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Portraits

Mit weißem Stock an der Schulter, einem schwarzen Kapuzenpullover und einem Lächeln im Gesicht: ein junger Mann vor einem Bäumchen mit gelben Blättern, dahinter eine Mauer.
Bildinfo: Philipp Huber ist in einem Dorf in der Obersteiermark aufgewachsen. © BSVWNB/Ursula Müller

„Mein Onkel ist ein Mensch, der alles ausprobiert, ein bissl wie ich.“

Philipp Huber ist Ende zwanzig, studiert Soziale Arbeit an der Fachhochschule Campus Wien und absolvierte sein Praktikum bei der Beruflichen Assistenz & Akademie BSV GmbH im Louis Braille Haus in Wien.

Philipp Huber im Portrait

Das Praktikum erstreckt sich über ein Semester und ist ein wichtiger Teil der Ausbildung. 30 Stunden pro Woche sammelt der Student erste Erfahrungen in seinem zukünftigen Beruf. Er begleitet seine Kolleg:innen bei unterschiedlichen Tätigkeiten, recherchiert, dokumentiert und ist bei den Beratungsgesprächen auch als Peer beteiligt. Das bedeutet, dass er seine Erfahrungen und sein Wissen als blinde Person in die Beratung einbringt. Bevor der junge Obersteirer zu studieren beginnt, arbeitet er nach der HTL Matura für sechs Jahre im technischen Bereich.

Philipp Huber wächst in Altenmarkt auf, in einer kleinen Marktgemeinde im Norden der Steiermark. Der Ort liegt auf einem Hochplateau über der Enns mitten in einer Gebirgslandschaft und direkt am Dreiländereck zu Oberösterreich und Niederösterreich. Sport und Bewegung, so erzählt der angehende Sozialarbeiter, seien in seinem Leben schon immer wichtig gewesen.

„Ich war so ein energetisches Kind, hab früher alles gemacht, Radl fahren, Fußball spielen, Boot fahren, und Skifahren hab ich schon mit drei Jahren am Hügel hinter unserem Haus erlernt.“


Mit seiner Energie und seinem Bewegungsdrang überfordert der Bub mitunter die Erwachsenen in seiner Umgebung. Was für ein Glück, dass Philipp einen jungen, sportlichen Onkel hat. Der Bruder seiner Mutter lebt zwar nicht in Altenmarkt, aber im Sommer ist er oft da und bietet Philipp die Action, die dieser braucht. „Mein Onkel ist ein Mensch, der alles ausprobiert, ein bissl wie ich.“ Der Onkel klettert in felsigen Wänden und im Eis, macht Freeriden, das bedeutet Ski- und Snowboardfahren im freien Gelände und geht raften, also Wildwasserbootfahren. Er wird zum Vorbild, dem der Bub nacheifert. Der gelernte Mechaniker, der heute Spezial- und Rennskischuhe herstellt, ist abenteuerlustig und reist nach seinem Zivildienst mit einem Freund in die USA, wo sie ein Jahr lang bleiben. Er bringt Weltoffenheit und Abwechslung ins Leben des jungen Neffen. „Ich habe schon mit drei, vier Jahren auf einer großen Baumschaukel die ersten Klettererfahrungen gemacht. Er hat mich schon als Kind zum Klettern, Skifahren oder Raften mitgenommen. Er hat nie gesagt, das kannst du nicht machen, weil du schlecht siehst. Er hat immer gesagt, wir probieren es und wenn es nicht geht, probieren wir es anders.“  

Noch heute sporteln sie gemeinsam. Jeden Sommer treffen sich die beiden Männer und verbringen eine Woche miteinander in den Bergen oder am Wasser, unternehmen Bergtouren, gehen klettern und raften, sei es im Zweier- oder Viersitzerboot.

„Mein Onkel hat mich sehr gefördert, ich hab viel von ihm profitiert. Es stärkt dein Selbstbewusstsein, wenn du so viele verschiedene Dinge ausprobierst. Man lernt, mit ganz unterschiedlichen Situationen umzugehen und Angst abzubauen. Du traust dir mit der Zeit mehr und mehr Dinge zu.“

Die beiden verbindet aber nicht nur die Begeisterung für verschiedene Sportarten, sondern auch die Liebe zur Natur sowie der Wunsch, Entwicklungen und Konventionen zu hinterfragen, und über die ländlich bäuerliche, konservative Welt des Heimatortes hinauszuschauen.


