Aktuelles
„Reiten macht mich einfach glücklich.“
Interview mit Valentina Baier
Valentina, Sie sind donnerstags, samstags und sonntags im Reitstall, reiten regelmäßig und kümmern sich um die Tiere, insbesondere um Hercules, auf dem Sie reiten. Das ist eine sehr ungewöhnliche Leidenschaft für einen Menschen, der blind ist. Was macht Ihnen beim Reiten so viel Freude?
Es ist einfach schön, wenn Hercules auf meine sanften Hilfen, auf meine leisen Kommandos reagiert. Oder wenn er galoppiert und ich merk, wieviel Spaß ihm das macht. Auch ich mag die Geschwindigkeit beim Galopp, das ist einfach super. Außerdem finde ich es beeindruckend, dass diese großen Tiere so sanft und verletzlich sind und sich einem anvertrauen, auch wenn Pferde Fluchttiere sind. Wenn ich am Zaun der Koppel steh, Hercules rufe und er kommt, das ist unbeschreiblich schön. Dann weiß ich, ich hab was richtig gemacht.
Hercules ist ein Schulpferd, das ungefähr zehn Jahre alt ist. Wie ist sein Temperament, welche Eigenschaften besitzt er? Pferden wird ja nachgesagt, dass sie oft schreckhaft und nervös seien.
Nein, schreckhaft ist Hercules zum Glück überhaupt nicht. Er ist ehrgeizig und voller Energie. Er testet gern aus, was er darf und was er nicht darf. Andererseits steht er auf seinem Platz im Stall und schläft mir fast ein mit seinem Kopf in meiner Hand. Er ist voll süß, voll lieb. Regen, Wind und Sturm machen ihm nichts aus, er bewegt sich immer gern. Und ich kann mich auf ihn verlassen. Das ist sehr wichtig.
Wie kann man sich Ihre Reitstunden vorstellen? Reiten Sie auf dem Reitplatz, dem Reitviereck oder sind Sie auch im Gelände unterwegs?
Bei meinen Reitstunden bin ich meistens am Reitviereck oder auf der großen Koppel, wo es Hindernisse gibt, wo Stangen sind. Wir machen Reitbahnstunden mit Schritt, Trab und Galopp. Dann üben wir noch mit den Stangen, die am Boden liegen und vereinzelt Cavalettis, also mit den Stangen, die knapp über dem Boden sind. Bei Cavalettis liegt die Stange meist 30 Zentimeter über dem Boden, aber ich springe auch 60 Zentimeter, das ist Reiterpasshöhe.
Ich reite auch aus. Natürlich nicht allein, sondern mit meiner Reitlehrerin. Pferde sind ja Herdentiere und wenn jemand vorne reitet, läuft mein Pferd ohnehin hinterher.
Die Reitlehrerin redet auch mit mir und so weiß ich, wo sie ist. Außerdem vertrau ich darauf, dass mein Pferd genau achtet, wo es hintritt. Beim Hercules weiß ich, dass er nur das macht, was er kann. Also er springt zum Beispiel nirgends drüber, wo er dann stürzen könnte. Das ist sehr wichtig. Es ist überhaupt sehr wichtig, dass wir uns aufeinander verlassen können, denn sonst wird es schnell gefährlich.
Bei Pferden muss man achtgeben, dass man nicht getreten oder gebissen wird. Außerdem sind es große, respekteinflößende Tiere. Wie groß ist das Pferd, das Sie reiten? Die Größe wird als Stockmaß bezeichnet und wird an der höchsten Stelle des Widerrists gemessen, also beim vorderen, erhöhten Teil des Rückens.
Hercules hat 168 Zentimeter Stockmaß. Ich find es toll, auf so einem großen Pferd zu sitzen und mit diesem Tier etwas zusammen zu machen, mir taugt das voll. Und ja, das mit dem Treten und Beißen, man muss lernen, mit einem Pferd umzugehen. Mir hat Hercules dabei sehr geholfen, weil er mir immer zeigt, wenn ich nicht aufpasse, dann beißt er ins Holz oder macht was, was ich eigentlich nicht will. Er sagt mir also, sei bei der Sache, sei aufmerksam. Es ist nicht so, dass ich neben dem Pferd steh und am Handy bin, das geht einfach nicht. Ich hab keine Angst, aber ich passe sehr gut auf. Außerdem muss man ein paar Dinge beachten. Ich muss entweder mit großem Abstand hinter dem Pferd vorbeigehen oder ganz nah dran. Das ist bei Pferden so, daran muss man sich halten. Klar, es kann immer was passieren. Aber mir ist zum Glück noch nichts passiert. Ich bin auch noch nie runtergefallen, was ich mittlerweile schon irgendwie komisch find. Aber man sagt, dass Leute mit Sehbeeinträchtigung seltener vom Pferd fallen, weil wir uns nicht so schnell ablenken lassen.
