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„Schulung, Schulung, Schulung ist das A und O eines Diabetikers“
Theresa Baumgartner im Interview
Frau Baumgartner, Sie haben, was den Diabetes betrifft, sehr viel Expertise. Wie lautet also die Quintessenz Ihrer Erfahrung und Ihres Wissens?
Information ist alles! Schulung ist alles! Wer an Diabetes leidet, muss genau Bescheid wissen, was er tut und was er isst. Wie er sich am besten verhält, wenn er Sport betreibt, wenn er eingeladen ist, wenn er in einem Lokal isst oder auf Urlaub fährt, um nur einige Bereiche anzusprechen. Und natürlich ist es wichtig, sich über neue medizinische Entwicklungen zu informieren.
In Österreich gibt es über 600 000 Menschen, die an Diabetes mellitus erkrankt sind. Der Typ 1 Diabetes tritt meistens bei jüngeren Menschen auf. Der Typ 2 häufig bei älteren Personen. Die allermeisten, 85 bis 90 Prozent, sind Typ 2 DiabetikerInnen. Wodurch unterscheiden sich diese beiden Formen des Diabetes?
Bei einem Typ 1 Diabetiker wie bei mir produziert die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr. Wir müssen unserem Körper daher ein Leben lang Insulin zuführen. Anders ist es beim Typ 2 Diabetiker. Da wird zwar noch Insulin produziert, aber vermindert. Insulin muss aber ausreichend produziert werden, denn dieses Hormon der Bauchspeicheldrüse reguliert den Blutzuckerspiegel. Ist er zu niedrig, kann das lebensbedrohlich werden. Ist er zu hoch, führt dies zu unterschiedlichen Beschwerden. Unsere Diabetesgruppe im Blindenverband ist zwar vor allem für Leute mit dem Typ 1 gedacht, aber ich sage immer: Es gibt natürlich Unterschiede, doch was für den Einser gilt, gilt in der Regel auch für den Zweier. Also bei uns sind alle willkommen.
Die Selbsthilfegruppe trifft sich vier bis fünf Mal jährlich im Louis Braille Haus. Und zwar handelt es sich dabei um eine Kooperation des Blinden- und Sehbehindertenverbands mit den Aktiven Diabetikern Austria (ADA).
Auf diese Art und Weise möchten wir möglichst viele Personen mit Diabetes erreichen. Jene, die sehbehindert oder blind sind, genauso wie jene, die noch gut sehen. Wir schreiben unsere Treffen immer sowohl im Blinden- und Sehbehindertenverband als auch bei den ADAs aus. Ich leite diese Gruppe gemeinsam mit Dr.in Barbara Wagner. Einmal im Jahr machen wir eine Gesprächsrunde mit und für alle Betroffenen. Für die anderen Treffen überlegen wir uns immer ein spannendes Thema und laden Fachleute dazu ein.
Welche Themen sind geplant?
Bei einer Veranstaltung wird sich alles um das diabetische Auge drehen. Das betrifft sowohl Typ 1 als auch Typ 2.
Es ist ja so, dass in Österreich jedes Jahr ungefähr 200 Menschen als Folge des Diabetes mellitus erblinden. Dazu kommen noch weitere, deren Sehvermögen dadurch stark eingeschränkt wird. So wie bei mir.
Auch die Ernährung wird wieder ein Thema sein. Eine gesunde Ernährung sollte ja für jeden Menschen wichtig sein, aber für den Diabetiker ist es so quasi wie das Vaterunser für einen Christenmenschen.
Dank der heutigen Medizin und der medizinischen Technik kann ein gut geschulter Diabetiker so ziemlich alles essen und so ziemlich alles machen. Aber eben mit Maß und Ziel. Ich kann am Sonntag natürlich auch einmal ein Schnitzerl essen, aber dann muss ich mir überlegen, ob ich einen Kartoffelsalat mit Mayonnaise dazu nehme oder einen Blattsalat. Man muss auch gut schätzen können, sich die Dinge gut einteilen können. Wenn ich am Abend eingeladen bin und ein dreigängiges Menü serviert bekomme, dann werde ich mir meine Broteinheiten tagsüber so einteilen, dass sich dieses Mahl problemlos ausgeht.
Welchen Einfluss hat das Ernährungs- und Bewegungsverhalten auf den Diabetes? Wie wirkt sich also ein entsprechender Lebensstil aus?
Ich kann damit sehr, sehr viel bewirken. Ich kann durch mein Verhalten dazu beitragen, dass die Spätschäden entweder gar nicht auftreten oder zumindest gering bleiben. Und das ist ja schon ein großes Geschenk.
Ich sag‘ immer, Zucker ist teuflisch, denn Zucker tut nicht weh.
