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Wenn man eine Corona Beziehung eingeht
Interview mit Marion Grünwald
Die „neue Zeitrechnung“ beginnt mit dem 16. März, wo zahlreiche Verordnungen der Regierung in Kraft getreten sind, die dazu beitragen sollen, die Infektionen mit dem Coronavirus so gering wie möglich zu halten. Wie, Frau Grünwald, hat sich ihr Leben seitdem verändert?
Unser Betrieb ist seit dem 16. März geschlossen. Ich wurde sofort vom Dienst freigestellt. Aber einige Tage später haben wir von der Möglichkeit erfahren, Kurzarbeit zu machen. Jetzt bin ich auf Kurzarbeit umgestellt und kümmere mich von zuhause aus um die Website und das ganze Marketing. Ich bin also seit dem 16. März zuhause und mir fällt die Decke auf den Kopf.
Ich bin ein Mensch, der die Abwechslung liebt. In der Freizeit und bei der Arbeit. Ich habe fast zehn Jahre im Massage-Fachinstitut des Blinden- und Sehbehindertenverbands gearbeitet. Ich war sehr gerne dort und es ist mir schwergefallen, wegzugehen. Aber hier bei Body & Nature Well habe ich ein breitgefächertes Aufgabengebiet. Ich bin hier nicht nur als Masseurin tätig. Ich habe unseren kleinen Betrieb umgemodelt, unser Therapieangebot erweitert und auf naturreine Öle und Fair-Trade-Produkte umgestellt. Also, ich brauch‘ einfach ein bissl Abwechslung in meinem Leben.
Wie gelingt es Ihnen jetzt, eine gewisse Abwechslung in den Alltag zu bringen, wo wir möglichst viel daheim sein und niemanden treffen sollten?
Ich habe einiges erledigt, mein Schlafzimmer ausgemalt und den Frühlingsputz gemacht. Dann Bastelprojekte umgesetzt, die immer liegen geblieben sind, aber jetzt geht mir leider schon das Material aus. Schließlich habe ich ein Bild gemalt, ein Porträt von Falco. Ich habe mich vom Cover des Albums Wiener Blut inspirieren lassen, Falco habe ich ausgewählt, weil mir dieser Bezug zu Wien und Österreich wichtig war. Außerdem habe ich beim Malen oft an diese 18 Uhr Konzerte gedacht, wo immer wieder I am from Austria gespielt wird. Ich finde, man spürt so einen Zusammenhalt. Die Leute nehmen einander wieder stärker wahr. All das hat mich dazu motiviert, das Porträt von Falco in drei Tagen zu malen.
Sie nützen diese verordnete Zeit daheim auch dafür, künstlerisch tätig zu sein. Malen Sie regelmäßig oder nur in Krisenzeiten?
Ich habe es schon sehr lange nicht mehr getan, fast 15 Jahre nicht mehr. Ich war vor meiner Augenerkrankung in der Herbststraße, wo ich den Kunstzweig besucht habe. Und ich war schon als Kind sehr kreativ. Mein Sehvermögen ist zwar schon mit 13 oder 14 Jahren schlechter geworden, aber erst mit 17 wurde bei mir eine erblich bedingte Netzhauterkrankung diagnostiziert, und zwar eine jugendliche Form der altersbedingten Makuladegeneration. Ich habe sozusagen einen blinden Fleck im Zentrum meines Sehens. Ich kann mich zwar im Raum bewegen, weil ich seitlich noch wahrnehmen kann, aber ich sehe keine Details mehr. Beim Zeichnen ist das detaillierte Sehen jedoch sehr wichtig. Deshalb habe ich das Zeichnen dann schnell aufgegeben. Es ist mir jetzt auch sehr schwergefallen, wieder damit zu beginnen.
Was hat Sie ermutigt, nach so langer Zeit, wieder zu Stift, Pinsel und Farben zu greifen und das Bild von Falco zu malen?
Ich habe mein Kunstwerk während der Entstehungszeit in den verschiedenen Stadien immer wieder fotografiert und die Bilder meinen Freunden geschickt und dazu geschrieben: Schaut’s einmal, was ich da mach! Und ich habe sehr schöne Rückmeldungen bekommen, dass ich viel Talent habe und mehr draus machen müsste. Ich glaube, ich habe das unbewusst schon deshalb getan, weil ich ein bisschen Bestätigung gebraucht habe. So in dem Sinn, auch wenn du nicht gut siehst, ist es trotzdem toll, dass du es machst. Auch wenn es nicht perfekt ist, schaut das Ergebnis trotzdem super aus.
Als Masseurin bin ich es gewohnt, körperlich zu arbeiten und etwas zu schaffen, das den Leuten guttut, das sie zufrieden macht. Ich bin ein Mensch, der etwas „erschafft“, auch wenn es nur ein Gefühl ist.
