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Eine Frau mit längeren glatten, blonden Haaren und Brille sitzt vor einer Küchenwand, sie hält ein Buch in ihren Händen, dessen Cover zur Kamera gerichtet ist.
Bildinfo: Silke Wagner, Autorin mit einem Faible für Psychothriller, mit ihrem ersten Buch. © privat / Foto zur Verfügung gestellt.

„Ich hatte die Handlung meines ersten Buches bereits kurz nach meiner OP im Kopf.“

Silke Wagner, 46 Jahre alt und im Saarland zuhause, hat in den beiden vergangenen Jahren zwei Bücher geschrieben, zwei Psychothriller, und sie hat damit Neuland betreten.

Interview mit Silke Wagner

Frau Wagner, Sie haben erst vor gut zwei Jahren mit dem Schreiben begonnen und man kann sagen, zu Ihrer eigenen Überraschung, denn bis dahin hatten Sie mit dem Schreiben nichts im Sinn.

Silke Wagner: Nein und ich hätte auch nie damit angefangen. Was ich aber schon lange und gerne in meiner Freizeit mache, ich wirke als Sprecherin bei Hörspielen mit. Also nicht professionell, sondern aus Spaß, ich mache das unentgeltlich, für bestimmte Projekte. Beruflich arbeite ich seit vielen Jahren in der Telefonzentrale einer Behörde. Ich leite also Anrufe weiter und beantworte Fragen.

Sie leben in Sulzbach im Saarland. In dieser kleinen Stadt in der Nähe von Saarbrücken sind Sie auch aufgewachsen.

Silke Wagner: Ja, hier habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht. Hier habe ich den Kindergarten besucht und war immer mitten im Geschehen, obwohl ich das einzige blinde Kind war. Wenn die anderen einmal weggerannt sind, hat mich ein Kind an die Hand genommen und so war ich stets mit dabei.

Sie sind ganz früh erblindet. Sie sind bereits im siebten Schwangerschaftsmonat Ihrer Mutter auf die Welt gekommen und Ihre Netzhaut wurde geschädigt. Man spricht von der Frühgeborenen-Retinopathie. Wie ist es nach dem Kindergarten weitergegangen?  

Silke Wagner: Ich habe in einer anderen Stadt, in Lebach, die Blindenschule besucht, war aber nicht im Internat. Ich konnte also immer zuhause Mittagessen, Hausaufgaben machen und meine Freizeit verbringen.

Was waren Sie für ein Kind? Was haben Sie gern getan?

Silke Wagner: Ich hab sehr gern Blödsinn angestellt. (Lacht) Nee, also ich habe sehr gerne und sehr viel mit Lego gebaut. Auch mit Lego Technik. Am Anfang hat mir mein Vater sehr viel gezeigt und dann konnte ich es selber machen. Mit Puppen habe ich auch gespielt, aber die habe ich immer irgendwann auseinandergenommen, weil ich wissen wollte, wie sie innen drinnen aussehen.

Nach der Mittleren Reife, das ist im deutschen Bildungssystem ein Abschluss, den die meisten im Alter von 16 oder 17 Jahren machen, sind Sie von zuhause weg und in ein Internat gekommen, um eine weiterführende Schule zu besuchen. Wie war das für Sie?

Silke Wagner: Das war ganz furchtbar für mich. Ich bin aus meinem behüteten Zuhause in eine völlig fremde Umgebung gekommen, wo ich mich nie richtig eingewöhnen konnte. Am liebsten hätte ich meine Abschlüsse in meiner Heimat gemacht, aber das war nicht möglich, weil es dort keine weiterführenden Schulen für blinde und sehbehinderte junge Leute gab. So musste ich halt woanders die Berufsfachschule besuchen und die Ausbildung zur Bürokauffrau machen. Später habe ich auch noch das Abitur gemacht. Aber mein Vater hat mich immer am Wochenende abgeholt, egal wo ich war und wie weit er fahren musste. Als Jugendliche macht man sich da keine Gedanken, aber wenn du selbst in Lohn und Brot stehst, dann weißt du, was für dich getan wird.


Das Jahr 2020 markiert mit dem Beginn der Corona Pandemie einen tiefen Einschnitt. Aber das Jahr 2020 wird auch für Sie persönlich zu einem Schicksalsjahr, denn Sie erkrankten schwer.

