Aktuelles

Wenn das Training in den eigenen vier Wänden stattfindet
Interview mit Melanie Prehsegger
Frau Prehsegger, Sie arbeiten, wie viele andere auch, seit dem 16. März im Homeoffice und Ihr Leben spielt sich vor allem zuhause ab. Wie gelingt es Ihnen, dennoch fit zu bleiben, wo doch die Sportstätten, die der ÖBSV nutzt, viele Wochen geschlossen waren?
Vor der Pandemie bin ich regelmäßig zwei Mal in der Woche zu einem Vereinstraining des ÖBSV gegangen, das speziell für Menschen angeboten wird, die blind oder sehbehindert sind. Bei mir ist es ja so, dass ich von Geburt an nur einen kleinen Sehrest auf einem Auge habe. Jetzt trainiere ich zuhause, und zwar über Online-Tools und den PC.
Der ÖBSV bietet für alle Mitglieder Live-Trainings an. Das ist ein ganz neues Angebot, das aufgrund der Corona-Krise geschaffen wurde.
Das ist wirklich eine tolle Sache. So kann ich trotz der Ausnahmesituation mein Krafttraining machen oder Stretching, also Dehneinheiten. Wobei die Übungen von der Trainerin angeleitet und kontrolliert werden.
Wie schaut ein Live-Training aus? Alle Interessierten „treffen“ sich zum Beispiel montags um 17:00 Uhr zum Krafttraining. Und jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer ist zuhause, aber über den PC und ein Online-Tool mit allen anderen verbunden?
Ja, genau. Über Video-Live-Chat zeigt uns unsere Trainerin die Übungen. Sie leitet uns an, sie schaut uns zu und kann uns auch korrigieren, wenn das nötig ist. Also sie sagt, ich soll mit der Hüfte weiter hinunter gehen, mit dem Fuß weiter hinauf oder mehr in die Knie. Angeboten wird das Training über das Online-Tool Zoom, wobei eine Premiumversion verwendet wird. Das bedeutet, dass es sich um ein sicheres Tool handelt, dass es quasi verschlüsselt ist.
Auf der Website des ÖBSV findet sich jede Woche das aktuelle Angebot der Live-Trainings und sportbegeisterte Personen können jederzeit einsteigen.
Man kann sich auf der Website anmelden. Ich bin bei den Kursen von Kati Nagyi.
Denn diese Trainerin wird von Leuten, die blind oder sehbehindert sind, sehr geschätzt, da sie ganz präzise anleitet. Und das ist natürlich wichtig, wenn man wenig oder gar nichts sieht.
Also ich habe mich per E-Mail bei der Trainerin angemeldet. Von ihr erhalte ich, wieder per E-Mail, einen Zugangslink. Kurz vor Trainingsbeginn klicke ich den Link an. So gelangt man auf die Seite von Zoom und muss nur noch sein Mikrofon und seine Kamera aktivieren. Und schon ist man in der Runde der Personen, die am Training teilnehmen.
Das bedeutet aber auch, dass ich allen anderen TeilnehmerInnen Einblick in meine eigenen vier Wände gewähre und sie in meine Privatsphäre lasse.
Man muss sich überlegen, was man von seinem privaten Bereich herzeigen möchte und was nicht. Natürlich kann ich auch sagen: Bei diesem Training möchte ich die Kamera nicht einschalten, weil’s bei mir heute so ausschaut oder weil ich so ausschau‘. Jede Person muss für sich entscheiden, ob sie die Kamera einschalten will oder nicht. Wenn man die Kamera ausschaltet, kann die Trainerin halt nicht korrigieren. Wenn man aber von der Trainerin gesehen werden will, unterstützt sie einen auch dabei, die Kamera entsprechend auszurichten. Denn Personen, die blind oder stark sehbehindert sind, wissen oft nicht, wie sie den PC mit der Kamera hinstellen sollen, um gut gesehen zu werden. Die Trainerin gibt dann einen kurzen Hinweis, sagt, ein bisschen weiter nach rechts, nach oben oder nach links, bis sie mich gut sehen kann.

Neben den Live-Trainings gibt es noch ein weiteres Fitnessangebot. Es heißt „Sporteln in Zeiten von Corona“ und bietet Videos mit unterschiedlichen Einheiten zum Mitmachen an. Diese angeleiteten Übungen kann man jederzeit zuhause machen. Es ist also für jeden etwas dabei.
Ich persönlich bevorzuge das Live-Training, da ich mich gerne austausche und es schätze, wenn die Trainerin mich anleitet und korrigiert. Außerdem sehe ich die anderen, die auch trainieren, man ist also nicht allein mit einem Video, das abgespielt wird.
Ich finde es lustiger und unterhaltsamer, wenn ich in der Gruppe übe. Man wird auch ein bisschen mehr gepusht.
Sport hat viel damit zu tun, dass ich an meine Grenzen gehe, dass ich mich überwinde. Und das klappt in der Runde mit einer Trainerin leichter, als wenn man es alleine macht. Denn wenn man eh schon so viel zuhause ist und seine Übungen auch noch alleine daheim macht, kann es schon passieren, dass man die Lust daran verliert. Aber es ist natürlich davon abhängig, welcher Typ man ist und es sollte ja für jeden etwas dabei sein.
Was meinen Sie genau, wenn Sie sagen, dass Menschen, die blind oder sehbehindert sind, bei den Übungen präzise angeleitet werden müssen?
Es genügt nicht, zu sagen, dass der Arm abgewinkelt werden muss. Es muss genau angegeben werden, in welchem Winkel der Arm abgeknickt werden soll. Oder bei einer Halteübung sagt mir die Trainerin vielleicht, dass ich mit der Hüfte etwas weiter hinauf oder hinunter gehen soll. Wenn wir ein Zirkeltraining machen, sollten die Übungen in einer bestimmten Zeit absolviert werden. Da ist es wichtig, dass klar gesagt wird, wann die Übung beginnt, wann sie endet, wann es eine kurze Pause gibt, um sich zu regenerieren. Also präzise Angaben, ein klar strukturierter Ablauf und eine ruhige Stimme finde ich wichtig. Natürlich muss die Trainerin auch wissen, wie man mit blinden und sehbehinderten Personen umgeht. All das bringt Kati Nagyi, unsere Trainerin mit.

