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Portraits

Ein sommerlich gekleidetes Paar am Balkon auf einer Couch, sie hält ihr kleines Kind, das auf ihrem Schoß sitzt.
Bildinfo: Nina und Juan Ruiz mit ihrem kleinen Sohn Benjamin, der in der Zwischenzeit, seit dem Fototermin, schon um einiges gewachsen ist. © BSVWNB/Ursula Müller

Paargeschichten: Nina und Juan

In Wien sind sie zuhause, in Las Vegas haben sich Nina und Juan Ruiz vor sechs Jahren das Jawort gegeben.

Interview mit Nina und Juan

Mag. Dr. Nina Ruiz ist Psychologin und Lehrbeauftragte an der Universität Wien und sie ist sehend. Juan Ruiz, von Geburt an blind, ist weltweit als Mobilitätstrainer, als Klick-Sonar Trainer tätig. Sie, 33 Jahre alt, und er, 39, haben einen eineinhalbjährigen Sohn namens Benjamin. Juan, der in Mexiko geboren wurde und in der Nähe von Los Angeles aufgewachsen ist, hat noch zwei Söhne im Alter von 14 und zehn Jahren. Der Jüngere lebt bei seiner Mutter in Kalifornien. Andrew, der 14jährige, wohnt inzwischen bei seinem Vater und seiner Stiefmutter in Wien.

Während er die Fragen beantwortet, kocht seine Frau das Mittagessen. Und als sie interviewt wird, kümmert er sich um den kleinen Sohn. Juan wechselt im Interview immer wieder zwischen Deutsch und Englisch.


Wie haben Sie sich kennengelernt?

Er: Wir haben uns bei der Arbeit kennengelernt, im Bundesblindeninstitut (BBI). Meine Frau hat damals im Internat des BBI gearbeitet und gelegentlich für mich übersetzt, da ich noch nicht so gut Deutsch konnte. Wir haben uns angefreundet, sind manchmal etwas trinken gegangen, mehr war da nicht. Aber ungefähr ein Jahr nach unserer ersten Begegnung sind wir gemeinsam nach München gefahren. Ich habe dort gearbeitet, Nina hat Freunde besucht. Im Zug hatten wir viel Zeit zum Reden. Auf der Heimfahrt sind wir ganz spontan in Salzburg ausgestiegen und haben einen Spaziergang an der Salzach gemacht. And yes it happened. Da passierte es. Seit damals sind wir ein Paar.

Dann ging alles sehr schnell. Unsere Hochzeit in Las Vegas, just the two of us, nur wir zwei. It was great!

Wir sind in einer großen Limousine zur Hochzeitskapelle gefahren, haben in einem tollen Restaurant gegessen und in einem sehr schönen Hotel gewohnt. Wir wollten ein entspanntes, stressfreies Fest, ohne viel organisieren zu müssen. Denn Ninas Familie lebt in Wien, meine in Kalifornien. Aber wir haben auch mit unseren Familien gefeiert, einmal hier und einmal in den USA. Wir waren also nicht ganz so egoistisch. (Lacht)

Sie: Wir waren damals beide am BBI. Ich habe dort einen Teil meiner Ausbildung zur Klinischen Psychologin gemacht. Ab und zu war ich Juans Dolmetscherin, manchmal haben wir uns außerhalb der Arbeit getroffen und ungefähr nach einem Jahr hat sich mehr zwischen uns entwickelt.

Wie haben Sie sich einander ohne Blickkontakt angenähert, wie haben Sie das Interesse gespürt?

Er: Ich habe es gefühlsmäßig wahrgenommen. Ich habe gespürt, dass die Chemie zwischen uns stimmt. Und alles weitere ist eine Frage des Mutes. Wage ich den nächsten Schritt? Ergreife ich meine Chance? Also ich muss die andere Person einschätzen können, aber ohne Mut geht gar nichts.

Sie: Es war nicht so schwierig, mein Mann ist ziemlich direkt. (Lacht) Er ist viel direkter, ich bin eher vorsichtig. Für mich ist es sehr ungewohnt, dass jemand die Dinge so klar ausspricht, aber ich schätze das auch sehr.

Wie hat Ihre Familie auf Ihre Beziehung und Heirat reagiert?

Er: My family is never surprised what I do. Meine Familie kann ich nicht mehr überraschen. Sie haben sich sehr gefreut und wie ich ihnen Nina vorgestellt habe, hat meine Mutter gesagt: „She is so beautiful!“ Sie hat damit aber nicht nur Ninas Aussehen gemeint, sie hat sofort gespürt, dass sie ein guter Mensch ist.

