Die Wirtin vom Kierlingerhof
Bereits am frühen Vormittag steht Barbara Probst in der Küche ihres Gasthauses, macht frischen Kartoffelsalat, bereitet alles vor, denn zu Mittag wird immer frisch gekocht. Wenn die Gäste fort sind, wird aufgeräumt und saubergemacht. Unterstützt wird die Wirtin von ihrem Vater und seit ihrer Krebserkrankung auch von einer Kellnerin. Wenn am frühen Abend noch Gäste kommen, steht sie alleine in der Küche. An den Ruhetagen, montags und dienstags, erledigt sie die Buchhaltung, gibt Bestellungen auf oder kauft gemeinsam mit ihrem Vater ein. „Seit acht Jahren arbeite ich mit einer wirklich starken Sehbehinderung“, so Barbara Probst.
Im Jahr 2008 macht Barbara Probst sich selbstständig und übernimmt das Gasthaus ihres Vaters. Sie hat schon lange Probleme mit ihren Augen, sieht aber gut genug, um den Führerschein zu machen und Auto zu fahren. Sie leidet an einer erblich bedingten Netzhauterkrankung, an einer Form der Retinitis pigmentosa. Diese Erkrankung führt dazu, dass die Netzhaut, die Retina, zerstört wird. Sie ist eine der häufigsten Ursachen, dass Menschen im mittleren Erwachsenenalter ihr Sehvermögen verlieren. Die Retinitis pigmentosa entwickelt sich schleichend, mitunter auch schubweise. Bereits zwei Jahre nachdem sich die junge Wirtin selbstständig gemacht hatte, verschlechterte sich ihr Sehvermögen massiv.
Barbara Probst, damals Anfang dreißig und Mutter zweier Kinder im Volksschulalter, fällt in ein tiefes Loch. „Ich war lange sehr traurig“, erzählt sie. „Aber ich muss schon sagen, der Blindenverband hat mir sehr geholfen.“ Die Augenärztin, die die Diagnose stellt, gibt der jungen Frau einige Informationen mit, unter anderem auch eine Broschüre über den Blinden- und Sehbehindertenverband Wien, Niederösterreich und Burgenland. Doch das Material mit den Adressen und Telefonnummern kommt in eine Lade und bleibt dort liegen. „Ich wollte zunächst gar nichts davon wissen. Ich war sehr traurig und vor allem wenn ich alleine war, haben sich meine Gedanken unaufhörlich im Kreis gedreht.“ Irgendwann rafft sich Barbara Probst auf, sie spürt, dass sie etwas unternehmen muss, dass es so nicht weitergehen kann. Sie greift zum Hörer und ruft beim Blindenverband an. „Die Frau Wallner ist dann zu mir gekommen, die hat mir stundenlang zugehört. Das hat mir so geholfen. Das war die größte Unterstützung für mich. Dadurch bin ich aus diesem Trauerprozess und dem Weinen herausgekommen.“ Die junge Wirtin spürt, dass es wieder bergauf geht, dass sie wieder aktiv wird und ihr Leben in die Hand nimmt.
Die Sozialberaterin und die Mobilitätstrainerin vom Blindenverband hören zu, stellen aber auch Anträge, informieren über Hilfsmittel und schauen sich die Arbeitsabläufe vor Ort an. „Das hat mir die Kraft gegeben, weiterzumachen. Das hat auch meiner Seele gut getan, denn diese beiden Frauen vom Blindenverband haben mich wirklich verstanden. Die meisten Bekannten begreifen gar nicht, wie es einem geht. Die tun so, als hätten sie Mitleid, aber Mitleid braucht man nicht. Also, das war schon sehr berührend. Ich habe damals aufgehört zu grübeln und mir gesagt, dass es einfach weitergehen muss.“
Seit damals, seit dem Jahr 2010, wo sich das Sehvermögen stark verschlechtert hat, kann die Kierlinger Wirtin nicht mehr mit dem Auto fahren. Für die Arbeit in der Küche benötigt sie eine spezielle Lampe. Wenn sie auf der Straße unterwegs ist, erkennt sie Gäste und Bekannte oft nicht. Sie bekommt zu hören, sie sei arrogant und völlig abgehoben, sie wolle nicht grüßen und sei eingebildet. „Solche Sätze haben schon weh getan“, erinnert sie sich. Sie lernt, mit den unterschiedlichen Reaktionen ihrer Mitmenschen umzugehen. Und sie macht bei einer passenden Gelegenheit, beim Kierlinger Straßenfest, ihre schwere Sehbehinderung publik. Dort verkauft sie Lose, jedes Los gewinnt, der Erlös kommt einem Kind vom Ort zugute, das ebenfalls stark sehbehindert ist.