Viele sagen, nun gut, hab‘ ich halt ein bissl erhöhte Zuckerwerte, mir tut das ja nicht weh. Ich gewöhne mich halt daran, dass ich ein bissl müder und durstiger bin als früher, aber sonst merke ich ohnehin nichts. Das geht aber nur so lange gut, bis dann die Spätschäden auftreten. Die Augen sind oft betroffen. Es kann zu Herzinfarkten, Schlaganfällen und Amputationen kommen. Auch zu Nierenversagen kann es kommen, die Dialyse ist der Schrecken aller DiabetikerInnen. Es können Nervenerkrankungen auftreten genauso wie schlecht oder gar nicht heilende Wunden. Diese Spätschäden lassen sich aber nur verhindern oder im Zaum halten durch eine optimale medikamentöse Einstellung und durch einen optimalen Lebensstil.
Wer eine chronische Erkrankung wie Diabetes hat, muss immer wieder eine ärztliche Praxis aufsuchen, in eine Ambulanz oder ein Krankenhaus gehen. Was wünschen Sie sich von Seiten des medizinischen Personals, was ist Ihnen im Umgang wichtig?
Ich möchte als gleichberechtigter Partner angesehen werden. Es fällt mir sehr schwer, wenn ich in einer Praxis einem „Baby Doc“ gegenübersitze, also einem Arzt, der mein Kind sein könnte, und der mir irgendetwas erzählt. Man wird notgedrungen im Lauf der Jahre zum Experten in Sachen Diabetes. Und das ist gut so und sollte auch von ärztlicher Seite her bedacht werden. Ich halte es auch sehr schwer aus, wenn ich in einer Ambulanz von einer Krankenschwester herumkommandiert oder für etwas getadelt werde. Das vertrage ich gar nicht. Auch wenn ich weiß, dass das medizinische Personal oft überlastet ist. Ich möchte einen Umgang auf Augenhöhe.
Diabetes betrifft sehr viele Menschen und es werden zunehmend mehr. Andererseits wird auch ständig geforscht, es werden neue Behandlungsansätze und Medikamente entwickelt. Was brauchen Betroffene neben dem ärztlichen Aufklärungsgespräch, der medizinischen Behandlung und den eigenen Recherchen noch, um mit dieser chronischen Erkrankung möglichst gut leben zu können?
Also ich bin ein großer Freund von Selbsthilfegruppen. Man hört, wie es anderen mit einem neuen Medikament oder einer neuen Pumpe geht. Man spricht über Behandlungskonzepte, denn die beste Therapie nützt mir nichts, wenn sie nicht zu meinem Alltag, zu meinem Lebensstil passt. Und man bekommt Informationen über Nadeln und Pens, die bald auf dem Markt sein werden. Man muss die Leute neugierig machen, damit sie etwas Neues ausprobieren.
Außerdem erlebt man, dass man nicht allein ist. Oft hat ein Mensch mit einer chronischen Erkrankung das Gefühl, der Einzige zu sein. Und selbst wenn man weiß, dass es rund 650 000 andere DiabetikerInnen gibt, fühlt man sich allein damit. Hinzu kommt, dass man in der eigenen Familie oft so Sachen hört wie: „Ja, ja, wir wissen eh, dass du das hast. Du bist halt ein armes Frettchen.“ Also wenn ich das schon höre! Oder man wird mit guten Ratschlägen zugeschüttet von Leuten, die überhaupt keine Ahnung von der Sache haben.
Deshalb sind diese Selbsthilfegruppen so wichtig, dort kann ich mich mit anderen Betroffenen austauschen.
Dort informieren mich Fachleute über die neuesten Entwicklungen und Behandlungen. Es ist mir ein großes Anliegen, dass viele Menschen zu uns finden. Wir bemühen uns, spannende Themen zu finden und interessante Vortragende einzuladen, also Ärztinnen und Ärzte, ProfessorInnen und PharmareferentInnen, die am neuesten Stand sind. Und es ist ja so, dass diese Fachleute die Vorträge in ihrer Freizeit machen, dass sie das ehrenamtlich tun. Auch deshalb wäre es schön, wenn das Angebot auf Interesse stößt. Ich möchte alle Betroffenen ermutigen, in unsere Selbsthilfegruppe zu kommen, sich zu informieren und auszutauschen. Wir freuen uns über jeden, der dabei ist.
Die Diabetesgruppe trifft sich üblicherweise mehrmals im Jahr im Louis Braille Haus in der Hägelingasse 4-6 in 1140 Wien.
Ihre Ansprechpartnerinnen:
Theresa Baumgartner unter 0664/ 441 17 81 oder
Dr.in Barbara Wagner unter 050405/ 20349
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