Sie: Mein Vater hat schon einmal gefragt, ob ich mir das gut überlegt habe. Für meine Mutter war das kein Thema. Sie hat früher im BBI gearbeitet und hat mich auch immer wieder dorthin mitgenommen. Für mich war es damals ganz selbstverständlich, mit blinden Kindern Kontakt zu haben.

Es ist ja so, dass mein Mann sehr selbstständig ist. Das ist mir sehr wichtig.

Es kommt öfters vor, dass mich jemand fragt: „Stört es dich nicht, dass dein Mann blind ist?“ Nein, gar nicht! Aber es würde mich sehr stören, wenn er unselbstständig wäre. Das wäre ein Problem für mich. Aber seine Blindheit ist kein Thema, weder für mich noch für unseren Freundeskreis. Unsere Freunde interessieren sich für das, was er macht, er ist viel auf Reisen, ist in den Medien präsent.


Wie hat sich Ihr Leben verändert, seitdem Sie ein Paar sind, seitdem Sie verheiratet sind?

Er: I stopped making decisions. Ich habe aufgehört, Entscheidungen zu treffen. (Lacht) Einerseits hat sich mein Leben sehr verändert, andererseits gar nicht. Wir sind von Anfang an sehr liebevoll miteinander umgegangen. Aber das Heiraten, das Eheversprechen hat unsere Beziehung noch vertieft. Viele sagen, es sei nur eine Unterschrift auf einem Stück Papier. Es mache keinen Unterschied, ob du das tust oder nicht. Aber ich finde, es macht einen Unterschied.

Sie: Ich glaube, dass jede Partnerschaft das Leben sehr verändert.

Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen beiden?

Er: Rules! Regeln! Ich mag keine Regeln. Ich will Dinge ausprobieren. Ich will Neues wagen. Ich mach‘ gern ungewöhnliche Dinge. Will an meine Grenzen gehen. Und meine Frau hat eine klare Vorstellung davon, wie die Dinge getan werden sollten und was dabei herauskommen sollte.

Sie: Oh, wir sind sehr verschieden. Mein Mann ist ein Abenteurer. Und er ist spontaner als ich. Wir sind beide gesellig und offen, aber ich bin noch lieber unter Menschen als er. Ich brauch das mehr als er. Und ich nehme mir die Dinge viel mehr zu Herzen als er.

Wer übernimmt welche Aufgaben bei den Kindern?

Er: Andrew, mein ältester Sohn, lebt seit knapp drei Jahren bei uns in Wien. Ich habe ihn damals in Kalifornien abgeholt und wir haben noch einen Zwischenstopp in Zürich gemacht, wo ich einige Tage arbeiten musste. Ich habe ihn zu meiner Arbeit mitgenommen, wir haben uns die Stadt angeschaut, sind ins Restaurant essen gegangen. Es ist mir sehr wichtig, dass mein Sohn weiß, dass ich der Vater, dass ich der Boss bin. Dass es meine Aufgabe ist, auf ihn aufzupassen und nicht umgekehrt. Und was unseren kleinen Benjamin betrifft, ich stehe oft mit ihm um sechs in der Früh auf, wechsle seine Windeln und spiele mit ihm. So kann meine Frau noch ein bisschen schlafen und wenn sie dann kommt, frühstücken wir zusammen.  

Sie: Mit Benjamin spielen wir beide. Füttern und wickeln übernehme meistens ich. Ins Freie gehen wir gemeinsam oder getrennt. Wenn mein Mann mit dem Kleinen in der Babytrage alleine unterwegs ist, mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Ich habe volles Vertrauen zu Juan, ich weiß ja, wie sicher und selbstständig er unterwegs ist.

Ich bin für die schulischen Dinge bei unserem Großen zuständig. Juan geht mit Andrew Radfahren oder unternimmt sonst etwas mit ihm. Andrew hat eine sehr gute Beziehung zu seinem Vater und er wollte unbedingt zu ihm kommen und mit uns leben. Wir wollten ihm dies ermöglichen und er hat es sehr gut gemeistert. Natürlich hatte ich zuerst Angst, wie es sein wird, plötzlich einen Stiefsohn zu haben. Aber ich kannte Andrew ja bereits und er hat mich von Anfang an akzeptiert. Es ist ja kein einfacher Prozess, aber es ist gut gelaufen.  

Wer macht was im Haushalt?

Er: Ich bin für alle Reparaturen zuständig. Vom Keller bis zur Dachterrasse. Ich repariere unseren riesigen Sonnenschirm. Ich trage die schweren Sachen, räume den Keller aus. Ich mache oft das Frühstück und kümmere mich um das Geschirr, tu staubsaugen, mach‘ was anfällt, aber ich koche nicht. I hate cooking.

