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7. Sechs Richtige

Ein echter Volltreffer


Die Rede ist hier natürlich nicht von einer Lotterie, sondern von den sechs Punkten der Brailleschrift – für blinde Menschen auf jeden Fall ein unschätzbarer Gewinn. Mit seiner genialen Erfindung der 6-Punkte-Schrift hat Louis Braille, der selbst im Kindesalter sein Augenlicht infolge eines Unfalls verloren hat, blinden Menschen erst das Tor zum Bildungserwerb geöffnet.

Für das Gros der Menschen ist lesen und schreiben so selbstverständlich, dass der Gedanke, keine Schrift zu haben, meist gar nicht erst aufkommt. Aber wenn das Sehvermögen immer mehr nachlässt und aus dem gewohnten Lesen ein mühsames Buchstabieren wird, gewinnt das Thema mehr und mehr an Bedeutung.

„Ich stamme aus einer Buchhändler-Familie und war immer von lesenden Menschen umgeben“, berichtet Frau Dr. Susanne Buchner-Sabathy, „da lag es natürlich nahe, dass lesen für mich trotz meiner Sehbehinderung fast so selbstverständlich war wie das Atmen. Ja, ich konnte mich der inneren Welt der Bücher einfach nicht entziehen.“

Lesen bildet nicht nur, sondern eröffnet einem eine ganz eigene Welt. „Ich konnte mich in diese Welt versenken, mich hineinfühlen“, erinnert sie sich.

Umso schmerzhafter ist es, wenn das Lesen immer mühsamer wird, wenn mit der Lupe nicht mehr ganze Wörter und Satzteile erfasst, sondern alles sozusagen buchstabiert werden muss.

Sehbehinderung hin oder her und lesen mit der Lupe – für die junge Frau ist das kein Grund zu resignieren. Also nimmt sie ihr Studium in Angriff.

Zuerst absolviert sie die akademische Übersetzerausbildung für Französisch und Spanisch, danach noch das Diplomstudium für allgemeine Sprachwissenschaft und Romanistik und promoviert schließlich. In ihrem Job in der Akademie der Wissenschaften konnte sie ihre Arbeit anfangs noch mit Hilfe eines Vergrößerungsprogramms am PC erledigen. Aber irgendwann ging auch das nicht mehr. Die Leseunfähigkeit war erreicht. „Aber beim Übersetzen ist Schrift unverzichtbar“, resümiert die Akademikerin.

In dieser Zeit hatte sie den ersten Kontakt zum BSVWNB. „Hier wurde mir das Mobilitätstraining vermittelt. Denn die Verschlechterung meines Sehvermögens wirkte sich natürlich auch auf meine Orientierung aus.“

Und hier hatte sie auch den ersten Kontakt zur Brailleschrift. „Ich erkannte sofort das Potenzial, das in diesem Schriftsystem liegt“, erzählt sie voller Begeisterung. „Das war für mich und meine weitere Entwicklung eine Art Schlüsselerlebnis.“ Wieder lesen zu können, war für sie eine derart hohe Motivation, dass sie die Anfangshürde rasch überwand.

„Ich versuchte gar nicht, jedes Zeichen zu erkennen, sondern gleich ganze Worte.“

Ein Vorgehen, das ihr als Vielleserin sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen war. „Ich erinnere mich noch dran, wie ich über das Wort Sphinx gestolpert war“, schmunzelt sie, „denn ein deutsches Wort, das mit Sph beginnt, kann es nicht geben“, schlussfolgerte sie. Ihr Lehrer Franz Kvasnicka konnte sie aber schließlich überzeugen, dass sie sich nicht verlesen hatte.

Beflügelt von der Aussicht, Bücher wieder selbstständig und vor allem ohne Überanstrengung des minimalen Sehvermögens lesen zu können, eroberte sie sich mit dem Buch von Astrid Lindgren „Ferien auf Saltkrokan“ zum zweiten Mal die Welt der Bücher. „Es ist sogar so, dass sich manche Texte mir erst durch die Brailleschrift erschlossen haben wie etwa Lyrik, mit der ich mich früher kaum befasst hatte“, fügt sie hinzu.

Heute ist die Brailleschrift für Dr. Buchner-Sabathy sowohl im beruflichen als auch privaten Bereich nicht nur unverzichtbar, sondern sozusagen eine Art Berufung geworden. Sie engagiert sich leidenschaftlich für die Vermittlung der Brailleschrift an Menschen, die wie sie den Zugang zu Gedrucktem verloren haben. Denn sie weiß aus eigener Erfahrung, dass die sechs Punkte ein echter Volltreffer sind.

Kurse

Der BSVWNB bietet Kurse zum Erlernen der Brailleschrift an. Diese werden in 12 Einheiten durchgeführt, denen ein Informationstreffen vorangeht. Die Anmeldung erfolgt im Mitgliederservice; für die Kurskosten von 120 Euro erhalten Mitglieder einen Zuschuss.

„Das Beherrschen der Brailleschrift kann zu mehr Selbstständigkeit im Alltag beitragen und Freude am Erlernen einer neuen Fertigkeit bringen“, so die Kursleiterin Margarete Waba.

Wie funktioniert die Brailleschrift?

Stellen Sie einen Eierkarton mit 6 Eiern so vor sich hin, dass Sie den Deckel wie bei einem Buch aufklappen können. Sie sehen 2 senkrechte Reihen mit je 3 Eiern. Das sind jetzt unsere 6 Punkte der Braille-Schrift.

Damit wir uns nicht mit langen Beschreibungen aufhalten müssen, "nummerieren" wir die Positionen: Links von oben nach unten sind die Positionen 1, 2 und 3; rechts 4, 5 und 6.

Nehmen Sie nun die 3 rechten Eier, also die auf Position 4, 5 und 6 heraus - und schon haben Sie den Buchstaben L vor sich, bestehend aus den Positionen 1, 2 und 3.

Nun nehmen Sie das Ei aus Position 2 und setzen es rechts daneben, also auf Position 5. 1, 3 und 5 ergibt den Buchstaben O.

Nun verschieben Sie das Ei von Position 5 auf 6. 1, 3 und 6 ergibt ein U.

Der nächste Schritt ist ein zweifacher, benötigt daher etwas Konzentration:

Ausgehend vom U (1, 3, 6) setzen wir das Ei von 1 nach 4 und das von 3 nach 2; das Ei aus Position 6 entfernen wir. Übrig bleiben 2 Stück auf 2 und 4, ein I.

Wenn wir nun zum I ein Ei auf Position 3 setzen, erhalten wir die Kombination 2, 3, 4 – ein S.

Jetzt haben wir erfolgreich den Vornamen LOUIS geschrieben.

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Eva Papst Dezember 2021