In Altenmarkt besucht Philipp die Volksschule. Alles geht zunächst seinen Gang, doch ab dem achten Lebensjahr ändert sich für das Kind etwas Entscheidendes. Aufgrund einer genetisch bedingten Netzhauterkrankung verringert sich sein Sehvermögen kontinuierlich. Ab jetzt benötigt der Volksschüler Hilfsmittel, er verwendet einen sogenannten Lesestein, also eine Art Lupe, und braucht vergrößerte Lernunterlagen. Damit kommt Philipp einigermaßen zurecht. Allerdings mangelt es den Lehrkräften an Verständnis. Sie verlangen, dass er schneller und besser arbeiten muss.

„Sie haben halt gefunden, dass ich langsam und faul sei. Sie haben schon gewusst, dass ich eine Seheinschränkung habe, aber das hat für sie irgendwie nicht gezählt. Trotzdem wollten sie, dass ich gleich nach der Volksschule in die Blindenschule nach Graz, ins Odilien-Institut gehe. Ich hatte damals aber noch zwischen 30 und 40 Prozent Sehvermögen, das ist doch noch recht viel.“

Die Volksschullehrerinnen sind dagegen, dass Philipp die Hauptschule im Nachbarort besucht. Die Eltern möchten ihr Kind jedoch nicht aus der gewohnten Umgebung reißen, hier hat es seine Familie und seine Freunde. „Meine Eltern haben mich viel tun lassen. Meine Mutter hat schon oft, wie sie es ausdrückt, Blut geschwitzt, wenn ich meine Sachen gemacht habe. Denn ich war immer eher ein Mensch, der Grenzen ausgelotet hat. Sei es im Benehmen, sei es im Sport, alles. Ich war immer ein bissi ein Grenzgänger, vor allem in jüngeren Jahren. Aber für mich, für meine Entwicklung war es sehr wichtig, dass ich nach der Volksschule daheim bleiben und mit meinen Freunden Ski fahren, Fußball spielen und mit dem Radl unterwegs sein konnte.“


Im Laufe der Hauptschule hat Philipp erneut einen Schub und die bisherigen Hilfsmittel reichen nicht mehr aus. Der Schüler würde ein Bildschirmlesegerät benötigen, es nimmt mit einer Kamera Texte und Bilder auf und gibt diese unmittelbar vergrößert auf dem Monitor wieder. Wobei man so vergrößern kann, wie man es braucht. Doch so ein Lesegerät ist teuer, und die Eltern verfügen nicht über die finanziellen Ressourcen, um es zu kaufen. Sie versuchen es über eine Spendenaktion und viele im Ort machen mit. Einige Vereine beteiligen sich und der Direktor von Philipps Schule wird aktiv. Ein Faschingsmarkt wird veranstaltet und was dort eingenommen wird, das sind immerhin rund 3000 Euro, kommt in den Topf fürs Lesegerät. „Da haben alle zusammengeholfen. Ein Wahnsinn, die haben das alles auf die Beine gestellt. Es hat sonst keine Unterstützung dafür gegeben. Mit diesem Doppelkameralesegerät hat es funktioniert, das habe ich bis in die HTL behalten.“

Philipp erlebt als Volksschüler und dann noch einmal in der Pubertät, dass sein Sehvermögen sehr stark abnimmt. Was bedeutet es, in so jungen Jahren und in einer schwierigen Entwicklungsphase solche Veränderungen erleben zu müssen? „Ich war ein Kind, das die Sehverminderung schlecht vertragen hat, ich musste das kompensieren. Ich war sehr unruhig und von Haus aus schon ein sehr energetisches Kind. Das hat dazu geführt, dass ich in der Schule nicht der Beliebteste war. Viele Lehrpersonen haben halt am liebsten ruhige Kinder, die im Unterricht still sitzen. Und nicht die, die viel Energie haben und hin und wieder über die Stränge schlagen.“ Auch mit den Klassenkolleg:innen ist es nicht immer einfach. Sie grenzen ihn aus, gehen auf ihn los, er wehrt sich, so gut es geht und ist froh, dass es noch die Freunde aus der Volksschulzeit gibt, mit denen er Fußball spielt und oft draußen unterwegs ist. Irgendwann wendet sich das Blatt. Die Leute in der Klasse lassen ihn in Ruhe, er entwickelt sich von einem mittelmäßigen zu einem ausgezeichneten Schüler und bekommt am Ende der Hauptschule für seine Leistungen eine Trophäe überreicht.


