Portraits

Über Umwege und Hürden zum Erfolg.
David Erkinger im Portrait
Die erste Silbermedaille, errungen im Jahr 2018 in Plowdiw in Bulgarien, bleibt unvergesslich. Es ist David Erkingers erste Weltmeisterschaft und er erringt auf Anhieb eine Medaille. „Du gibst alles. Dann stehst du am Stockerl und hinter dir wird die Nationalflagge gehisst. Das ist ein fast unbeschreibliches Gefühl, das ist ein sehr toller Moment.“ Eine weitere ganz besondere Erfahrung in seiner sportlichen Karriere erlebt David Erkinger, als er letzten Herbst im Rathaus zum Wiener Sportler des Jahres mit Behinderung gekürt wird.
„Einerseits weißt du, es gibt andere tolle Athlet:innen in Wien, die diese Auszeichnung auch verdienen würden und andererseits ist es einfach nur schön, diese Anerkennung zu bekommen. Du weißt, all die Mühen, all die Anstrengungen haben sich gelohnt und werden anerkannt.“
Im September 2022 beginnt der junge Wiener, der blind ist, an der FH Wien der Wirtschaftskammer Wien (WKW) Personalmanagement zu studieren. Der Alltag des Studenten ist stressig, nicht zuletzt, weil es an Barrierefreiheit mangelt. Das gilt sowohl für das Gebäude, wo Leitsysteme und Türschilder in Brailleschrift fehlen, wie auch für die Lernunterlagen, die selten so aufbereitet sind, dass sie von blinden Studierenden genutzt werden können. Ohne Assistenz wäre es kaum möglich, erfolgreich zu studieren. Über die Wiener Assistenzgenossenschaft (WAG) vermittelt, unterstützen abwechselnd drei junge Leute, die neben ihrem Studium jobben, David Erkinger. Sie sind häufig in den Vorlesungen dabei, bereiten Grafiken, Tabellen, PowerPoint Präsentationen und Lernunterlagen auf oder assistieren bei der Recherche. Das Sozialministeriumservice (SMS) bezahlt eine bestimmte Stundenanzahl an Assistenzleistung pro Semester. Und ansonsten heißt es für den blinden Studenten: „Lernen, lernen, lernen und hoffen, dass ich es irgendwie schaffe.“
David Erkinger kommt über Umwege auf die Fachhochschule. Nach der Matura beginnt er zunächst ein Studium an der Wirtschaftsuniversität (WU). Das funktioniert nicht. Dann versucht er es mit einem Fernstudium für Wirtschaftspsychologie, das ihn inhaltlich sehr interessiert. Aber es ist ein einsames Unterfangen, wenn man sich alles im Selbststudium erarbeiten muss. An der FH ist er in eine Gruppe von gut 30 Student:innen eingebunden, hier heißt der Klassenverband Kohorte. „Ich kann mich mit den anderen austauschen, Fragen stellen, das ist schon was Tolles.“ Ja, er komme mit den anderen gut aus und erhalte Unterstützung, wenn er etwas brauche. Nicht zuletzt, weil er selbst für einen guten Einstieg gesorgt hat. Bei den ersten Zusammenkünften, wo die Studierenden Zeit haben, sich kennenzulernen, schlägt er den Verantwortlichen vor, dass eine halbe Stunde für Fragen reserviert wird, die die anderen zu seiner Behinderung haben.
„Leute aus meiner Kohorte haben gefragt, wie ich am PC arbeite und das Handy bediene. Sie haben mich aber auch gefragt, wie sie mich unterstützen können und wie ich es haben will.“
Seine Mitstudent:innen erfahren, dass ihm geholfen ist, wenn er angesprochen wird und den Weg von der U-Bahnstation zu den verschiedenen Klassenräumen nicht alleine gehen muss, oder wenn er nicht lange nach einer Steckdose für den PC suchen muss, die sich irgendwo am Boden befindet.

David Erkinger wächst als Einzelkind in Wien auf. Er hat eine genetische Netzhauterkrankung, Retinopathia pigmentosa. Sein Sehvermögen verringert sich kontinuierlich, doch er besucht zunächst eine Regelschule. Nach der Volksschule kommt er ins Gymnasium zu den Schulbrüdern in Strebersdorf. Die Eltern – die Mutter arbeitet als Stationssekretärin in einem Krankenhaus, der Vater ist Finanzberater – unterstützen und fördern ihren Sohn nach Kräften. „Bei den Aufgaben in Mathematik haben sie mir alles genau beschrieben, sie haben mich generell beim Lernen unterstützt und geschaut, dass ich eine gute Struktur hab und dass alles da ist, was ich fürs Arbeiten für die Schule brauche. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“
Dennoch, das Leben als Schüler mit Behinderung kann sehr hart sein, man wird gehänselt oder gemobbt. In der dritten und vierten Klasse Gymnasium verwendet David eine Kamera, die alles was auf der Tafel steht, auf seinen Laptop projiziert. „Da gab es drei oder vier Mitschüler, die sich in den Pausen einen Spaß daraus gemacht haben, damit herumzuspielen. Sie haben die Fernbedienung für die Kamera verstellt und einmal wurde das Kabel kaputt. Das war keine lustige Zeit.“ Die Lehrkräfte sind bemüht, insbesondere seine Mathematiklehrerin.
„Wie ich in der dritten Klasse war, war sie bei einer Fortbildung am Bundesblindeninstitut (BBI), wo es darum ging, wie blinden Schülern Mathematik vermittelt werden kann. Das habe ich toll gefunden.“
Seine Stützlehrerin am Gymnasium empfiehlt jedoch, dass er nach der vierten Klasse ins BBI wechseln soll. Dort beschäftigt er sich zunächst einmal ein Jahr lang mit verschiedenen blindenspezifischen Techniken und absolviert danach die Handelsschule.
Wenn er auf seine schulische Ausbildung zurückschaut, hätte er sich eine dritte Möglichkeit gewünscht. Ein einzelner blinder Schüler ist in der Regelschule, insbesondere unter jüngeren Schüler:innen, leicht dem Spott und Hohn der anderen ausgesetzt. In einer Schule für blinde und sehbehinderte Kinder kann es dazu kommen, dass sie in Watte gepackt und nicht auf das Leben „da draußen“ vorbereitet werden. „Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass man Integration und blindenspezifische Sachen besser kombiniert hätte. Also dass ich zum Beispiel in einer Regelschule in einer Klasse mit zwei Drittel sehenden und einem Drittel sehbehinderten Kindern gewesen wäre. Ich denke, so hätte es einen besseren Austausch gegeben. Einmal unter den blinden und sehbehinderten Kindern, aber auch unter den sehenden und den nichtsehenden Schüler:innen.“

