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Portraits

Ein Mann mit weißem Bart, warmer Jacke und Mütze, er steht mit dem weißen Stock vor der Donau, im Hintergrund das andere Ufer.
Bildinfo: Klaus Pinkas ist immer wieder zu neuen Ufern aufgebrochen. Reisen nach Indien, Griechenland und Australien sowie in die USA eröffneten ihm neue Perspektiven. © BSVWNB/Ursula Müller

„Yoga ist für mich ganz wesentlich.“

Seit fünfzig Jahren praktiziert Dr. Klaus Pinkas Yoga.

Er hat Yoga unterrichtet und einige Bücher darüber geschrieben. Sein jüngstes erscheint dieser Tage und heißt: glauben macht blind. Yoga gegen die geistige Blindheit.

Dr. Klaus Pinkas im Portrait

Gemeinsam mit seiner Frau besucht Klaus Pinkas im Herbst 1974 einen Yogakurs am Universitätssportinstitut (USI). Jahrelang waren die Tage mit Arbeiten und Studieren ausgefüllt, aber jetzt hat der frisch promovierte Jurist abends Zeit für andere Dinge, Zeit für Yoga. Er und seine Frau sind begeistert von dieser aus Indien stammenden philosophischen Lehre, die unterschiedliche körperliche wie geistige Übungen und Praktiken beinhaltet. Das Paar beschließt, nach Indien zu reisen und organisiert alles selbst für dieses große Abenteuer. Ihre Wiener Yogalehrerin nennt eine Schule und einen Meister in Rishikesch. Die Stadt ist ein alter Pilgerort und liegt in Nordindien, am Rande des Himalayas. Die beiden reisen mit der Eisenbahn von Wien nach Indien. Als das sportlich gekleidete Paar ganz zu Beginn dieses großen Abenteuers in der Straßenbahn gefragt wird, ob es auf den Semmering fahre, antwortet Klaus Pinkas nur: „Weiter, weiter als bis zum Semmering. In diesem Moment habe ich plötzlich Knieschlottern gekriegt, da habe ich auf einmal über den eigenen Mut den Mut verloren. (Lacht) Aber wir sind trotzdem nicht umgekehrt, sondern weitergefahren. Wir waren viele Tage unterwegs und mussten oft umsteigen, bis wir schließlich dort angekommen sind.“

Eine Indienreise sei sehr herausfordernd, das Essen, das Klima und die Kultur seien ungewohnt und die Eindrücke überwältigend. In der Yogaschule werden sie vom Meister, der damals bereits über 80 Jahre alt ist, als Schüler:innen angenommen. Das Paar kehrt noch etliche Male zum Yogameister zurück, um zu üben und um eine Ausbildung als Yogalehrer:in zu absolvieren. Sein Wissen gibt das Paar jahrelang weiter und unterrichtet Yoga in einer Wiener Volkshochschule.

„Ich habe die Übungen angesagt und meine Frau hat geschaut, dass die Leute die Übungen richtig machen. Das hat einmal in der Woche stattgefunden, das war immer der schönste Tag der Woche. Das habe ich sehr gerne gemacht.“


Klaus Pinkas kommt 1940 in Graz zur Welt, er ist der jüngste von drei Brüdern. Der Vater ist Lehrer, ein sehr autoritärer Lehrer, der nicht davor zurückschreckt, den Kindern eine „Watschn“ zu geben. Als der Vater einrücken muss, kehrt die Mutter mit den drei Söhnen in ihren Heimatort im Ennstal zurück, jetzt lebt die Familie bei Stainach Irdning. Die Großeltern mütterlicherseits besitzen ein Kaufhaus und Leistung wird ganz großgeschrieben. Auch in Stainach Irdning ist der Krieg auf die eine oder andere Weise stets präsent. Klaus Pinkas erinnert sich noch daran, wie viel Angst und Schrecken geherrscht haben, als Bomben niedergefallen sind und sich die Russen dem Ort genähert haben.

