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Unsichtbare Stolpersteine: Hürden im Internet
Ein Themenabend
Stellen Sie sich vor, Sie wollen sich auf der Webseite der Corona-Ampel über die epidemiologische Lage und regionale Verbreitung von COVID-19 in Österreich informieren. Für die meisten InternetnutzerInnen kein Problem: Ein Blick auf die Karte genügt und Risikogebiete sind schnell identifiziert.
Was so einfach klingt, kann für sehbehinderte und blinde Menschen schnell zum Stolperstein werden - und sie von wichtigen Informationen abschneiden. Wenn beispielsweise weder eine Erklärung der Ampel-Farben (z.B. gelb) noch eine Beschreibung der Grafik (z.B. Bezirk Wien - mittleres Risiko) zur Verfügung stehen.
Von WebseitenbetreiberInnen oftmals nicht bedacht wird die Barrierefreiheit im Internet. Was sie bedeutet und wie sie umgesetzt werden kann, erläuterte Dr. Susanne Buchner-Sabathy, Expertin für Web Accessibility, am 9. September im Louis Braille Haus.
Eröffnet wurde der Themenabend von der Moderatorin Mag. Marion Putzer-Schimack mit den Worten „heute ist alles ein bisschen anders als sonst“. Denn es war die erste Veranstaltung, die wieder live stattfand - diesmal im großen Saal im Erdgeschoss. Umso größer war die Freude des Wiedersehens bei den Gästen. Die 13 TeilnehmerInnen saßen verteilt auf sechs Tischreihen, um den nötigen Sicherheitsabstand einer „Giraffenlänge“ einzuhalten - wie ein Mitglied scherzhaft anmerkte.
Virtuelle Stolpersteine für sehbehinderte Menschen
Dr. Susanne Buchner-Sabathy begann ihren Vortrag mit einer persönlichen Geschichte: Schon als Kind war sie stark sehbehindert. Lesen und schreiben lernte sie mit einer Lupe. Nach ihrem Schulbesuch in Fürstenfeld studierte sie in Graz Sprachwissenschaften, Französisch und Spanisch. Dann ist sie erblindet und fand sich in einer für sie bis dato völlig unbekannten Welt wieder.
Aus Verärgerung darüber, dass sie viele Webseiten nicht mehr lesen und bedienen konnte, brachte sie sich selbst das Programmieren bei und bildete sich im Bereich Barrierefreiheit im Internet fort.
Der Begriff „Barrierefreiheit“ stammt ursprünglich aus der Baubranche. Während unsere Gesellschaft inzwischen darauf sensibilisiert ist, dass Treppenstufen physische Hindernisse für Rollstuhlfahrer darstellen, ist das Bewusstsein der „unsichtbaren Hürden“ für sehbehinderte Menschen im Internet leider noch nicht so stark ausgeprägt.
Um dem entgegenzuwirken, berät Dr. Susanne Buchner-Sabathy Webagenturen und führt Screenreader-Tests durch, um Webseiten auf ihre Zugänglichkeit für nicht sehende Menschen zu testen. Doch welche Stolpersteine gibt es und wie kann man sie technisch beseitigen? Die Antwort liegt im sogenannten Quellcode.
Hinter der optischen Schicht einer Webseite verbirgt sich eine zweite: der „Quellcode“. Es handelt sich dabei um eine Art Bauanleitung mit Anweisungen. Diese ist für Menschen mit Sehbehinderung essenziell, denn nur wenn sie ausreichend Informationen mit konkreten Anleitungen enthält, kann sie verstanden werden.
Um zu illustrieren, was passiert, wenn dies nicht der Fall ist, führt Dr. Susanne Buchner-Sabathy ein paar Beispiele aus dem Alltag auf:
- Viele Webseiten können größtenteils nur mit der Maus, jedoch nur teilweise mit der Tastatur bedient werden. Wie sollen nicht-sehende Menschen diese navigieren? Für Gelächter im Publikum sorgte das Beispiel: „Wenn sie den Rabatt nutzen wollen, klicken sie hier“
- Grafische Schaltflächen, die Sehenden als Lupe angezeigt werden, werden für Screenreader-NutzerInnen als "lupe.gif" oder "1435998.jpg" angezeigt, oder vielleicht auch mit einem Begriff wie "search".