Wieviel Zeit verbringen Sie damit, zu reiten und das Pferd zu versorgen?
Donnerstags und samstags hab ich immer eine Reitstunde, da bin ich so eineinhalb Stunden im Stall. Eine halbe Stunde davor, dann reite ich eine halbe Stunde, danach versorge ich Hercules. Sonntags reite ich nicht, da bin ich im Stall und kümmere mich um ein Pferd. Das dauert mindestens eine Stunde, oft länger.
Ein Pferd zu versorgen, ist aufwendig. Seine Box muss gereinigt werden, das Tier muss gefüttert, bewegt, gestriegelt und geputzt werden.
Es ist wichtig, dass man die Hufe ganz genau putzt, damit sich nichts entzündet. Dann muss man achten, dass das Pferd sich ausreichend bewegt. Ich kann reiten oder longieren. Beim Longieren steh ich in der Mitte und lass das Pferd an einer langen Leine um mich herumlaufen. Oder man macht Gymnastik. Da gibt es verschiedene Übungen. Man trainiert das Pferd, dass es rückwärts auf eine Stange zugeht, die am Boden liegt und dann stehen bleibt. Danach holt man noch mit einem Leckerli den Kopf runter, sodass sich das Pferd nach unten, nach links oder rechts dehnt. Es geht also ums Dehnen, um Geschicklichkeitsübungen und um den Spaß. Es ist fürs Pferd eine Art Konzentrationsübung und damit auch eine Abwechslung. Es fordert das Pferd und es stärkt die Beziehung zwischen uns.
Wie finden Sie sich im Reitstall zurecht und wie finden Sie alle Dinge, die Sie zum Reiten und Versorgen der Tiere brauchen?
Meine Mama bringt mich zum Reitstall und sie ist auch beim Reiten und Versorgen der Tiere dabei. Sie fühlt sich wohler damit, wenn ich nicht allein im Stall bin und für mich passt das auch. Im Stall mach ich dann eigentlich alles alleine, aber sie ist halt da. Der Stall ist übersichtlich und es ist dort ruhig und entspannt. Das ist wichtig, denn Pferde sind sehr sensible Tiere.
So ein feinfühliges Tier merkt auch genau, in welcher Verfassung seine Reiterin ist. Es kommt ja sicher vor, dass Sie Stress in der Schule oder Ärger mit anderen hatten, dass Sie abgelenkt sind und sich nicht so gut aufs Pferd konzentrieren können. Wie gehen Sie damit um?
Wenn ich es vorher selber nicht hinkriege, mir zu sagen, ich lass das jetzt, ich bin jetzt nur im Stall, dann zeigt mir das Pferd schnell, dass ich nicht bei der Sache bin. Dann bleibt es beim Striegeln nicht brav stehen, sondern wandert, bewegt sich hin und her oder beißt in seinen Strick. So merk ich, okay, ich muss mich konzentrieren, sonst macht er irgendeinen Unfug und beschäftigt sich halt selber. Wenn ich das schnall, dann ist er sofort wieder da. Hercules fordert meine volle Aufmerksamkeit, aber dafür gibt er auch alles.
Wie sind Sie zum Reiten gekommen? Haben Sie schon als Mädchen Pferdebücher gelesen und davon geträumt auf einem Pony zu sitzen?
