ersten Mal von dieser Ausbildung gehört. Ich hab schon immer gern mit Menschen zu tun gehabt. Masseurin wollte ich nicht werden. Aber die Vorstellung, mit Frauen zu arbeiten und etwas für die Brustgesundheit zu tun, hat mir gefallen und so habe ich mich für die Ausbildung beworben.
Noch bis 1. Februar 2022 kann man sich beim Beruflichen Kompetenzzentrum der Beruflichen Assistenz & Akademie BSV GmbH für den nächsten Ausbildungslehrgang bewerben, der im Juli starten soll. Dort findet auch das Auswahlverfahren für die Ausbildung statt, die zehn Monate dauert und aus Theorie und Praxis besteht. Herr Sukal, Sie leiten das Berufliche Kompetenzzentrum. Welche Voraussetzungen müssen die Bewerberinnen erfüllen?
Lukas Sukal: Die Bewerberinnen benötigen einen positiven Pflichtschulabschluss, gute EDV- und Deutschkenntnisse, eine entsprechende Motivation und sie müssen ihre Betreuungspflichten mit der Ausbildung vereinbaren können.
Es handelt sich um eine anspruchsvolle Ausbildung in einem Gesundheitsberuf.
Sie ist praktisch ein Vollzeit-Job, sie beginnt, sagen wir, um halb neun und dauert bis halb vier am Nachmittag. Deshalb führen wir mit jeder Bewerberin ein ausführliches Beratungsgespräch, um all diese Fragen zu besprechen. Außerdem machen wir einen Kompetenzcheck. Jede Bewerberin kann dann sehen, wo sie steht und ob sie sich auf dem einen oder anderen Gebiet noch etwas aneignen muss. Sei es bei den EDV- oder Sprachkenntnissen, bei der Orientierung und Mobilität oder wenn es darum geht, erforderliche Hilfsmittel zu verwenden.
Dieser Kompetenzcheck und das Assessment Center finden heuer Anfang März statt. Und wenn sich zeigt, dass die Person für den Beruf grundsätzlich geeignet ist, aber in bestimmten Bereichen Lücken hat, bieten wir einen Vorbereitungskurs an. In den vier Monaten zwischen Assessment und Ausbildungsbeginn könnten diese Lücken dann noch gefüllt werden.
Das Auswahlverfahren, das Assessment Center, startet heuer am 7. März und dauert fünf Tage. In der Woche davor findet der Kompetenzcheck statt. Beides ist für die Bewerberinnen kostenlos. Beim Kompetenzcheck wird geklärt, ob die Bewerberin die erforderlichen Voraussetzungen mitbringt bzw. was sie sich noch aneignen müsste. Beim Assessment Center wird geschaut, ob die Person für diesen speziellen Beruf geeignet ist. Wie, Frau Pietr, ist es Ihnen damals beim Auswahlverfahren ergangen?
Sylwia Pietr: Damals war der Beruf in Österreich noch ganz unbekannt. Ich hab mir gedacht, oje, wie wird das ablaufen, was erwartet mich. Wir haben einige Übungen am PC und Rollenspiele gemacht sowie etliche Gespräche geführt.
Besonders ausführlich aber waren die Tastübungen, die wir an einem Modell einer Brust durchgeführt haben.
Wir mussten versuchen, die Kügelchen oder die sehr kleinen ovalen Teilchen zu ertasten, die in diesem Modell der weiblichen Brust drinnen waren. Es wurde sehr genau geschaut, wie wir tasten und was wir ertasten. Es ging also ganz stark um diese taktilen Fähigkeiten.
Als Sie mit Ihrer Ausbildung begonnen haben, waren Ihre beiden älteren Kinder in der Schule und das jüngste noch im Kindergarten. Jetzt mussten Sie selbst wieder die Schulbank drücken und sich mit Anatomie, Gynäkologie oder mit Physiologie beschäftigen, um nur einige Fächer zu nennen.
Sylwia Pietr: Wie ich all die lateinischen Namen gehört habe, habe ich mich überhaupt nicht ausgekannt. Ich bin am ersten Tag nachhause gekommen und habe gesagt: „Nein, das schaffe ich nicht.“ Aber die Trainerinnen und die Ausbildnerinnen waren so super. Sie haben zu mir gesagt: „Sylwia, die theoretische Ausbildung dauert sieben Monate, du hast genug Zeit und wir unterstützen dich wo wir können. Du wirst das schon schaffen.“ Ein bissl hat´s gedauert. Aber wie ich dann angefangen habe zu verstehen, worum es geht, war die Blockade weg und es ist dann sehr gut gegangen. Wobei ich schon sagen muss, dass die Anatomie für mich echt schlimm war. Es war für mich wirklich schwer, die lateinischen Bezeichnungen zu lernen, alles andere hat mir Spaß gemacht.
Das Berufliche Kompetenzzentrum unterstützt die Frauen während der Ausbildung in unterschiedlicher Weise. Herr Sukal, was genau wird angeboten und gemacht?
Lukas Sukal: Wir bereiten das Lehr- und Lernmaterial auf, so wie es die jeweilige Person braucht. Also entweder digital, in Braille- oder Großdruck. Die Ausbildungsteilnehmerinnen können sich ein Modell ausborgen, um das Ertasten auch zuhause zu üben. Wir unterstützen beim Lernen lernen, also welcher Lerntyp man ist und wie man am besten lernt. Wir helfen aber auch beim Erarbeiten bestimmter Stoffgebiete, wenn sie also in einem konkreten Fach Hilfe benötigen. Wir bieten Coaching- und Motivationsgespräche während der gesamten Ausbildung an. Wir organisieren ein Orientierungs- und Mobilitätstraining, wenn dies erforderlich ist, und wir halten Kontakt.
Nach der theoretischen Ausbildung machen die Kursteilnehmerinnen ein dreimonatiges Praktikum in einem Krankenhaus, einem Brustgesundheitszentrum oder in einer ärztlichen Praxis. Dann beginnt der Arbeitsalltag. Noch gibt es erst sehr wenige MTU und die Tastuntersuchung wird noch nicht von den Krankenkassen bezahlt. In Wien wird diese Untersuchung an vier Standorten angeboten. Für Sylwia Pietr bedeutet dies, dass sie jeden Tag an einem anderen Arbeitsplatz ist.
Sylwia Pietr: Am Anfang war es schon ein bisschen schwierig und mühsam, dass ich montags in die Arztpraxis fahre, dienstags in die Privatklinik oder donnerstags in das Diagnosezentrum. Ich war am Anfang etwas unsicher, ob ich das schaffen werde. Aber auch da sind wir unterstützt worden und ich mache inzwischen alle Wege alleine und die Mitarbeiterinnen in den verschiedenen Einrichtungen sind auch sehr hilfsbereit.
Die Arbeit mit den Patientinnen macht mir sowieso große Freude. Man ist eine Fachkraft, kennt sich aus und wird wertgeschätzt.
Ich habe ein gutes Gefühl, wenn ich nachhause gehe. Ich bin wirklich glücklich, dass ich diesen Beruf gewählt habe. Und es ist so schön zu sehen, wie stolz meine drei Töchter auf mich sind, dass ich diese Arbeit mache.
Wer sich für die Ausbildung zur MTU interessiert, kann sich noch bis 1. Februar anmelden und Informationen zum Lehrgang und zum Berufsbild erhalten.
discovering hands Österreich. T: +43 650 49 565 68
https://www.discovering-hands.at/navigation-oben/mtu-ausbildung
Info: Wo werden Tastuntersuchungen in Wien durchgeführt.
https://www.discovering-hands.at/angebot/tastuntersuchungen
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