Syndrome mit Augenbeteiligungen
Kapitel 10: Syndrome mit Augenbeteiligungen
Der Begriff „Syndrom“ (griech. syndromos = begleitend) wird für das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Krankheitszeichen verwendet. Tritt eine Augenerkrankung wie zum Beispiel eine angeborene Katarakt, ein frühkindliches Glaukom oder eine Netzhautdystrophie mit anderen Erkrankungen oder mit anderen Organpathologien zusammen auf, so kann man von einem Syndrom sprechen. Dieses ist oft nach dem Erstbeschreiber benannt und manche Syndrome sind durch genetische Veränderungen erblich bedingt. In der Medizin sind mittlerweile mehr als 1.200 Syndrome bekannt. In diesem Kapitel werden die häufigsten Syndrome mit Augenbeteiligung behandelt.
Beim Marfan-Syndrom handelt es sich um eine häufige, dominant vererbte Schwäche des Bindegewebes mit Veränderungen am Skelett, am Herzen und am Auge. Etwa einer von 10.000 Menschen ist von dem Syndrom betroffen. Die Patienten sind oft sehr groß gewachsen und haben typischerweise lange schlanke Finger. Am Auge findet sich manchmal nur eine kleine Linse oder die Aufhängung der Linse ist sehr schwach, sodass sie schief steht oder aus der Mitte verrutscht. Die betroffenen Personen entwickeln auch häufiger ein Glaukom oder eine Netzhautablösung.
Das Stickler-Syndrom ist ebenfalls eine häufige, erblich bedingte Erkrankung des Bindegewebes, die sich durch Störungen im Gesichtswachstum mit Ausbildung einer kleinen Nase, einer Schwerhörigkeit bis zum Hörverlust und Gelenksproblemen auszeichnet. Am Auge besteht oft eine hohe Kurzsichtigkeit und manchmal kommt es zu einer verfrühten Linsentrübung oder einem Glaukom. Der Glaskörper, der normalerweise das Augeninnere stabil ausfüllt, verflüssigt sich beim Stickler-Syndrom frühzeitig, wodurch es auch eine häufige Ursache für eine Netzhautablösung bei Kindern ist.
Das Usher-Syndrom ist eine sehr belastende Erkrankung, die für die Hälfte aller Fälle mit Taubheit und Erblindung bei Kindern verantwortlich ist. Die Augen leiden bei diesem Syndrom an einer schweren Retinopathia Pigmentosa, während der Hörverlust durch eine Innenohrschädigung entsteht. Eine Schwerhörigkeit oder Taubheit kann schon bei der Geburt vorliegen, während sich die Retinopathie erst später ausbildet. Genau genommen handelt es sich auch hier wie bei der allein auftretenden Retinopathia Pigmentosa um eine durch verschiedene Gendefekte verursachte Gruppe von Erkrankungen, die rezessiv vererbt werden. Dementsprechend unterscheiden sich die Erkrankungsbilder auch in ihrer Schwere von Patient zu Patient. Eine ähnliche Syndromerkrankung, das Kearns-Sayre-Syndrom, geht ebenfalls mit einer Netzhautdystrophie einher und tritt gemeinsam mit Bewegungsstörungen und Muskelschwäche auf.
Beim Albinismus kommt es wegen einer angeborenen Störung in der Produktion des Melanins (Pigment) zur helleren Haut-, Haar- und Augenfarbe. Albinismus folgt meist einem rezessiven Erbgang und kommt beim Menschen weltweit mit einer Häufigkeit (Prävalenz) von 1:20.000 vor. Albinismus kann generalisiert in Haut, Haar und Augen („okulokutaner Albinismus“) oder nur in Augen („okulärer Albinismus“) auftreten. Neben Pigmentstörungen und damit verbundener matter bis blasser Haut, grauen, meist gelblich-weißen Haare haben die Patienten eine Lichtempfindlichkeit der Haut und meist starke Fehlsichtigkeit (Weitsichtigkeit oder Kurzsichtigkeit). (..)
Bei den syndromassoziierten Augenerkrankungen ist es besonders wichtig, frühzeitig Sehstörungen zu behandeln, um die kindliche Entwicklung der visuellen Funktion so gut wie möglich zu unterstützen. So sollte eine Linsenfehlstellung beim Marfan-Syndrom durch eine Brillenanpassung optisch korrigiert werden. Falls dies nicht möglich ist, müsste die Linse chirurgisch entfernt werden und eine Kunstlinse eingesetzt werden. Beim Stickler-Syndrom ist eine gute Brillenkorrektur der Kurzsichtigkeit zeitlebens notwendig. Eine aufgetretene Netzhautablösung muss chirurgisch saniert werden, wobei wegen meist später Diagnose die Erfolgsraten aber bescheidener als bei normalen Augen sind. Für die Retinopathie beim Usher-Syndrom gibt es wie für alle anderen Netzhautdystrophien derzeit leider noch keine wirksame Behandlung. Es wird jedoch intensiv an möglichen Strategien mit Gentechnik, Stammzellen oder elektronischen Implantaten geforscht. Da sich die Netzhautfunktion bei jedem Patienten unterschiedlich rasch verschlechtert, ist eine regelmäßige Untersuchung und Brillenanpassung auch bei dieser Erkrankung wichtig. Bei Bedarf werden im Laufe der Zeit auch vergrößernde Sehhilfen nötig. Genauso wichtig wie die Versorgung mit optischen Hilfsmitteln ist bei dieser Erkrankung auch die Behandlung der Schwerhörigkeit mittels Hörgerät oder einem Implantat im Innenohr. Bei vollständiger Erblindung und Ertaubung ist eine Kommunikation mit der Umwelt nur sehr eingeschränkt möglich. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, eine spezielle Gebärdensprache für Taubblinde zu erlernen. Eine Vorbeugung gegen Albinismus als typische Erbkrankheit ist ebenfalls nicht möglich. Bis auf die Seheinschränkungen ist das Auftreten dieses Gendefekts für die Betroffenen nicht mit gesundheitsbedrohlichen Einschränkungen verbunden. Da das Hautkrebsrisiko erhöht ist, müssen Schutzmaßnahmen gegen Sonnenlicht zur Krebsvermeidung getroffen werden.