Nein, gar nicht. Das hab ich meiner Mutter zu verdanken. Sie überlegt sich immer wieder, was wir, was mein Bruder und ich machen könnten. Mein Bruder Maximilian hat einmal von der Schule aus die Gelegenheit gehabt, auf einem Pferd zu sitzen und das hat ihm voll gefallen. Ich war da noch nicht so auf Pferde. Aber dann sind wir einmal eine Woche auf Urlaub gefahren, da war ich acht Jahre alt, wir waren auf einem kleinen Ponyhof und dort durften wir reiten. Ab der ersten Stunde habe ich es super gefunden. Ich bin dann immer in den Ferien geritten, meistens eine Woche zu Ostern und dann noch einmal eine im Sommer oder im Herbst. Und seit wir in dem Stall hier sind, seit bald zwei Jahren, reite ich regelmäßig, zuerst wöchentlich und jetzt zweimal in der Woche.
Ihr Bruder Maximilian besucht wie Sie die HAK in der Ungargasse und ist auch blind. Sie beide haben in diesem Schuljahr die dritte Klasse in der HAK abgeschlossen und Ihr Bruder reitet ebenfalls. War es schwierig, eine Reitlehrerin zu finden, die bereit ist, jemanden zu unterrichten, der nicht sehen kann?
Ja, das war schon sehr kompliziert. In der Steiermark, wo wir immer auf Urlaub waren, hatten wir Glück. Dort konnten wir reiten. Wir sind über Bekannte dorthin gekommen. Wir wollten in Wien oder in der Umgebung von Wien einen Stall finden. Aber das war so schwierig, dass wir es irgendwann aufgegeben haben.
Es hat immer geheißen, ihr könnt nichts sehen, es könnte ja was passieren.
Für uns war es zwar ärgerlich, aber ich kann es auch verstehen. Wir hatten dann Therapiestunden, aber die kosten fast viermal so viel wie eine normale Reitstunde und dauern kürzer, das war einfach zu teuer. Dann, vor knapp zwei Jahren hatten wir voll Glück und haben eine Reitlehrerin gefunden, die eine zusätzliche Ausbildung für Integratives Reiten hat, sie unterrichtet Menschen mit Behinderungen, die reiten möchten. Und diese Lehrerin hat sich das voll zugetraut, meinen Bruder und mich zu unterrichten.
Sie und Ihr Bruder reiten auf demselben Pferd und haben jeweils eine Einzelstunde bei der Reitlehrerin. Wie läuft eine Reitstunde ab? Wie kann man sich das vorstellen?
Es gibt ja im Reitviereck Buchstaben, also A, B, C und so weiter, diese Buchstaben helfen bei der Orientierung. Meine Reitlehrerin sagt mir aber nicht nur, dass ich bei C antraben soll. Sie sagt mir auch, wann ich bei C bin oder wann halt der jeweilige Buchstabe ist und dann führe ich aus, was sie möchte. So funktioniert das.
Was bedeutet es Ihnen, zu reiten?
Reiten ist für mich keine Sportart. Ich empfinde Reiten als Partnerschaft. Ich würde jedem raten, dass er es versucht, mich macht es glücklich. Ich vergesse dabei alles andere, den Alltag und die Schule. Es ist sehr entspannend. Es ist etwas ganz Besonderes, so eng mit dem Körper eines Tieres verbunden zu sein. Ich dressiere es nicht nur, sondern ich mach was mit ihm gemeinsam. Das finde ich so besonders schön.
Danke für das Gespräch.
Infos über Integratives Reiten:
Österreichisches Kuratorium für therapeutisches Reiten: https://www.oktr.at/web/integratives-reiten Als Zielgruppen werden unter anderem Reiter:innen mit Sinnesbehinderungen genannt, die sich sportlich betätigen möchten, aber keine Therapie benötigen.
Österreichischer Pferdesportverband: https://www.oeps.at/de/personen
Österreichischer Behindertensportverband: https://obsv.at/sport/sportarten/pferdesport/
Das könnte Sie auch interessieren
„Ich lasse mich nicht unterkriegen.“
Klara Messner ist 25 Jahre alt, studiert Wirtschaftspsychologie und ist seit zehn Jahren blind.
„Es ist mein größter Traum, eine IT Ausbildung zu machen.“
Sagt Anel Waglechner. Der 25jährige Niederösterreicher ist seit seiner Geburt blind und zurzeit in der Caritas Werkstatt in Krems tätig. Dort haben…
Herbstausflug 2024
Duftabenteuer, Ausstellungsbesuch und Schiffsrundfahrt im schönen Burgenland.