Und jetzt sitzt man zuhause und fühlt sich nutzlos. Man hat keine sinnvolle Aufgabe mehr, man erschafft nichts. Es war also sehr angenehm, dieses Projekt zu haben, dieses Bild zu gestalten und wieder etwas zu erschaffen.
Wie kommen Sie im Alltag zurecht, wie organisieren Sie sich die Dinge, die Sie für das tägliche Leben benötigen?
Eigentlich lebe ich allein, denn ich habe mich vor kurzem von meinem Lebenspartner getrennt. Aber wir wohnen jetzt trotzdem zusammen. Wir leben jetzt in einer Corona Beziehung, so sagen wir scherzhaft dazu. Uns verbindet eine tiefe Freundschaft, wir verstehen uns sehr gut und möchten füreinander da sein. Da wir beide nicht gern allein sind, haben wir knapp vor Beginn der Ausgangsbeschränkungen beschlossen, dass wir diese Zeit gemeinsam verbringen werden. Wir haben beide einen Hund und gehen gerne spazieren. Ich habe einen Blindenführhund, Sunny.
Wenn ich allein unterwegs bin, ist der Sunny eine große Unterstützung für mich. Er nimmt mir sehr viel Angst und Unsicherheit.
Er verschafft mir Selbstsicherheit, er gibt mir das Gefühl, dass mir nichts passieren kann, denn er warnt mich vor Gefahren. Das bedeutet für mich eine große Lebensqualität, das kann ich kaum beschreiben.
Im Supermarkt kaufe ich für gewöhnlich immer dieselben Produkte, weil ich keine Details erkennen und keine Aufschriften lesen kann. Ich erkenne sie von der Farbe her, ich weiß, wo sie stehen. Aber in den letzten Wochen waren viele Dinge in den Lebensmittelgeschäften ausverkauft. Es war für mich enorm schwierig herauszufinden, welche Produkte es überhaupt noch gibt und was ich nehmen könnte. Denn es ist auch schwer jemanden zu fragen, das Personal ist eh schon überlastet und die Kunden schauen, dass sie möglichst viel Abstand halten zu den anderen. Es ist für mich also eine große Hilfe, wenn mein Expartner mit mir einkaufen geht. Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, wie es ohne ihn wäre, wie es ohne ihn gehen könnte. Es ist ein großes Glück für mich, dass das mit meinem Expartner so gut funktioniert.
Wie hat sich das Leben durch die Coronakrise verändert?
Ich finde, dass das Leben seither viel melancholischer geworden ist. Man denkt jetzt viel mehr über sein eigenes Leben nach. Über die Menschen, die einem nahe stehen, wie wichtig sie einem sind, wie viel es einem bedeutet, Kontakt zu ihnen zu haben. Und vor allem, wie wichtig es ist, dass Menschen mit Behinderungen ins Arbeitsleben integriert sind, dass sie eine sinnvolle Aufgabe in der Gesellschaft erfüllen können und dass sie sich gebraucht fühlen.
Denn mit einer Behinderung – ich will nicht sagen, dass man sich wie ein Aussätziger fühlt – aber man nimmt sich doch als anders wahr. Man ist einfach anders, so sehr man sich auch bemüht, die Behinderung zu kompensieren. Und es ist überhaupt nicht selbstverständlich, einen Arbeitsplatz zu haben, wo man sich wohlfühlt und gebraucht wird. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich im Urlaub oder Krankenstand bin, oder ob man so wie jetzt, zwangsverpflichtet zuhause sitzt und sich unnütz fühlt.
Wenn es mir immer so gehen würde, wenn ich aufgrund meiner Behinderung keinen Arbeitsplatz finden würde, ich glaube schon, dass man da sehr leicht in eine Depression fallen kann. Man braucht einfach das Gefühl, eine sinnvolle Aufgabe für die Gesellschaft zu erfüllen.
Zurzeit ist es ja so, wir vermissen uns, aber wir dürfen uns nicht nahekommen. Ich finde es faszinierend, obwohl wir uns jetzt körperlich aus dem Weg gehen, ist spürbar, dass die Menschen sehr stark zusammenhalten. Es ist eine Art positive Energie im Raum spürbar. Ich erlebe auch, dass ich jetzt mit Leuten telefoniere, mit denen ich sonst nur sporadischen Kontakt habe. Wie zum Beispiel mit meinen Tanten, wir melden uns nur zu den Geburtstagen. Ich habe mich aber wahnsinnig gefreut, wie sie angerufen haben und gefragt haben: „Mauserl, wie geht es dir denn? Ist alles in Ordnung, wie ist denn die Situation jetzt für dich?“ Das war einfach schön, diesen Zusammenhalt zu erleben.
Vielen Dank für diese Einblicke in Ihre momentane Lebenssituation.
Das Interview führte Mag. Ursula Müller
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