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„So hat sich meine Liebe zu Büchern entwickelt.“
Hörbuch-Fans im Interview
Jeden zweiten Freitag im Monat treffen sich Fans von Hörbüchern im Louis Braille Haus in Wien. Wir haben mit einigen Teilnehmer:innen und der Gründerin gesprochen.
Anita Kolerus, Sie haben einen Buchclub für lesebegeisterte blinde und sehbehinderte Menschen initiiert. Nun haben ja Leser:innen ganz unterschiedliche Vorlieben, die einen mögen Klassiker oder Romane, die anderen Krimis oder Biografien. Wird heftig diskutiert, welches Buch gemeinsam gelesen werden soll?
Wir haben das so gelöst, dass alle Teilnehmer:innen einen Titel vorschlagen und dann wird gelost. Es gibt eine Box mit Zetteln, wo die Titel der Bücher draufstehen, die gelesen werden sollen. Am Ende jedes Treffens greift eine Person in die Losungsbox, zieht einen Zettel und das ist dann das Buch, das wir bis zum nächsten Mal hören und dann darüber reden.
Fleur Kalser, eine der Teilnehmer:innen: Ich habe zum Beispiel Die Wand von Marlen Haushofer vorgeschlagen. Mich interessiert immer, wie sich die Menschen fühlen, mich interessiert, was in der Seele der Menschen vorgeht. Ich mag Eichendorf und Fontane, historische Romane, Biografien und Tatsachenberichte. Und im Buchclub komme ich außerdem zu Büchern, die ich sonst nicht lesen würde. Das finde ich schön.
Gelesen wurden unter anderem auch noch die Schachnovelle von Stefan Zweig oder Die Jahre von Anni Ernaux. Woher beziehen die Teilnehmer:innen die Bücher?
Anita Kolerus: Über die verschiedenen deutschsprachigen Blindenhörbüchereien, die es gibt, sei es die österreichische, deutsche oder schweizerische. Andere nutzen barrierefreie Apps wie Audible, um sich ein Hörbuch herunterzuladen. Ich verwende zum Beispiel gerne BookBeat und Skoobe.
BookBeat ist ein Audio-Streaming Dienst für Hörbücher und E-Books. Nutzer:innen bezahlen einen festen Monats- oder Jahrespreis und können aus allen Hörbüchern und E-Books auswählen und diese auf ihren Smartphones oder Tablets hören oder lesen. Ähnlich ist das bei Skoobe. Wenn man E-Books rückwärts liest, ergibt sich der Name des Anbieters Skoobe.
Anita Kolerus: Diese Dienste haben eine große Auswahl an Titeln. Es gibt viele Apps für Bücher, aber nicht alle sind barrierefrei. Bei uns ist es so, dass ein Buch als Hörbuch oder E-Book verfügbar, aber eben auch barrierefrei sein muss. Das ist mir sehr wichtig. Sonst braucht man eine sehende Person, die einem hilft, das Buch herunterzuladen. Bei unseren Treffen tauschen wir uns auch darüber aus, wer welche Möglichkeiten nützt. Wenn man bisher den Daisy Player verwendet oder sich CDs per Post bestellt hat, die wieder zurückgeschickt werden müssen, probiert man vielleicht etwas Neues aus.
Markus Frankl: Ich zum Beispiel nutze sehr viel Audible, aber inzwischen auch Hörbüchereien. Dort habe ich Bücher gefunden, die es bei Audible nicht gibt. Als sehbehinderter Mensch tu ich mir schwer, mich für Filme zu begeistern, aber bei Büchern kann ich mir alles vorstellen, was passiert. Eine ganz neue Welt tut sich auf, in die ich eintauchen kann, das fasziniert mich immer wieder.
Luisa Klein: Ich bin als Assistenz von Markus hier. Ich habe Englisch und Philosophie studiert und auch selber Lesekreise organisiert, neben philosophischen Lesekreisen auch Lyrik Lesekreise, also wo man Gedichte liest. Ich mach das gern und freu mich, dass ich durch die Assistenz bei BADO dabei sein kann. Das ist mein erster Lesekreis, wo jeder einen Titel in die Box hineinwerfen kann und wo man Unterhaltungsliteratur liest.
