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Jemand ertastet mit dem weißen Stock einen Weg durch hohen Schnee.
Bildinfo: Ein Spaziergang im Schnee © Archiv/Feucht

Winterstimmung

Winterliche Landschaften, zwischen romantischer Erinnerung und beschwerlicher Realität.

Es ist klirrend kalt, ein eisiger, sonniger Tag im Jänner.

In eine warme Jacke gehüllt, ausgerüstet mit Haube, Schal und Handschuhen marschiere ich durch die verschneite Landschaft. Die Schneeflächen sind noch unberührt, ich bin die erste, die heute hier geht. Am liebsten würde ich schweben, denn durch meine Moonboots-bewehrten Schritte zerstöre ich diese weiße, unschuldige Fläche.
Das Licht ist so unglaublich hell, der Himmel tiefblau und der Schnee glitzert an manchen Stellen in der Sonne.

Von Hausdächern hängen lange, glitzernde Eiszapfen, wunderschöne durchsichtige Gebilde. Zäune haben feine weiße Hauben, und die Bäume schauen aus wie große Zuckerwatte-Gebilde.
Einige Kinder in buntem Schigewand rodeln einen Berghang hinunter, ein paar Spatzen streiten sich bei einem Vogelhäuschen und aus den Kaminen steigen Rauchwolken auf.

Schöne Erinnerungen an winterliche Landschaften...

Natürlich kann ich viele von den Dingen heute, da sich mein Sehvermögen verschlechtert hat, nicht mehr sehen. Ich sehe weder glitzernde Eiszapfen noch Zuckerwatte-Bäume.

Diese Bilder erschaffen einzig und allein meine Erinnerung und Phantasie.

Zugegeben, ein bisschen traurig macht mich das schon. Phantasiebilder sind gut und wichtig, sie gehen aber nicht mit der Zeit; sie bleiben so, wie sie gespeichert wurden.
Manchmal möchte ich zu gerne wissen, ob meine Bilder mit den wirklichen, äußeren Bildern übereinstimmen und ob die Wirklichkeit an meine bunte Phantasie überhaupt heranreicht.

Was zur Aktualisierung/Modernisierung meiner inneren Bilder beiträgt, sind Erzählungen und Beschreibungen von sehenden Mitmenschen. So erfahre ich, dass hier jetzt ein großes Haus steht oder der alte Baum dort auf der Wiese gar nicht mehr existiert.

Ab und zu, das ist eine persönliche Entscheidung, will die Phantasie lieber unmodern bleiben. Der alte Baum bleibt und basta!

Zurück zur winterlichen Landschaft.

Ein Wintertag, wie oben beschrieben, bietet viele Eindrücke, wofür es visuelle Wahrnehmung nicht unbedingt braucht. Je weniger ich sehe, desto wichtiger wird es mir, meine sämtlichen anderen Sinne zu nutzen, um die Welt mit ihren vielen Facetten wahrnehmen und erleben zu können.

Da wäre zum Beispiel das Kindergelächter drüben auf dem Rodelhang. Quietschen und Kreischen, und das schleifende Geräusch der Schlitten auf der harten Schneedecke lässt mich erahnen, wie schnell es abwärts geht oder wann ein Pilot über eine Sprungschanze fliegt.

Die Luft ist so kalt und klar und riecht nach Schnee.

Ich kann gar nicht beschreiben, wie Schnee riecht. Frisch, sauber, nach Schnee eben.

Bei jedem Schritt knirscht es unter meinen Füßen, unter der Schneedecke gurgelt ein Bächlein, auf einem Baum hämmert ein Specht, und irgendwo höre ich Krähen, für mich auch ein typisches Wintergeräusch. Ein zarter Geruch nach Holzfeuer mischt sich in die klare Winterluft. In vielen Öfen knistern wahrscheinlich warme Feuer vor sich hin. Weiter geht es, hinein in den Wald.

Mittlerweile sind die Geräusche der zivilisierten Welt verstummt, vom Schnee geschluckt. Die Kälte brennt ein wenig auf der Haut, und wenn ich Äste berühre, fällt ganz feiner Schnee herab und fühlt sich an wie eine Dusche mit eisigem Staub.

Ich stecke mir eine Handvoll Schnee in den Mund. Schnee schmeckt... Ja wie eigentlich? Frisch, ein wenig herb, ganz anders wie Wasser. Als Kinder wurde uns immer verboten, Schnee zu essen. Der wäre schmutzig und ungesund; man bekäme Halsschmerzen.

Hier beende ich meine Winter-Wunderland-Phantasien und kehre zurück in die wirkliche Welt.

Denn in der Realität hat der Winter auch noch eine andere, eine weniger romantische Seite, die ich keinesfalls unter den Tisch kehren möchte.

Gerade in der Stadt kann die kalte Jahreszeit für mich als blinde Person mühsam und beschwerlich sein:

Das Licht ist unglaublich grell und blendet, überall versperren Schneehaufen mir den Weg, ich kann mich mit dem Langstock nicht gut orientieren, weil der Matsch und Schnee die Rollspitze immer wieder bremst.

Oder weil ich dicht gestreuten Rollsplitt nicht von taktilen Bodeninformationen (Leitsystem) unterscheiden kann.

Übereifrige HausmeisterInnen lehnen Lawinenstangen gegen Hauswände, über die ich stolpere, an manchen Stellen gibt es gefährliche Eisflächen, die ich nicht oder erst zu spät wahrnehme.
Dicke Hauben erschweren mir das Hören und warme Handschuhe das Tasten. Aber ohne geht es auch nicht, denn dann sind die Finger bald komplett taub. Und dann ist es mit dem Wischen auf dem Smartphone überhaupt vorbei.

Der Aufbruch aus meiner wunderbaren Winterlandschaft in die graue schmutzige Stadt war jetzt doch ein wenig überstürzt und schnell.

Manchmal holt einen die Realität ein, schneller als man will.

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