David Erkingers Weg zum Ruderclub und Leistungssport führt über das Weltjugendtreffen in Krakau. Eine Lehrerin vom BBI macht David darauf aufmerksam, dass der Pfarrer von St. Rochus, Pater Florian, der auch die Schulmessen am BBI hält, mit einer Gruppe junger Leute dorthin fährt und dass blinde Jugendliche genauso eingeladen sind, mitzukommen. Auf dieser Fahrt lernt er neben anderen netten Leuten eine junge Frau kennen, die ihm erzählt, dass ihr Vater Referent für das Para Rudern in Österreich sei und ob er nicht Lust habe, diesen Sport auszuprobieren. „So bin ich im September 2016 beim Rudern gelandet.“ Er habe immer schon gern Sport gemacht, aber nie Leistungssport betrieben. Jetzt hängt David sich voll hinein und trainiert intensiv. Rudern ist eine sehr anstrengende, sehr fordernde Sportart, das gefällt ihm. Auch dass man viel in der Natur und am Wasser ist. Das Element Wasser beruhigt und entspannt.
„Und es ist toll, dass beim Rudern Menschen mit und ohne Behinderung in einem Boot sitzen können. Es ist egal, ob du sehen kannst oder nicht. Man wird zum Kollektiv.“
Der sportliche Wiener tritt beim Wettkampf – und das ist eine Besonderheit beim Para Rudern – im gemischten Doppel an, also in einem Zweier Team, das sich aus einem Mann und einer Frau zusammensetzt. Seine Teamkollegin ist sehend, sie hat eine körperliche Behinderung, ihr fehlt das rechte Bein und der rechte Beckenknochen. „Im Para Rudersport gibt es zwei paralympische Bootsklassen, beide sind gemischt, also ein Mann und eine Frau oder zwei Männer und zwei Frauen. So soll auch die Gleichbehandlung der Geschlechter unterstützt werden. Aber sonst treten im Rudersport immer nur Männer gegen Männer oder Frauen gegen Frauen an.“

Leistungssport erfordert regelmäßiges Training, Kraft- und Ausdauer werden trainiert, es wird regelmäßig gerudert, am Wasser oder im Trockenen, aber David Erkinger macht auch Yoga. Wenn er am Wasser trainiert, sitzt immer eine sehende Person im Boot. In der Regel trainiert er 14 oder 15 Stunden pro Woche. Wenn aber Wettkämpfe anstehen, wird das Training intensiviert. „Letzten Sommer hatte ich ein Trainingslager, da habe ich täglich vier oder fünf Stunden trainiert, und zwar sieben Tage die Woche.“ Der Leistungssportler wird vom Sportpool Wien, der junge begabte Athlet:innen fördert, monatlich mit einem kleinen Betrag unterstützt. Der Ruderer ist Mitglied beim Wiener Ruderclub Pirat, der sich an der Alten Donau befindet und mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erreichbar ist. „Rudern ist eine tolle Sportart. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Mitgliedern.“ Das Team soll erweitert werden, vor allem Frauen sind gefragt, denn noch ist Rudern ein Sport, der von Männern dominiert wird. Noch ist nicht ganz klar, wie es für David Erkinger sportlich weitergehen wird, denn seine Teampartnerin ist erkrankt und Frauen sind, wie schon gesagt, im Rudersport rar.
„Ein großes Ziel von mir wäre, dass ich mich für die Paralympics in Paris qualifiziere, die im nächsten Jahr stattfinden. Aber in meiner Bootsklasse braucht man halt eine Frau und einen Mann.“
Sehr viel Freizeit bleibt David Erkinger neben dem Leistungssport und dem Studium nicht. Doch Stress hin oder her, der junge Wiener trifft sich gerne mit Freunden, sei es zuhause oder in einem Lokal, man redet und verbringt Zeit miteinander. Zwischen zwei Vorlesungen setzt er sich gern einmal für eine halbe Stunde in die Sonne, schaut in die Luft und tut gar nichts. Ausgesprochen entspannend ist es für ihn, wenn er seine Lieblingsmusik laut aufdreht oder sich auf den verschiedenen Plattformen Serien und Filme anschaut. Dies genießt er ganz besonders, wenn eine Prüfung geschafft ist. Vor nicht allzu langer Zeit ist der Student von zuhause ausgezogen und ist nun dabei, sich in seinen eigenen vier Wänden einzurichten. Wieder hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen.
Alle, die sich fürs Rudern interessieren, sind beim Ruderclub Pirat https://wrc-pirat.at/ willkommen. Man kann vorbeikommen, schnuppern, ausprobieren oder sich per Mail informieren: paras(at)wrc-pirat.at
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