- Oft passiert es auch, dass man eine Webseite aufruft und gegen seinen Willen mit einer Musik beschallt wird, die man nicht mehr abschalten kann.
Und das sind nur einige Beispiele von den vielen Stolpersteinen, die den Zugang zu Angeboten und Dienstleistungen in der digitalen Welt für nicht sehende Menschen einschränken oder gar unmöglich machen. Doch welche Merkmale müssen erfüllt sein, damit eine sogenannte „Web Accessibility“ gewährleistet ist?
Die wichtigsten Merkmale für Web Accessibility
Dr. Susanne Buchner-Sabathy hob in ihrem Vortrag insbesondere vier Prinzipien hervor, die Dokumente und Webseiten haben müssen, um als barrierefrei zu gelten. Diese sind in der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 festgehalten und lauten wie folgt:
- Wahrnehmbarkeit
- Bedienbarkeit
- Verständlichkeit
- Robustheit
Diesen vier Prinzipien sind 12 Richtlinien untergeordnet. Jeder Richtlinie sind mehrere Erfolgskriterien zugeordnet, von denen es insgesamt 61 gibt. Erarbeitet wurden die Guidelines von der internationalen Vereinigung W3C (World Wide Web Consortium) als Hilfestellung für das Schaffen barrierefreier Webinhalte.
Weiterführende Informationen:
https://www.cedis.fu-berlin.de/services/systeme/cms/barrierefreiheit/wcag/index.html
https://www.zweiterblick.at/index.php?site=wcag21
Das Recht auf Barrierefreiheit
Ein wichtiger Meilenstein für eine barrierefreie Zukunft in Österreich ist das Web-Zugänglichkeits-Gesetz (WZG). Dieses verpflichtet den Bund dazu, behördliche Webseiten und mobile Anwendungen so zu gestalten, dass der Zugang für alle UserInnen ohne Einschränkung möglich ist.
Zugleich gilt auch das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) - und zwar nicht nur für den öffentlichen, sondern auch den privatwirtschaftlichen Bereich. Dieses soll Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Unverhältnismäßige Barrieren können laut BGStG eine Diskriminierung darstellen und sogar Schadenersatzforderungen zur Folge haben. Inkludiert sind hier auch "Systeme der Informationsverarbeitung", also z. B. Webseiten oder Apps.
Neu eingerichtet wurde auch ein elektronisches Beschwerdeformular der Überwachungs- und Beschwerdestelle der FFG. Dort können sich alle hinwenden, die bei Webseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen auf nicht-barrierefreie Inhalte stoßen.
Bei der anschließenden Diskussions- und Fragerunde ermutigte ein Teilnehmer InternetnutzerInnen in der Runde, den Fehler nicht immer bei sich selbst zu suchen, sondern aktiv zu werden und sich bei den BetreiberInnen von Webseiten zu melden. Dass der Mut zur Rückmeldung manchmal sogar mit Erfolg gekürt ist, zeigte er an einem persönlichen Beispiel auf. Im Urlaub habe er sich das Abo des Falters bestellt. Mehrere Stunden beschäftigte er sich mit den Dingen, die nicht barrierefrei funktionierten und meldete sie zurück. Dadurch verbesserte sich das Angebot. Auch wenn noch ein sehr langer Weg zu gehen ist, ist es ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Dr. Susanne Buchner-Sabathy pflichtete der Wortmeldung bei und betonte zum Schluss noch einmal, wie wichtig es sei zu handeln:
„Andere sehen oft die Steine nicht, über die wir stolpern. Also müssen wir unseren Mund aufmachen und es ihnen sagen.“
Dass sich das lohnt, sieht man auch am eingangs erwähnten Beispiel der Corona-Ampel: Sie ist jetzt barrierefrei.
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