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Wie werde ich Fachkraft für Sehbeeinträchtigung oder Blindheit?
Nächster Lehrgangsbeginn: September 2022
Menschen in Pflegeberufen, in Ausbildungsstätten, aber auch im Rahmen institutioneller oder assistierender Begleitung und Betreuung treten mitunter in engen Kontakt mit sehbeeinträchtigten Menschen. Dabei ist es sehr hilfreich, die grundlegenden Bedürfnisse von sehbehinderten oder blinden Menschen zu kennen und zumindest über Basiskenntnisse in Bereichen wie Low Vision oder Orientierung & Mobilität zu verfügen.
Aus diesem Grund bietet Diplompädagogin Gerti Jaritz Ausbildungskurse zur Fachkraft für Sehbeeinträchtigung oder Blindheit und/oder weiteren Beeinträchtigungen für Kinder, Erwachsene und Senior:innen an, in denen die notwendigen Kompetenzen für den Betreuungsalltag erworben werden können. Von Mai 2021 bis Februar 2022 fand die erste Weiterbildung unter dem Dach der Beruflichen Assistenz und Akademie BSV GmbH statt, der nächste Lehrgangsbeginn ist für September 2022 geplant.
Unterstützung erhielt Gerti Jaritz in den einzelnen Lehrgangsmodulen durch unterschiedliche Referent:innen, die allesamt ihre Expertise in den jeweiligen Teilbereichen einbrachten, wobei mehr als ein Drittel der Vortragenden eigene Erfahrungen mit Sehbeeinträchtigung oder Blindheit hatten. Für die wechselnde Gruppe der Absolvent:innen kam es dadurch nicht nur zu einer spannenden Wissensvermittlung, sondern auch zu regem Austausch und zu weiterführenden Diskussionen über die Modulinhalte.
Eine wechselnde Gruppe deswegen, weil es mit drei Teilnehmer:innen des parallel laufenden Akademielehrgangs Orientierung & Mobilität für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen sozusagen einen harten Kern gab, der sich im Lauf der Module mit unterschiedlichen weiteren Teilnehmenden mischte. So waren Sozialberater:innen des BSV WNB, Kolleg:innen aus der Beruflichen Assistenz oder dem Jugendcoaching ebenfalls bei Kursteilen mit dabei. Und Gerti Jaritz hat zudem sehr gefreut, „dass drei führende Personen vom Sozialministeriumservice SMS dabei waren und so viel von den Grundlagen erfuhren, und sich alle weiter vernetzen konnten.“
Erwachsenenbildung in der besten Form
Für die Kursleiterin war der absolvierte erste Kursdurchgang im Louis Braille Haus sehr lebendig und sehr spannend: „Es waren jedes Mal unterschiedliche Leute, die sich aber gut eingebracht haben; immer gab es zwischendurch Verständnisfragen ohne Scheu, und regen Dialog.“ Pro Modul waren maximal zwölf Personen anwesend, die zwischendurch auch aktiv an Rollenspielen teilnahmen. Mag. Aaron Banovic von der Behindertenanwaltschaft stellte beispielsweise die Mechanismen eines Schlichtungsverfahrens vor – und als die Rollen verteilt waren, begann schon bald eine heiße Diskussion zwischen den Parteien.
Ganz wesentliche Elemente der Kursmodule betrafen die Sensibilisierung für die Lebensrealität blinder und sehbehinderter Menschen. Streng mathematisch ging es im Low Vision-Modul zu, wo am Anfang vor allem jene sich aktiv an die Refraktionsumrechnung, also die Berechnung von Brillenwerten machten, die von Haus aus eher gerne rechnen, lächelt Gerti Jaritz.
Vieles in der Sensibilisierung fand aber auch spielerisch statt, etwa als die Teilnehmer:innen mit verbundenen Augen Sudoku für blinde Menschen spielten, auf einem Holzbrett mit Metallstiften mit zehn unterschiedlichen tastbaren Köpfchen. Es ging zudem gelegentlich überaus sportlich zu, denn Teilnehmerin Linda besitzt nicht nur ein Tandem, das gleich ausprobiert wurde, sondern hat allen Teilnehmenden auch Ballspiele wie Blindentennis vorgestellt, für das der große Louis Braille Saal einen Nachmittag lang eigens in einen Tenniscourt verwandelt wurde.
Schweißtreibend war der Kurs für manche aber auch im augenkundlichen Teil, bei dem Ochsenaugen zu sezieren waren. Gerti Jaritz berichtet sehr anschaulich: „Man sieht die Hornhaut, die Teile des Auges, zum Beispiel die Netzhaut, ein ganz winziges Häutchen. Und die Linse, die lässt sich mit einem kleinen Plopp leicht herausziehen.“
Mitunter zog die Kursleiterin mit der Gruppe auch heraus aus dem Louis Braille Haus, indem sie Exkursionen zu Dialog im Dunkeln oder zu VIDEBIS, einer Hilfsmittelfirma, unternahm. Bei der Firma Asprion konnte man sehen, wie ein Glasauge gemacht wird, während das Unternehmen LIFEtool computerunterstützte Kommunikationswerkzeuge präsentierte. Trotz Corona-Einschränkungen hatte der gesamte Kurs-Durchgang das Glück der Tüchtigen auf seiner Seite, denn es konnten alle Module in persönlicher Anwesenheit sowie bei den geplanten externen Stellen durchgeführt werden. Lediglich das letzte Modul musste auf Online-Präsenz umgestellt werden.