In der ersten Zeit schmerzt es sie, wenn ihr in der Küche, im Service oder im Haushalt aufgrund der stark eingeschränkten Sehfähigkeit Fehler passieren. Inzwischen sagt sie: „Ich stehe zu mir und meiner Situation. Wenn ich beim Servieren etwas ausschütte, dann entschuldige ich mich. Wenn mir am Herd etwas anbrennt, dann mache ich es neu. In der ersten Zeit war ich schon sehr traurig über diese Missgeschicke. Es hat schon ein bissl gedauert, aber heute steh‘ ich dazu.“ Da sie im Kierlingerhof aufgewachsen ist, kennt sie jede Stufe, jeden Winkel des Hauses und deshalb ist es ihr auch möglich, sich im Gasthaus trotz ihrer Sehbehinderung recht sicher zu bewegen.
Ein folgenreiches Geschenk
Vor zwei Jahren schenkt ein befreundeter Künstler, Karl W. Paschek, der Wirtin vom Kierlingerhof Farben und Leinwand. Sie, die nie mit Zeichenstift oder Pinsel hantiert hatte, greift die Malutensilien zunächst gar nicht an. Doch irgendwann wird sie neugierig. Es packt sie der Ehrgeiz. „Ich wollte ausprobieren und wissen, was ein Mensch, der sehr schlecht sieht, auf der Leinwand zustande bringt.“ Sie arbeitet mit Acrylfarben, kann nur zwischen hell und dunkel unterscheiden und greift ganz intuitiv zu den Farben. Eigentlich will sie ihre ersten Versuche niemandem zeigen, sie ist nicht zufrieden damit. Karl Paschek, der bei einem Besuch die Bilder dennoch sieht, ist begeistert und ermutigt Barbara Probst weiterzumachen. Sie tut es. Jetzt kann sie sich auch die Zeit dafür nehmen. Denn sie hat gerade ihren Betrieb umgestellt und verkleinert. Das Wirtshaus hat nur noch eine Gaststube und ist von Mittwoch bis Sonntag geöffnet, mittags ist das Hauptgeschäft und es wird bereits am frühen Abend zugesperrt. In der ehemaligen großen Wirtsstube bietet die malende Wirtin nun schöne alte Dinge wie Geschirr, Gläser, Vasen sowie Möbel und Bilder an. Ihre Freude an Antiquitäten entdeckte sie vor einigen Jahren, gerne umgibt sie sich damit.
Seit Barbara Probst ihren Gastronomiebetrieb verkleinert hat, findet sie zum ersten Mal mehr Zeit für sich. „Früher habe ich um sieben Uhr in der Früh angefangen zu arbeiten und bin irgendwann nach Mitternacht, wenn die letzten Gäste das Lokal verlassen hatten, ins Bett gekommen.“ Jetzt aber hat die begeisterte Wirtin eine neue Leidenschaft. Wenn sie malt, steht sie vor der Leinwand, sie sieht allerdings nicht, was sie macht. Bevor sie zum Pinsel greift, denkt sie lange darüber nach, was sie auf die Leinwand bringen möchte. Das Bild entsteht vor ihrem geistigen Auge, die Hand führt es später aus. Es entstehen abstrakte, farbintensive Werke, die ihre Energie widerspiegeln.