Der ÖBSV plant, die Live-Trainings über die Zeit der Corona Pandemie hinaus anzubieten. Das bedeutet, dass Menschen, die blind oder sehbehindert sind, auch in Zukunft online trainieren können.
Das bringt viele Vorteile mit sich. Denn bei einem Live-Training können Leute aus ganz Österreich teilnehmen. Schließlich ist das Sportangebot für blinde und sehbehinderte Menschen regional ganz unterschiedlich. In Wien gibt es ein großes Angebot, aber nicht jeder hat in seiner Nähe die Möglichkeit, adäquat und leistungsstark zu trainieren.
Dazu kommt, dass es ja für Menschen, die sehbehindert sind, oft sehr anstrengend ist, von A nach B zu kommen. Diese Wege erspart man sich.
Außerdem kann ich mich bei diesen Live-Trainings mit anderen bekannt machen, vernetzen und austauschen. Oder mit Leuten in Kontakt bleiben, die ich von Wettkämpfen oder der Multisportwoche in Obertraun kenne, aber sonst das ganze Jahr nie sehe. Einige von ihnen habe ich in den letzten Wochen über diese Plattform regelmäßig „getroffen“. Das hat die Zeit der Ausgangsbeschränkungen echt bereichert und verschönert.

Sie sind schon im Alter von drei Jahren auf Skiern gestanden, fahren im Winter Skirennen, nehmen im Sommer an Leichtathletik-Wettkämpfen teil und trainieren das ganze Jahr hindurch. Was bedeutet es Ihnen, Sport zu betreiben?
Ich bin keine Spitzensportlerin, dennoch reizt es mich, an den österreichweiten Wettkämpfen des ÖBSV teilzunehmen. Denn wenn man sich schon das ganze Jahr hindurch am Platz oder in der Halle abrackert, dann will man sich auch messen, dann will man wissen, wo man steht. Sport ist für mich ein wunderbarer Ausgleich zu meinem Büroalltag. Bewegung ermöglicht es mir, meinen Körper wirklich gut kennenzulernen. Denn es geht darum, meinen Körper wahrzunehmen, immer wieder über meine Grenzen zu gehen. Wenn man trainiert, merkt man, welche Muskeln man hat, welche Gelenke man beansprucht. Wenn ein Muskelkater auftritt, weiß man, dass man was getan hat. Natürlich ist es mir auch wichtig, gesund zu bleiben, mit Sport kann man viel dazu beitragen.
Dazu kommt, dass das Vereinsleben eine Art Familie für mich ist. Ich bin schon lange dabei, hier sind viele Freundschaften entstanden, dafür bin ich dem Sport und dem Verein sehr dankbar.
Ich bin erst vor gut einem Jahr von Klagenfurt nach Wien gezogen, durch den Verein habe ich einen guten Background und ein Gefühl der Sicherheit. Ich weiß, dass ich mich auf die Leute vom Verein immer verlassen kann.
Welche Vorteile bieten Ihnen die Angebote des ÖBSV, abgesehen davon, dass einem als Mitglied das Kursangebot kostenlos zur Verfügung steht, wobei der jährliche Mitgliedsbeitrag 60 € ausmacht?
Ganz einfach gesagt, ich bin unter meinesgleichen, ich brauche nichts erklären und ich finde Bedingungen vor, die für mich als Person, die stark sehbehindert ist, passen. Ich brauche vielleicht jemanden, der neben mir steht, mich anleitet oder mir als BegleitsportlerIn zur Verfügung steht. Die TrainerInnen wissen, was wir brauchen und worauf es ankommt. Ich kann einfach hingehen, teilnehmen, dabei sein und die Dinge offen besprechen, weil alle eine Sehbehinderung haben. Nicht nur ich allein.
Vielen Dank für diese Einblicke in Ihren sportlichen Alltag und das Vereinsleben.
Mit Anfang Juni gibt es für Personen, die blind oder sehbehindert sind, wieder erste Kursangebote. Doch immer nur unter Einhaltung der geltenden Regeln, die den Abstand und die Hygienemaßnahmen betreffen. Detaillierte Informationen zu den Kursen sowie die Mitmach-Videos bietet die Website blindensport.at.
Informationen zu den Live-Trainings finden sich auf der Website des ÖBSV.
Das Interview führte Mag. Ursula Müller
Das könnte Sie auch interessieren
Eine Barbie, die nicht sieht

Ein paar persönliche Gedanken über die neue Barbie-Puppe.
„Ich habe einen starken inneren Willen entwickelt.“

Energie und Stärke strahlt Rebekka Gottwald aus, wenn sie von ihrer Arbeit, von ihren Erfolgen bei sportlichen Wettkämpfen, von ihren Studienplänen,…