Sie: Juan kümmert sich um das Geschirr, er ist für die großen und schweren Dinge zuständig, für Reparaturen. Kleinere Putzarbeiten teilen wir uns. Einmal in der Woche kommt jemand und putzt alles gründlich. Die Wäsche mach‘ ich und für das Kochen bin ich auch zuständig.


Was ist für Sie die größte Herausforderung im Alltag?

Er: Mhm … Herausforderung? (Überlegt eine Weile) Ich finde, es geht vor allem darum, die Dinge zu tun. Stressig kann es werden, wenn wir mit unserem Kleinen im Auto unterwegs sind, wenn er zu schreien anfängt und unbedingt seine Mami braucht. Aber die sitzt am Steuer und ich kann weder das Steuer übernehmen noch unserem Baby die Mami ersetzen.

Sie: Es gibt im Alltag immer wieder Situationen, wo Dinge an mir hängen bleiben. Also wenn mein Mann zum Beispiel am PC arbeitet und auf eine Webseite kommt, die nicht barrierefrei ist, kann er nicht weitermachen. Und ich bin aber gerade mit unserem Kleinen beschäftigt oder mit dem Kochen. Ich finde es mühsam, wenn ich meine Tätigkeit unterbrechen und einspringen muss. Es sind Kleinigkeiten, aber trotzdem. Oder wenn wir im Auto unterwegs sind, irgendwo pünktlich sein müssen und der Kleine fängt zu schreien an. Das ist stressig.

Worüber haben Sie zuletzt gestritten?

Er: (Denkt nach) I have a bad memory. Ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Wir streiten eigentlich nicht. Natürlich haben wir Meinungsverschiedenheiten, natürlich gehen wir die Dinge auf unterschiedliche Art und Weise an, aber wir vertrauen darauf, dass die andere Person weiß, was sie tut.

Sie: Wir streiten nicht. Wir diskutieren. Juan sagt im Scherz, dass er eh weiß, dass ich meistens recht habe. (Lacht) Das sagt er, nicht ich. (Lacht) Also ich bin vielleicht ein bissl strenger was unseren kleinen Benjamin betrifft. Ich will nicht, dass der Fernseher läuft, wenn der Kleine im Wohnzimmer ist. Juan findet es nicht so schlimm, wenn unser Baby einmal zwei Minuten zum Fernseher hinschaut, aber ich will das nicht und geh dann mit ihm aus dem Zimmer.

Was schätzen Sie an Ihrem Partner, an Ihrer Partnerin ganz besonders?

Er: I appreciate everything about her. Ich schätze alles an ihr. Ich schätze mich sehr glücklich. I consider myself as extremely lucky, really lucky.

Sie: Er ist sehr liebevoll, sehr fürsorglich. Das finde ich sehr schön. Und er denkt über vieles nach, ohne sich in Dinge hineinzusteigern. Sehr differenziert.

Was stört Sie?

Er: I hate chaos. Chaos ist mir verhasst. Aber was willst du machen? Du schaffst es einfach nicht, dass immer alles übersichtlich und ordentlich ist. Wenn es nach mir ginge, wäre unsere Wohnung ziemlich leer. Nina mag Dinge, ich bin glücklich, wenn ich Dinge loswerden kann.

Sie: Er hat seine festen Überzeugungen und manchmal dauert es sehr lange, ihm alle Gegenbeweise zu erbringen.

Wie viel Zeit bleibt Ihnen als Paar?

Er: Andrew kam vor knapp drei Jahren zu uns, da war er elf Jahre alt. Damals war es noch leicht, Zeit zu zweit zu haben. Aber jetzt mit dem Baby …!

Sie: Also Zeit als Paar mit Baby, das geht schon. Aber Zeit zu zweit ist schon viel schwieriger. Ich bin ein Nachtmensch, Juan ein Morgenmensch. Am ehesten sitzen wir noch abends ein bisschen zusammen, reden oder schauen fern.

Was erachten Sie als wesentlich für eine gute Beziehung?

Er: Ich finde, es ist wichtig, dass man es genießt, zusammen zu sein. Genauso wichtig ist es, dass meine Partnerin Dinge tun kann, die sie gerne macht. Und dass ich mir selber auch die Zeit nehme, für das, was ich gerne mache. Ich mag das Abenteuer, die Action. Meine Frau ist eher so der Typ, der gern ruhig am Strand liegt und liest.

Sie: Sich auf den anderen verlassen können, mich darauf verlassen können, dass er mich emotional unterstützt.


Danke für das Gespräch.

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