Mit allen Sinnen
Rehabilitationstrainer Richard Jäkel war damit betraut, in den Bereichen „Blindheit“ und „Seheinschränkung“ den Umgang mit den anderen Sinnen in den Vordergrund zu rücken. Neben den klassischen Übungen für die Sinne Riechen oder Schmecken, beispielsweise mittels eines Tellers, auf dem zwölf ganz unterschiedliche Kostproben gereicht wurden, gab es auch praktische Anregungen zum Thema Orientierung. Auf einem taktilen Plan galt es zuerst, eine Basis für Gebäude anzufertigen, woraufhin die Häuschen gebaut und miteinander verbunden werden mussten – das alles natürlich mit verbundenen Augen.
Zur Simulation der Seheinschränkung griffen die Teilnehmenden zu speziellen Brillen, die beispielsweise einen zentralen Gesichtsfeldausfall oder auch, sozusagen das genaue Gegenteil davon, einen Tunnelblick simulierten. Diese Brillen wurden immer wieder gewechselt, bevor weitere Aufgaben aus anderen Bereichen zu bewältigen waren: Socken ordnen, mit Lampenschein und Lupen lesen, verschieden große Texte vorlesen, selbst Formulare ausfüllen, Geld sortieren oder eine Jause anrichten.
Im Prinzip geht es bei all diesen Maßnahmen darum, auf lang vorhandene Grundfähigkeiten zurückzugreifen; eben wie bei Menschen, die spät erblinden und dadurch verstärkt wieder auf ihre anderen, verbliebenen Sinne angewiesen sind. Für all jene, die sich für die Ausbildung zur Fachkraft für Sehbeeinträchtigung oder Blindheit interessieren, aber nicht ausreichend Ressourcen für die gesamte Kursdauer haben, sind zumindest die Sensibilisierungsmodule sehr zu empfehlen. Gerti Jaritz dazu: „In den meisten Berufsgruppen, die sehr viel mit blinden Menschen zu tun haben, kriegen neue Mitarbeiter:innen nach der Anstellung meistens eine kurze Einschulung, vielleicht ein halber Tag, und schon sollen sie Fachleute sein. Wir wollen hier eine zusätzliche, breite Wissensbasis anbieten.“
Neuer Kurs ab September
In 22 Präsenztagen besteht ab Herbst 2022 wieder die Möglichkeit, den kompletten Kurs mit 11 Modulen bei jeweils 16 Einheiten zu absolvieren. Das bewährte bisherige Programm mit Inhalten zu spezifischen Bereichen wird dafür noch ergänzt und erweitert, etwa um das Thema Diabetes und Blindheit, weiters rechtliche Grundlagen, fachbezogenes Computerwissen sowie Krisenbewältigung.
Eine spezifische Fachausbildung hinsichtlich vieler dieser Bereiche gibt es derzeit nur für Lehrer:innen und Expert:innen, die in der Frühförderung arbeiten. Generell jedoch ist das Wissen, welche – mitunter kleinen – Dinge und Maßnahmen es gibt, die Menschen mit Seheinschränkungen unglaublich helfen würden, für alle wichtig, die im Umfeld blinder und sehbehinderter Menschen tätig sind. Zur Zielgruppe des Kurses zählen daher auch Angestellte in Behinderteneinrichtungen, Tagesschulen, Internaten sowie Menschen, die in Seniorenheimen arbeiten. Ebenso wird die Gruppe der persönlichen Assistent:innen oder auch der Erzieher:innen damit angesprochen.
Gerti Jaritz dazu: „In Deutschland ist es Usus, dass sich pro Einrichtungsträger eine Person qualifiziert, die gut mit sehbehinderten und blinden Menschen umgehen kann, und dann selbst weitere Leute in den Einrichtungen sensibilisiert. Das wäre auch für die großen Trägerorganisationen in Österreich wichtig.“ Sie schließt mit einer herzlichen Einladung an alle interessierten Beschäftigten im Bereich Sehbeeinträchtigung und Blindheit: „Auch bei den nächsten geplanten Kursen wird es weiterhin möglich sein, einzelne Module zu besuchen, um das Zertifikat auf längere Sicht in mehreren Einzelschritten zu erwerben, oder sich durch die Teilnahme an allen Modulen und das Ablegen einer fachlichen Arbeit innerhalb eines Jahres für diesen Spezialbereich zu qualifizieren.“
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