Nach der Hauptschule, im Jahr 2008, geht Philipp Huber ins Odilien-Institut in Graz, erlernt blindenspezifische Techniken und macht die Fachschule für IT, für Informationstechnologie. Er ist fünfzehn Jahre alt und zum ersten Mal in einer Klasse, wo alle anderen Mitschüler:innen ebenfalls sehbehindert sind.

„Bis dahin habe ich kein gutes Verhältnis zu meiner Behinderung und zu Behinderung im Allgemeinen gehabt. In meiner bisherigen Schulzeit habe ich gelernt, dass ich möglichst wenig auffallen darf, dass ich kompetitiv sein muss, dass ich mich beweisen muss und meine Behinderung keine Rolle spielen darf. Jetzt war ich plötzlich in einer Schule, wo die Behinderung ein Thema ist. Zuerst hab ich gedacht, hm, ich bin ja besser als die anderen. Es hat eine Zeitlang gedauert, bis ich gesehen habe, dass das meine Verbündeten und nicht meine Gegner sind, dass wir alle im selben Boot sitzen. Das hat recht lang gedauert, das hab ich erst gegen Ende meiner Ausbildung so richtig für mich entdeckt.“

Dreieinhalb Jahre verbringt Philipp Huber am Odilien-Institut in Graz. Danach besucht er die HTL in Weiz. Er ist jetzt achtzehn Jahre alt und erlebt wieder, dass sich sein Sehvermögen verschlechtert. Das ist erneut ein großer Einschnitt, er hört mit dem Mountain Biken und Skifahren auf. Doch es ärgert ihn, dass seine Freunde Skifahren gehen und er daheim bleiben muss. Erst ein paar Jahre später findet der junge Mann über den Blindensport, über den Behindertensportverein zurück zum Skifahren. Inzwischen ist er mit einem Begleitfahrer unterwegs und fährt bei Skirennen mit. Er nimmt auch an Leichtathletik Wettkämpfen teil und hat bereits sechs Staatsmeistertitel errungen. Er, der schon als Kind gerne Fußball gespielt hat, findet in Wien zum Blindenfußball und trainiert mehrmals wöchentlich. Über den Sport lernt er Leute kennen, die in Wien Soziale Arbeit studieren. Und Philipp, der immer studieren wollte, sich aber nicht für ein Studium entscheiden konnte und nach der Matura zu arbeiten beginnt, weiß jetzt, was er will. Das Studium der Sozialen Arbeit ist genau richtig für ihn, das spürt er in den Gesprächen mit den anderen. Das zeigt sich auch in der Praxis, das Studium gefällt ihm sehr gut.


Vor wenigen Jahren erlebt Philipp Huber noch einmal, dass sich sein Sehvermögen verringert. Mit Ende zwanzig gilt er als blind. Seit seiner Volksschulzeit muss er sich immer wieder darauf einstellen, dass er weniger sieht und sich an diese neuen Situationen anpassen. Was hat bei diesen schwierigen Prozessen geholfen und ihn unterstützt?

„Meine Hobbys. Vor allem der Sport, er hat mir Spaß gemacht und mir Selbstbewusstsein gegeben. Und in der Zeit, so zwischen achtzehn und Mitte zwanzig, wo ich kaum Sport gemacht habe, war die Musik sehr wichtig für mich. Ich hab mit vierzehn begonnen, Gitarre zu lernen und war immer ein begeisterter Rock Fan, dann sind Hardcore, Punk und Metalcore dazugekommen. In der Zeit, wo ich mental und psychisch nicht so gut drauf war, hat mir die Musik sehr geholfen. Sie hat meine Gefühle kanalisiert. Ich habe harte, traurige, depressive Musik gehört, konnte meine Gefühle dabei rauslassen und zulassen und danach war es wieder möglich, neu zu starten. Und natürlich sind die Freund:innen immer wichtig gewesen.“

Philipp Huber pflegt gute, tragfähige Freundschaften, er geht mit seinen Freund:innen zu Konzerten und fährt zu Festivals. Mit ein paar Leuten von daheim, von Altenmarkt, fängt er an, Musik zu machen. Man kommt zusammen, spielt, trinkt ein Bier und hat Spaß. In Wien lebt er in einer WG und beim Studium hat er neue Freundschaften geschlossen. Er interessiert sich für Politik, hinterfragt seinen und unseren Lebensstil, und es ist ihm wichtig, solidarisch zu handeln. Er möchte andere so behandeln, wie er selbst behandelt werden will. Und so leben, dass andere Geschöpfe neben und nach ihm auch noch gute Bedingungen vorfinden.


Der folgende Link führt zu einem Interview mit Philipp Huber über sein Studium: "Ich wollte schon immer studieren."

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