Der Verlust einer wichtigen körperlichen Funktion wie des Sehens stellt in der Regel ein einschneidendes Lebensereignis dar. Das Erlernen vieler neuer Fertigkeiten, berufliche Neuorientierung und massive Zukunftsängste sind einige jener Herausforderungen, mit denen Betroffene in dieser Situation zu kämpfen haben.
Nicht selten werden aber die Angehörigen vollkommen vergessen. Denn auch sie stehen oftmals unter einem enormen Druck, wenn der Sohn, die Tochter, der Vater oder die Ehefrau plötzlich nicht mehr oder nur mehr wenig sehen.
Sie müssen sich auf diese neue Situation einstellen, der Umgang miteinander funktioniert vielleicht nicht mehr so gut und auch sie müssen vieles neu lernen.
Was auch noch dazukommt, ist die psychische Belastung, die nicht selten durch Unsicherheit zustande kommt. Wie viel Hilfe soll ich anbieten? Wie soll ich helfen? Bin ich zu überfürsorglich? Darf ich auch einmal ungeduldig sein? Darf ich auch noch eigene Bedürfnisse äußern? Diese Fragen beschäftigen die „betroffenen Angehörigen“. Oft gibt es aber keine Möglichkeit, diese Unsicherheiten auszusprechen.
Geteiltes Leid ist halbes Leid…
Was liegt daher näher, als eine Möglichkeit zum Austausch zu schaffen? Warum nicht mehrere Angehörige zusammenbringen und so einen Austausch anstoßen?
Das war unsere Idee, als wir einen Workshop für Angehörige kreierten.
Wir, das sind Andrea Wahl, Marianne Kern und Marion Putzer-Schimack.
Und ein wesentliches Element dieses Workshop-Konzeptes ist das Sich-Aussprechen-Können, das Mitteilen von Erfahrungen, aber auch das Sich-Ermutigen und -Trösten.
„In den Schuhen des anderen gehen“ oder besser
„Mit den Augen des anderen sehen“
Unter diesem Motto lässt sich das zweite zentrale Element des Workshops zusammenfassen.
Oft haben Angehörige keine oder nur eine vage Vorstellung davon, wie es sich anfühlt, wenn man nichts sieht oder die visuelle Wahrnehmung auf eine bestimmte Weise eingeschränkt ist.
Mittels verschiedener Übungen unter der Augenbinde bzw. der Simulationsbrille (das ist eine Brille, die so präpariert ist, dass sie eine bestimmte Sehbehinderung simuliert) soll es möglich werden, sich in die „Sehenswelt“ der betroffenen Person einzufühlen.
Und plötzlich „sieht man vieles mit anderen Augen“...
Vielleicht versteht man jetzt, warum die Ehefrau die Banane auf dem weißen Teller nicht findet (zu geringer Kontrast). Oder warum die Mutter eine Münze, die vor ihr auf dem Tisch liegt, gut erkennt, aber das Glas, das nur ein paar Zentimeter weiter rechts steht, umwirft (eingeschränktes Gesichtsfeld). Oder was es bedeutet, wenn man alles hinter einer Nebelwand sieht.
Oder wie es ist, wenn sämtliche visuellen Eindrücke einfach fehlen.
Ein regelmäßiges Angebot
Einmal jährlich wollen wir unseren Angehörigen-Workshop im BSV WNB anbieten.
Im Februar 2018 fand er zum ersten Mal in dieser Form statt.
An zwei Abenden zu je drei Stunden haben die TeilnehmerInnen einerseits die Möglichkeit, sich mit anderen „betroffenen Angehörigen“ auszutauschen. Andererseits können sie anhand verschiedenster Übungen einen Eindruck von der Seheinschränkung ihrer blinden oder sehbehinderten angehörigen Person bekommen.