Silke Wagner: Ich hatte einen Tumor und musste umgehend operiert werden. Die Ärztin, die mich operiert hat, hat sich sehr liebevoll um mich gekümmert. Dieses Ereignis und die Begegnung mit dieser Ärztin haben mich zum Schreiben gebracht. 
                                                                                                   
In den ersten Wochen nach der OP ist es mir sehr, sehr schlecht gegangen. So wie ich es bis dahin gar nicht gekannt hatte. Ich hatte schwere Depressionen, die dann langsam abgeklungen sind. Aber die erste Zeit war wirklich schlimm. Außerdem hatte ich Angst, an Krebs zu sterben, denn meine ältere Schwester ist ungefähr zehn Jahre davor an Eierstockkrebs verstorben. Damals ist auch meine Mutter an Alzheimer erkrankt. Sie war erst knapp 60 Jahre alt, die Krankheit ist sehr aggressiv verlaufen. Meine Mutter konnte schon bald nicht mehr sprechen, es war wirklich schwer. Mein Vater hat sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2018 gepflegt. Und dann, zwei Jahre später bin auch ich erkrankt. Und gleichzeitig habe ich mich um meinen Vater gesorgt, der schwer herzkrank ist. Es ist damals wirklich viel zusammengekommen. Und diese Ärztin, die mich operiert hat, hat mich sehr unterstützt. Sie hat viel mit mir geredet und sie begleitet mich heute noch.

Diese einschneidende Erfahrung veranlasste Sie, nachdem Sie sich einigermaßen von der OP und deren Folgen erholt hatten, Ihr erstes Buch zu schreiben. Es heißt Zwiegespalten: Hör nicht auf die Stimmen. Die Hauptfigur ist die 43jährige Frauenärztin Stefanie Heise, die als Oberärztin in einem Hamburger Krankenhaus tätig ist.

Silke Wagner: Ich hatte die ganze Handlung bereits im Kopf, als ich zu schreiben begonnen habe und hatte die Rohfassung des Buches in drei Monaten fertig. Ich habe mich immer schon für medizinische Themen interessiert und ich wäre Ärztin geworden, wenn ich nicht erblindet wäre. Dr. Heise, die Ärztin in meinem Buch, ist kompetent und erfolgreich. Sie hatte aber als Kind traumatische Erlebnisse. Ihr Zwillingsbruder starb bei einem Unfall, als sie fünf Jahre alt war, ihre Mutter hatte Eierstockkrebs und starb, da war sie neun Jahre alt. Ihr Vater hat sie ins Internat gesteckt, dort wurde sie gemobbt, es ging ihr gar nicht gut. Der Vater hat auch wieder geheiratet und noch weitere Kinder bekommen. Trotz alledem hatte sie die Kraft zu studieren und wurde eine gute Ärztin. Allerdings holt die Vergangenheit sie immer wieder ein, deshalb ist sie mit sich selbst in einem Zwiespalt.

Eine weitere wichtige Figur in dem Buch ist Jessica. Sie ist Mitte dreißig, blind und die Patientin von Dr. Heise. Was ist Jessica für eine Frau?

Silke Wagner: Sie lebt sehr selbstständig, ist alleinstehend, hat eine sehende Freundin und einen schwulen Freund. Sie ist so ein bisschen ein Mauerblümchen, weiß aber ganz genau was sie will. Wenn ich heute auf die Figuren meines Buches schaue, dann würde ich sagen, dass in jeden meiner Charaktere etwas von meiner Gefühlswelt eingeflossen ist. Die Handlung aber ist frei erfunden. Da ist kaum etwas Autobiografisches dabei, außer dass Jessica blind ist, so wie ich.


Ihr zweites Buch, Zwiegespalten: Auf des Messers Schneide, spielt in den USA und in Deutschland. Die Protagonistin Melissa Heise ist die Halbschwester von Dr. Heise aus dem ersten Buch. Melissa wird der Mord an ihrem Baby und dem Vater des Kindes zur Last gelegt und sie sitzt in Texas im Gefängnis, wo sie von anderen Insassinnen gequält und missbraucht wird. Wie gelingt es Ihnen, da sie von Geburt an blind sind, die verschiedenen Schauplätze, sei es nun ein Gefängnis oder ein Krankenhaus, zu beschreiben? Oder die unterschiedlichen Tätigkeiten Ihrer Figuren?

Silke Wagner: Das ist so eine Mischung. Ich selbst war ja schon an verschiedenen Orten und mir wurde bereits vieles beschrieben. Ich habe immer sehr viel gelesen, schon als Kind. Viel und gerne höre ich auch Hörbücher sowie Hörspiele. Bei medizinischen Themen habe ich auch öfters meine Ärztin gefragt oder ich habe recherchiert. Aber vor allem ist es so, und das klingt jetzt richtig bekloppt, wenn ich sitze und schreibe, dann verraten mir meine Figuren, was sie möchten. Es kommt auch vor, dass sie mich korrigieren.

Wie meinen Sie das, können Sie ein Beispiel nennen?