Beim Buchclub BADO sind Frauen und Männer dabei, neben sehbehinderten und blinden Personen auch eine sehende. Eine bunte Gruppe, die eines verbindet, die Begeisterung für Bücher. Was motiviert die Teilnehmer:innen, sich mit anderen darüber auszutauschen?
Dominika Raditsch: Ich habe das Bedürfnis, mich mitzuteilen. Wenn ich etwas lese, will ich darüber reden, das „Erlebte“ mit anderen teilen. Bücher lesen ist ein bisschen so, wie eine Reise zu machen, einzutauchen in eine andere Welt und dann hat man ein starkes Bedürfnis, die Eindrücke mitzuteilen. Wie wenn man aus Rom oder Paris zurückkommt und sagt, oh, ich habe so aufregende Dinge erlebt und so viel Neues gesehen. Wenn es mich sehr berührt oder schockiert, was ich lese oder wenn es mich aufrührt und irritiert, will ich mit anderen darüber reflektieren.
Anna Eppel: Es ist schön, wenn ich mit anderen meine Interessen teilen kann. Meine Tochter ist so jemand. Sie liest mir sogar einmal in der Woche über WhatsApp, über das Telefon vor. Aber sie lebt in Deutschland. Wie ich vom Buchclub BADO erfahren habe, habe ich mir sofort gedacht, das klingt sehr interessant, das will ich ausprobieren. Ich tausche mich so gerne mit anderen aus, ich bin neugierig, wie die anderen das Gelesene empfinden und beurteilen. Da lernt man auch etwas dazu.
Verwenden einige Teilnehmer:innen auch Bücher in Brailleschrift?
Anita Kolerus: Also bei uns ist es so, dass wir die Bücher hören. Niemand liest sie in Brailleschrift. Die Bücher, die wir lesen, haben 200, 300 oder mehr Seiten, in Brailleschrift wären sie ziemlich dick, also unhandlich und schwer. Und viele Bücher gibt es gar nicht in Braille. Man könnte, wenn man einen PC mit Braillezeile hat, das Buch auch über das E-Book Format lesen, aber ich zum Beispiel habe gar keine Braillezeile.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Buchclub zu initiieren?
Anita Kolerus: Ich habe schon immer gerne gelesen und wie mein Sehvermögen schlechter geworden ist, bin ich auf Hörbücher umgestiegen. In der Pandemie habe ich dann begonnen, mich mit verschiedenen Apps zu beschäftigen. Ich habe geschaut, welche Apps angeboten werden, und welche Bücher-Podcasts es gibt und habe gemerkt, dass ich gerne bei einem Buchclub dabei sein würde. Ich habe einen Podcast gehört, der mich ganz besonders begeistert hat, er heißt eat.READ.sleep. Dort bekommt man viele Tipps und Informationen zu Büchern, das können Neuerscheinungen sein oder Bestseller, was auch immer. Und Fans von diesem Podcast haben Buchclubs gegründet, in Deutschland, aber auch in Österreich. Wie ich dann herausgefunden habe, dass es auch in Wien einen gibt, habe ich mich dorthin gewandt und wurde sehr nett aufgenommen. Ich bin noch immer dabei, aber ich bin halt die einzige blinde Person. Dann habe ich weiter gesucht, ob es vielleicht einen Buchclub für lesebegeisterte blinde Leute gibt, habe aber nichts gefunden und so bin ich auf die Idee gekommen, selber einen zu organisieren.
Sie haben den Buchclub BADO in Kooperation mit dem BSVWNB gegründet. Die Treffen finden, wie gesagt, im Louis Braille Haus in der Hägelingasse in Wien statt. Warum ist es Ihnen wichtig, dass es so ein Angebot für blinde und sehbehinderte Menschen gibt?