Klaus lernt seinen Vater, der 1946 aus dem Krieg zurückkehrt, erst als Volksschulkind kennen. „Er war für mich ein Fremder.“ Der sechsjährige Bub ist mit einem Mann konfrontiert, der vom Krieg traumatisiert und dem Kind völlig fremd ist. Und das Familienleben mit Mutter und Brüdern hat ihn bereits geprägt. Das führt zu großen Spannungen und Problemen. Hinzu kommt, dass der Bub schon damals schlecht sieht, aber dass darüber nicht gesprochen wird und nicht gesprochen werden darf. Das hat vor allem mit der Ideologie der Nazizeit zu tun. Menschen mit Behinderung gelten als wertlos, als unwertes Leben, und werden getötet. Eltern schämen sich für ihr behindertes Kind. In dieser Atmosphäre wird über Behinderung nicht gesprochen, das Kind bleibt damit allein. Als Volks- und Hauptschüler kann Klaus seine Sehbehinderung damit kompensieren, dass er in der Schule sehr aufmerksam ist, Talent hat und fleißig lernt. Als er dann in die Handelsakademie nach Graz kommt und sich sein Sehvermögen weiter verschlechtert, funktioniert diese Strategie nicht mehr. Er fliegt, wie er sagt, „mit Bomben und Granaten durch“. Jetzt kommen die Eltern nicht mehr umhin, darüber zu reden, doch sie tun sich Zeit ihres Lebens mit der Sehbehinderung ihres Sohnes sehr schwer. Der Halbwüchsige wechselt in die Handelsschule. Nach seinem Schulabschluss geht er ans Bundesblindeninstitut (BBI) in Wien, dort erlernt er blindenspezifische Techniken und macht eine Ausbildung zum Stenotypisten.

Klaus Pinkas hat eine erblich bedingte Netzhauterkrankung. Auch einer seiner Brüder ist davon betroffen und erblindet später. Dieser Bruder wandert nach Schweden aus, der andere nach Australien. „Ja, beide sind weit weggegangen, aus Fernweh, aber es kann auch mit einem strengen Vater zu tun haben, der einfach lästig war.“ Klaus Pinkas ist fünfundzwanzig Jahre alt, als er erblindet. Zu der Zeit ist er bereits seit einigen Jahren berufstätig. Er arbeitet als Schreibkraft beim Österreichischen Bundesheer. Doch der Job ist äußerst unbefriedigend, der junge Steirer ist unterfordert. Er holt neben der Arbeit die Matura nach und beginnt anschließend mit dem Studium der Rechtswissenschaften. Viel lieber hätte er Psychologie studiert, damals arbeitet er bereits beim Heerespsychologischen Dienst, aber der Vorstand des Instituts für Psychologie an der Uni Wien lehnt den blinden Studenten ab. So entscheidet er sich für das Jusstudium. 


In dieser Zeit macht Klaus Pinkas eine überraschende Erfahrung. „Ich habe entdeckt, dass ich mit den Ohren „sehen“ kann. Ich erinnere mich genau, wie mir dies das erste Mal passiert ist. Ich war auf der Straße unterwegs und habe plötzlich einen Laternenmasten vor mir „gesehen“. Ich habe einen Moment lang geglaubt, dass ich wieder sehen kann.“ Viele, vor allem geburtsblinde Menschen haben diese Fähigkeit oder besser gesagt, können diese entwickeln. Dieses Sehen mit den Ohren habe er altersbedingt wieder verloren. Jetzt müsse er einen anderen Weg finden, sich gut zu orientieren. „Jetzt muss ich die Stocktechnik, die ich ja erlernt habe, sehr exakt einsetzen, sehr genau ausführen. Das war früher nicht so wichtig.“

Eine andere wichtige Entdeckung macht der promovierte Jurist, als er zum ersten Mal mit Yoga in Berührung kommt. Er spürt, dass sich die Übungen sehr positiv auswirken, dass er innerlich ruhiger und aufmerksamer wird. Natürlich werde man mit der Zeit auch fitter und beweglicher, aber eigentlich gehe es beim Yoga um die geistige Freiheit, um eine tiefe Konzentration und Aufmerksamkeit. Es sei ein Glück, dass seine mittlerweile verstorbene Frau diese Leidenschaft für Yoga mit ihm geteilt habe, ansonsten wäre sie nicht mehrere Male mit ihm nach Indien gefahren und hätte all die Strapazen mitgemacht, die so eine Reise mit sich bringe. Bei jeder Indienreise verbringt das Paar einige Wochen beim Yogameister und dann ist es auch im Land unterwegs. Einmal machen die beiden eine sehr, sehr lange Wanderung und kommen fast bis zum Basiscamp des Mount Everest.

