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Audiodeskripteur

So wird Fernsehen für blinde Menschen zum Genuss

Wussten Sie, dass Österreich Vorreiter in Sachen Live-Audiodeskription ist? Inzwischen wird Audiodeskription nicht nur im Fußballstadion angeboten, sondern auch bei ORF-Sportübertragungen, bei Unterhaltungssendungen wie Dancing Stars und sogar live im Theater. Wir haben Johannes Karner, einen langjährigen Kommentator bei Audio2, getroffen.

 

Interview mit Johannes Karner

Braille Report: Seit wann machen Sie Audiodeskription und wie sind Sie dazu gekommen?
Johannes Karner: 2008 habe ich beim Radio begonnen als Kommentator für die EURO. Das war eine Jahrhundertchance für mich, meinen Traum zu verwirklichen, als Sportkommentator zu arbeiten.
Nicht einmal ein Jahr später kam die Anfrage von der Bundesliga, dass sie Moderatoren suchen für Audiodeskription. 2009 gab es die ersten Schulungen. Mittlerweile bin ich seit sieben Jahren dabei und durfte viel von Anfang an begleiten.

Braille Report: Gibt es Audiodeskription auch in anderen Ländern? Gibt es Erfahrungswerte, die man für Österreich übernehmen kann?
Johannes Karner: Hörfilme gibt es schon sehr lange, seit den 1980er Jahren. Der Bayerische Rundfunk in Deutschland war ein großer Vorreiter. Audiodeskription bei Filmen und Serien gibt es auch schon länger.
Bei der Live-Audiodeskription sind wir in Österreich Vorreiter in ganz Europa. Im deutschen Fernsehen gibt es seit 2014 Live-Audiodeskription, damals hat das ZDF mit „Wetten, dass…“ begonnen. Sie arbeiten in diesem Bereich mit uns zusammen. Ich durfte damals nach Deutschland fahren und „Wetten, dass…“ kommentieren.
Der ORF hat 2009 mit den Länderspielen gestartet. Ab 2010 haben wir dann auch die Großveranstaltungen voll audiokommentiert.

Braille Report: Sie leisten also quasi Pionierarbeit.
Johannes Karner: So ist es. Die blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland sind fast ein bisschen neidisch auf das Angebot in Österreich. Viele hören ORF wenn es ihnen irgendwie möglich ist, weil sie die Audiodeskription nutzen wollen.
In Deutschland hat das ZDF gestartet mit der Champions League. Aber das machen auch wir mit Audio2. Ich darf als Österreicher gemeinsam mit einem deutschen Kollegen die Spiele kommentieren.

Braille Report: Wie lange bereiten Sie sich auf ein Fußballspiel vor, das Sie kommentieren werden?
Johannes Karner: Am Beginn war ich in meiner Euphorie sogar übervorbereitet. Das ist aber nicht notwendig. Man muss natürlich etwas über die jeweilige Sportart wissen, sonst könnte man es nicht mit den richtigen Worten beschreiben.  
Wenn ich ein Fußballspiel kommentiere, muss ich mich darauf konzentrieren, was in diesem Moment am Platz passiert. Das Ziel der Audiodeskription ist, das, was gerade passiert, möglichst schnell zu verbildlichen. Die meisten Hintergrundstatistiken sind also gar nicht notwendig. Aber wir erklären die Statistiken, die am Fernsehbild eingeblendet werden.

Braille Report: Ist es für Sie etwas anderes, wenn Sie Audiodeskription für ein Fußballspiel machen oder für eine Unterhaltungssendung?
Johannes Karner: Es ist wichtig, dass die Emotionen transportiert werden. Ich mache zum Beispiel auch die katholischen und evangelischen Messen, und das hat einen ganz anderen Charakter als ein Fußballspiel. Man muss sich in der Emotion und in der Sprechgeschwindigkeit an das Ereignis anpassen.
Bei Unterhaltungssendungen sind wir immer bei der Generalprobe dabei, damit wir ungefähr wissen, was auf uns zukommt. Das gibt es natürlich beim Sport nicht, Sport ist immer live und man kann im Voraus nie erahnen, was passieren wird.

Braille Report: Fällt es Ihnen manchmal schwer, die passenden Worte zu finden, um etwas zu beschreiben?
Johannes Karner: Ja, das habe ich leider auch schon erleben müssen. Das sind Schocksituationen, zum Beispiel wenn ein Schifahrer schwer stürzt. Es ist eine große Herausforderung, in diesem Moment die richtigen Worte zu finden. Man möchte dem Zuhörer nichts vorenthalten, aber auf der anderen Seite auch nicht zu viele Vermutungen anstellen. Ich habe zum Beispiel den Sturz vom Hans Grugger damals kommentiert. Er wäre aufgrund der schweren Schädelverletzungen beinahe gestorben. Es ist wichtig, dass man eine solche Situation möglichst sachlich und ruhig kommentiert, auch wenn es einen selbst sehr berührt.