Anita Kolerus: Ich wollte, dass es für alle Teilnehmer:innen möglichst unkompliziert ist. Beim Buchclub von eat.READ.sleep. ist es so, dass wir uns in einem Lokal treffen. Es ist halt für uns blinde Menschen oft etwas mühsam, in ein Café zu kommen und sich dort zu orientieren, also zum Beispiel die Toiletten zu finden. Dann gibt es in einem Lokal oft eine Lärmkulisse, das kann irritierend sein, denn wir orientieren uns ja auch stark über das Gehör. Aber hier sind wir in der gewohnten Umgebung. Die Teilnehmer:innen kennen den Weg hierher und finden sich im Haus zurecht, das ist ein großer Vorteil.
Sie haben eine erblich bedingte Netzhauterkrankung, haben aber als Kind und Jugendliche noch so viel gesehen, dass Sie Bücher in Schwarzschrift gelesen haben. Was hat Sie fürs Lesen begeistert?
Anita Kolerus: Mir wurde als Kind schon viel vorgelesen, ganz besonders von meiner Großmutter. Später hat meine Oma viel mit mir gemeinsam gelesen. Ich war in den Ferien oft bei ihr. Und wie ich dann schon schlechter gesehen habe und Probleme mit dem kleinen Druck hatte, hat sie mir das Buch vorgelesen. So hat sich meine Liebe zu Büchern entwickelt. Wie meine Eltern draufgekommen sind, dass ich Probleme mit den Augen habe, waren sie sehr besorgt, dass ich mir beim Lesen die Augen noch mehr verderben könnte. Ich habe dann abends heimlich unter der Decke mit der Taschenlampe gelesen und war sehr froh, wenn Ferien waren und ich bei meiner Großmutter sein und Bücher lesen konnte.
Welche Bücher sind Ihnen besonders ans Herz gewachsen?
Anita Kolerus: Als Kind habe ich Meister Eder und sein Pumuckl ganz besonders geliebt. Das Buch hatte eine größere Schrift und die Geschichten haben mir auch gut gefallen. Ein Buch, das mich als Erwachsene sehr berührt hat, heißt Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Moyes. Ein anderes, das mir auch sehr gut gefallen hat, heißt Solange wir schwimmen von Julie Otsuka. Ich lese oft traurige Bücher, wo die Protagonist:innen Schicksalsschläge erleiden. Ich lege es nicht drauf an, aber es passiert oft so. Ich bin aber nicht nur ein Bücher-, ich bin auch ein Katzenmensch. Ich liebe Katzen und meine Katze Lucy setzt sich oft zu mir, wenn ich in meinem Schaukelstuhl sitze und Hörbücher oder Podcasts höre. Dann hören wir gemeinsam. (Lacht)
Lesen und Reden, darin sind sich die Teilnehmer:innen einig, ergänzen sich wunderbar. Es sei schön, wenn auf die Zeiten des Lesens in Stille und des Für sich seins, der lebhafte Austausch im Buchclub folge.
Monika: Das ist mein erster Buchclub. Ich dachte, es ist eine gute Idee, gemeinsam ein Buch zu lesen und die Gedanken der anderen zu diesem Buch zu hören. Es gibt ja Bücher, die vor langer Zeit geschrieben wurden und uns heute trotzdem noch so viel zu sagen haben. Hier sitzen lauter nette und gescheite Leute, es ist sehr interessant sich auszutauschen.
Dominika Raditsch: Es hat mich unglaublich gefreut, dass Anita den Buchclub initiiert hat. Und ich freue mich immer auf unsere Freitage.
Information:
Die Teilnehmer:innen vom Buchclub BADO treffen sich, wie erwähnt, jeden zweiten Freitag im Monat im Louis Braille Haus. Interessierte können sich vorab per Mail bei Anita Kolerus informieren: E-Mail: clubbado(at)gmx.at
Es gibt außerdem eine BADO WhatsApp und Facebook Gruppe: https://facebook.com/groups/clubbado.
Neue Mitglieder sind herzlich willkommen.
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