„Wir sind über 240 Kilometer gegangen. Dabei sind wir, das würde ich mich heute nicht mehr trauen, über eine sehr schmale Brücke ohne Geländer gegangen. Aber damals sind wir frisch vom Yoga gekommen und da hat man eine viel größere innere Ruhe.“

Wie geht das, wie wird man von einem Guru als Schüler:in angenommen? Klaus Pinkas erinnert sich noch gut, wie er und seine Frau zum ersten Mal in den Aschram ihres Meisters gekommen sind. „Er hat uns angeschaut und gesagt: ‚Ja, Sie kann ich nehmen.‘ So sind wir seine Schüler:innen geworden.“ Sehr gut erinnert sich der inzwischen selbst über Achtzigjährige daran, wie intensiv das Üben und Meditieren in der Gemeinschaft mit den anderen und dem Meister war. „In dieser Umgebung habe ich einmal ein sehr bewegendes Erlebnis gehabt. Ich habe in der Meditation das Gefühl gehabt, eins mit der Welt zu sein.“ Durch das Meditieren habe er eine andere Beziehung zum Tod bekommen, der Tod habe etwas von seinem Schrecken verloren. Er habe die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Meditationserlebnisse sein Wesen verändert hätten. „Ich habe die Angst vor autoritären Leuten verloren. Beim Militär, wo ich mein Berufsleben verbracht habe, gibt es ja viele mit einem starken Autoritätsgehabe. Das war für mich in den ersten Jahren oft sehr schwierig und unangenehm. Wie ich einmal von einer Indienreise zurückgekommen bin und wieder damit konfrontiert war, habe ich mich nicht mehr gefürchtet. Das ist schon befreiend. Der Guru gibt ja nichts vor, er lehrt nur die Meditation. Er will keine Lehren weitergeben, nur Fähigkeiten erwecken. Diese Fähigkeiten hat man von Natur aus, aber sie sind einem nicht immer zugänglich. Es ist ein wenig so wie mit dem Schwimmen, das man von Natur aus kann, aber dann doch noch lernen muss.“ Yoga, könnte man auch sagen, ist ein Weg, um sich „freizuschwimmen“. Sich ein Stück weit von den Prägungen der Herkunft und Erziehung zu befreien, sich zu entwickeln und zu entfalten.


Yoga, so Klaus Pinkas, habe ihn auch dabei unterstützt, zu lernen, mit seiner Blindheit gut zu leben. „Ich komme ja aus einer anderen Kultur. Wie ich aufgewachsen bin und auch später noch, war es sehr gênant, sehr peinlich und wirklich unangenehm, blind zu sein. Mit Yoga habe ich das weitgehend überwunden. Blindheit muss man ja auch lernen. Das war halt mein Weg.“ Und auch in der Gesellschaft habe sich einiges verändert. Man merke einfach, dass die Arbeit, die der Blinden- und Sehbehindertenverband leiste, Früchte trage. Dass Aufklärung von Seiten dieser Selbsthilfeorganisation etwas verändern könne.

„Heute wird viel offener über Behinderung geredet. Und ich erlebe jetzt, dass Leute mich fragen, ob ich Hilfe brauche. Früher ist es mir öfters passiert, dass ich einfach gepackt und auf die andere Seite gebracht wurde, obwohl ich gar nicht über die Straße gehen wollte.“

Dr. Klaus Pinkas teilt mit seiner Frau, die er am Arbeitsplatz kennengelernt hat und die vor zehn Jahren verstorben ist, nicht nur das Interesse für Yoga, sondern auch die Leidenschaft fürs Reisen. Von Indien abgesehen, besuchen sie Australien, Schweden und die USA. Und immer wieder fahren sie mit dem Auto nach Griechenland. Sie mögen die Leute, lernen ein wenig Griechisch und schätzen es sehr, wie einfach und unkompliziert es sei, in diesem südeuropäischen Land unterwegs zu sein. Sein Fernweh sei gestillt. „Jetzt verbringe ich an der Seite meiner Freundin die Tage in Ruhe.“ Wichtig wie eh und je sei ihm die geistige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen und auch die Arbeit an seinen Büchern.

Das Alter bringt neue Herausforderungen mit sich. In früheren Zeiten übt Klaus Pinkas täglich Yoga. Inzwischen mache er kaum noch Körperübungen. Aber der Geist sei ganz auf Yoga eingestellt, im Geist sei er noch immer auf dem Yoga Trip. Yoga sei für ihn ein Schlüsselerlebnis gewesen und so bleibe er dabei.

Das Buch von Klaus Pinkas glauben macht blind. Yoga gegen die geistige Blindheit ist im NOVUM VERLAG erschienen. Es hat 140 Seiten und kostet € 17,40.

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