Braille Report: Audiodeskription wird inzwischen auch am Theater angeboten. Gibt es noch weitere Veranstaltungen, wo Sie sich Audiodeskription wünschen würden?
Johannes Karner: Es wäre wichtig, dass jedes Ereignis, das öffentlich zugänglich ist, eine Audiodeskription anbietet. Denn auch bei einer Musikveranstaltung wie einer Oper kann Audiodeskription Sinn machen. Natürlich steht der Gesang im Vordergrund, aber es passiert oft so viel auf der Bühne, dass man zwischen dem Gesang Audiodeskription einbauen könnte. Es geht darum, dass ein blinder Mensch das Ereignis auf möglichst ähnliche Weise wahrnehmen kann wie ein Sehender. Auch der blinde Mensch möchte wissen, wie die Kostüme beschaffen sind, wie die Bühne aufgebaut ist, wie die Emotion der Darstellerinnen und Darsteller ist.
Bei Opern, Operetten und Musicals fehlt Audiodeskription derzeit noch massiv. Audiodeskription kostet aber eigentlich nicht viel. Es geht um Barrierefreiheit. Wenn ein Opernhaus nicht barrierefrei zugänglich ist, gibt es keine Diskussion, es wird ein Lift eingebaut für gehbeeinträchtigte Menschen und Rollstuhlfahrer. Es ist jedem klar, dass das gebraucht wird. Aber für einen blinden Besucher ist die Audiodeskription quasi der Lift.

Braille Report: Sie kennen Ihre Zuhörer teilweise auch persönlich. Beeinflusst das die Art und Weise, wie Sie Audiodeskription machen?
Johannes Karner: Ohne Feedback von blinden und sehbehinderten Zuhörern hätte ich viel nicht entwickeln können. Ich beschreibe viele Sachen, die für einen Sehenden selbstverständlich sind. Man würde zum Beispiel bei einem Fußball-Match nicht daran denken, zu beschreiben welche Mannschaft von links nach rechts spielt und umgekehrt. Für blinde Menschen ist genau das wichtig, um eine räumliche Vorstellung zu haben.
Die Audiodeskription ist oft viel schwieriger als ein normaler Matchkommentar. Wenn jemand sagt: „Super wie du das Spiel kommentiert hast, ich habe das richtig mitfühlen können“, ist das die schönste Rückmeldung, die ich bekommen kann. Das gibt mir auch viel Energie für die Arbeit. Die meisten Menschen verstehen ja nicht, was ich mache – ich werde oft gefragt, ob ich Gebärdensprache mache oder wann ich zum „richtigen Fernsehen“ komme.

Braille Report: Sie wirken sehr engagiert. Gibt es eine spezielle Motivation für Sie, zum Beispiel blinde und sehbehinderte Menschen in Ihrem Umfeld?
Johannes Karner: Ich habe in meinem Umfeld niemanden, der erblindet ist, aber ich habe bei den ersten Kontakten mit blinden Menschen gemerkt, dass ich ihr Leben wirklich bereichern kann.
Ich habe eben erst einen blinden Mann getroffen, der bis vor 15 Jahren gesehen hat. Er hatte damals ein Abo in einem Fußballstadion bei seinem Herzensclub. Als er dann erblindet ist, hat er das Abo zurückgelegt, weil er gemeint hat, es habe keinen Sinn mehr. Er hat ja nichts mehr mitbekommen vom Spiel. Er hat mir erzählt, dass er jetzt wieder ein Abo hat und mit seinen Söhnen ins Fußballstadion geht, weil es die Audiodeskription gibt. Das sind die Geschichten, wo ich merke, dass ich mit meiner Arbeit etwas bewirken kann. Mir hören vielleicht nur tausend Menschen zu, und nicht eine Million, aber diese tausend Menschen haben wirklich etwas davon.
Eine zweite Geschichte fällt mir noch ein. Ein Blinder hat ein Abo und geht mit seinen Freunden immer ins Fußballstadion. Er sitzt im Fußballstadion auf der Tribüne mit seinen Kopfhörern für die Audiodeskription, dann ist eine heikle Szene. Die Frage ist: „Elfmeter oder nicht Elfmeter?“ Dann drehen sich die Freunde um zum Blinden und fragen ihn: „Na, was sagen sie, deine Kommentatoren? War es ein Elfer?“ – „Ja, war ein klarer Elfer!“
Und so ist der blinde Mann, obwohl er die Szene nur beschrieben bekommen hat, der Experte in der Runde. Und das ist dann Inklusion, wie es sie nur auf diese Art und Weise gibt. Der Blinde kann mit seinen Freunden ins Fußballstadion gehen, und das ist auch gut so. Das Schlimmste ist, wenn sich Menschen nach so einer Erkrankung oder Erblindung nicht mehr raus trauen. Schön wäre es, wenn es so viel Audiodeskription gäbe, dass blinde Menschen genau das gleiche gesellschaftliche Leben haben können wie ein Sehender.

MMag. Astrid Entlesberger Februar 2016

Zur Person:

Johannes Karner (28) hat Musical studiert. Während der EURO 2008 arbeitete er als Fußball-Kommentator beim Radio. Seit 2009 macht er Audiodeskription im ORF für Fußballmatches, Schi-Übertragungen, aber auch Unterhaltungssendungen und Messen. Er ist Mitarbeiter der Firma Audio2, die für den ORF die Live-Audiodeskription macht. Seine Motivation? „Es ist mir ein Anliegen, dass die blinden Menschen Audiodeskription bekommen, sie haben sich das verdient.“