Silke Wagner: Also ich setze mich hin, denke mir etwas aus und schreibe es auf. Dann ist es so, als würde mir die Figur auf die Schulter klopfen und sagen: „Oh nein, das ist aber nicht so. Ich mache das ganz anders. Ich esse keine Nudeln mit Tomatensauce, ich esse gerne Steak, aber durchgebraten.“ Meine Figuren können sehr eigenwillig sein und mir genau vorgeben, was sie wollen. Ganz anders war es bei einem Detail in meinem zweiten Buch, wo es darum geht, ein Medikament gegen Alzheimer zu entwickeln. Da habe ich sehr, sehr viel recherchiert, aber es ist auch mein eigenes Wissen, meine eigene Erfahrung mit der Alzheimer Erkrankung meiner Mutter eingeflossen.  

Ihr bevorzugtes Genre beim Lesen, Hören und Schreiben sind Psychothriller. Was interessiert Sie daran besonders?

Silke Wagner: Mich interessieren die Abgründe. Jeder Mensch hat seine Abgründe, die vor allem dann zutage treten, wenn er in eine Ausnahmesituation gerät. Also wenn wir durch einen Schicksalsschlag oder ein traumatisches Erlebnis an unsere Grenzen geraten. Ich habe schon immer gern Krimis gelesen. Mich interessiert, was einen Menschen zum Verbrecher macht, welchen Hintergrund es dazu in der Kindheit gibt. Diesen Fragen will ich nachgehen. Und es muss natürlich immer schlüssig und nachvollziehbar sein. In meinem Fokus stehen Psychopathen, Soziopathen und Narzissten. Diese Menschen haben oft die Gabe, sich extrem gut in ihr potentielles Opfer einzufühlen. Sie befassen sich so intensiv mit ihrem Opfer, dass sie genau voraussagen können, wie es sich verhalten wird. Das hat etwas Faszinierendes, sofern man bei diesen schlimmen Menschen überhaupt von Faszination sprechen kann.

Tauschen Sie sich mit anderen Autor:innen über das Schreiben aus?

Silke Wagner: Nein, ich bin eigentlich so eine Eigenbrötlerin. Aber wenn ich ein Buch schreibe, dann habe ich einige Betaleserinnen, mit denen ich mich über die Figuren austausche. Also ich habe ein paar Freundinnen und Freunde, denen ich Kapitel für Kapitel zum Lesen gebe. Aber mir geht es nicht darum, dass meine Betaleserinnen auf die Rechtschreibung und Grammatik achten, sondern mich interessiert, wie sie auf den Text reagieren und wie sie die Figuren in meinem Buch erleben. Ich spreche mit ihnen über meine Figuren so ähnlich wie man über gute Freunde redet. Und komischerweise rede ich über meine Figuren so, als hätte ich über sie gelesen und nicht so, als hätte ich sie selbst beschrieben.

Was brauchen Sie, um kreativ sein, um schreiben zu können? Muss es ganz ruhig sein oder hören Sie Musik?

Silke Wagner: Nein, wenn es ganz still ist oder wenn Musik spielt, kann ich nicht schreiben, kann ich mich nicht konzentrieren. Ich brauche menschliche Stimmen im Hintergrund. Das schaut dann so aus, dass ich an meinem PC sitze und mit anderen verbunden bin, sei es über WhatsApp oder über TeamSpeak, über diese Sprachkonferenzsoftware. Meine Freundinnen und Freunde unterhalten sich, ich schreibe und bin nicht so allein. Und manchmal rege ich mich beim Schreiben über die eine oder andere Figur furchtbar auf. Also zum Beispiel über eine Antwort, die diese Figur gibt. Eine Antwort, die ich – wohlgemerkt – selbst geschrieben habe. Dann sage ich: „Meine Güte, was redet die für ein dummes Gewäsch!“ Dann schalten sich meine Freundinnen ein und geben ihre Kommentare ab.

Zwei Bücher haben Sie bereits veröffentlicht. Schreiben Sie schon am nächsten?

Silke Wagner: Ja klar, diesmal wird es ein waschechter Krimi, eine junge Kommissarin und ein Kommissar ermitteln, das Ganze spielt in Norddeutschland. Ich habe bereits gut die Hälfte geschrieben. Ich hatte ja vorher nie etwas mit dem Schreiben zu tun, aber jetzt hat es einen ganz wichtigen Platz in meinem Leben.


Danke für das Gespräch.


Die Bücher von Silke Wagner sind im Buchhandel oder als eBook erhältlich.

https://www.amazon.de/Zwiegespalten-Hör-nicht-auf-Stimmen/dp/3347211243
https://www.thalia.at/shop/home/artikeldetails/A1062480595?ProvID=11010474

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