„Ich male aus meiner körperlichen Kraft heraus. Ich stelle mir geistig vor, was mein Körper, was meine Energie auf die Leinwand bringen will. Wenn das Bild trocken ist, kann man diese Energiekreisel auch fühlen, du spürst die Kraft. Ich finde, dass meine Bilder dem Betrachter Energie geben. Eine Energie, die in der heutigen Zeit jeder Mensch benötigt.“
Ein sehender Mensch, davon ist Barbara Probst überzeugt, gehe ganz anders ans Malen heran als sie. Sie arbeite mit Druck und Gegendruck, mit geistiger Vorstellung und körperlicher Ausdruckskraft. Und sie signiere jedes Bild auf eine sehr persönliche Art. „In jedem meiner Bilder ist ein Energiekreisel drinnen. Ich könnte meine Bilder gar nicht mit meinem Namen versehen, denn ich kann nicht so klein signieren. Aber wenn ein Energiekreisel auf dem Bild ist, dann ist das ein Barbara Probst Bild.“
Eine niederschmetternde Diagnose
Ende des letzten Jahres spürt Barbara Probst beim Abtasten der Brust einen Knorpel, der sich fremd anfühlt. Schon am nächsten Tag lässt sie sich untersuchen und bald darauf erfährt sie, dass sie Brustkrebs hat. Der Schock ist groß, sie versucht dennoch, vor allem ihren beiden Kindern gegenüber, zuversichtlich zu sein. Sie hat mittlerweile eine Chemotherapie gemacht und es ist kein Krebsgewebe mehr sichtbar. Da es sich aber um einen bösartigen Tumor handelt, werden weitere Behandlungen folgen. Dass die Sache so gut ausgegangen ist, davon ist die malende Wirtin überzeugt, habe auch mit ihrer Sehbehinderung zu tun. „Da ich sehr schlecht sehe, habe ich ein besseres Gefühl in den Fingern. Das war mein Glück, dass ich den Knoten gespürt habe, er war damals sieben Millimeter groß. In wenigen Wochen ist er auf das Doppelte angewachsen. Es handelt sich um einen bösartigen, schnellwachsenden Krebs. Je früher man ihn erkennt, desto größer ist die Heilungschance.“ In dieser schwierigen Zeit wird Barbara Probst von ihrer Familie sehr unterstützt.
Wenngleich sich ihre Sehbehinderung selten als so hilfreich erweist wie in diesem Fall, hat Barbara Probst doch die Erfahrung gemacht, dass sie viele Dinge tun kann. Sie kann als Wirtin arbeiten, sich künstlerisch betätigen, reisen, den Haushalt führen, sich in der Gemeinde als Gemeinderätin engagieren. „Ich möchte anderen Menschen Mut machen, aktiv zu sein. Natürlich geht einiges daneben, aber das macht nichts. Und sicher ist es nicht so sauber, wenn ich putze, aber ich freue mich trotzdem darüber, dass ich die Sachen mache. Und natürlich ist es wichtig, sich Unterstützung zu holen, man muss schon sagen, wenn man Hilfe braucht. Die anderen können das nicht immer wissen. Vor allem, wenn man sehr selbstständig und sehr selbstbewusst ist.“
Barbara Probst ist gerne in der Natur, sie liebt die Ruhe und sitzt immer wieder unter dem Kastanienbaum, der im Gastgarten des Kierlingerhofes steht, wo sie mit ihren drei Geschwistern aufgewachsen ist. Ihr Bruder, er ist der Jüngste der vier Geschwister, hat ihr vor kurzem ein unerwartetes und berührendes Geschenk gemacht. Er hat Barbaras Geschichte aufgeschrieben und auf Facebook veröffentlicht. Sie trägt den Titel: Meine Schwester, die Kämpferin.