Verkehrsreferent Franz Mayer
„Es ist eine Sisyphusarbeit, es gibt so viel zu tun, dass man nie fertig wird.“
So Franz Mayer, über seine ehrenamtliche Arbeit im Verkehrsgremium des Blinden- und Sehbehindertenverbands Wien, Niederösterreich und Burgenland (BSVWNB). Sein Ziel: Menschen, die sehbehindert sind, sollen den öffentlichen Raum selbstbestimmt und möglichst gefahrlos nutzen können.
Wieso, Herr Mayer, tun Sie sich diese Sisyphusarbeit an?
Als Erstes muss ich sagen, ich mache das wirklich sehr gerne. Ich habe da vielleicht einen gewissen masochistischen Zugang dazu. Und so etwas wie Sendungsbewusstsein spielt auch eine Rolle, wofür ich mich geniere. Aber wirklich entscheidend ist etwas anderes. Seitdem ich erblindet bin, merke ich, dass vieles nicht in Ordnung ist. Und ich halte es nicht aus, nichts zu tun und untätig zu bleiben.
Auf welche Hindernisse und Probleme stoßen blinde Menschen, die auf der Straße unterwegs sind?
Nehmen wir die akustischen Ampeln. Da signalisiert ein Ton dem blinden Menschen, dass die Ampel auf Grün geschaltet ist und er die Straße überqueren kann. Aber zunehmend mehr akustische Ampeln sind zu leise eingestellt. Wenn man blind ist und eine vier- bis sechsspurige Straße überquert und das gegenüberliegende Signal nicht mehr hört, dann besteht die Gefahr, dass man die Straße nicht gerade und auf dem schnellsten Weg queren kann, sondern schräg. Dann braucht man länger, dann fahren die Autos wieder los und man befindet sich in einer lebensgefährlichen Situation. Eine Ampelanlage muss also so eingerichtet sein, dass man sie auch hört.
Wieso werden die Signale nicht so eingestellt, dass sie von beiden Seiten gut hörbar sind?
Hier handelt es sich um einen klassischen Zielkonflikt. Den Anrainern ist es zu laut, sie wollen ihre Ruhe haben. Und die blinde Person will möglichst sicher über die Straße kommen. Ich verstehe diesen Konflikt auch, dennoch ist es wichtig, gute Lösungen zu erarbeiten. Aber das ist ein sehr, sehr mühsamer Prozess.
Bei den Ampelkreuzungen kommt oft noch hinzu, dass die Grünphase zu kurz und die Strecke, die man queren muss, zu lang ist. Dieses Problem ist schwer in den Griff zu bekommen, denn jahrelang wurde viel getan, um den Verkehr zu beschleunigen. Andererseits erlebe ich in der letzten Zeit auch ein gewisses Umdenken. Fortschrittliche Wiener Bezirkschefs erkennen, dass es sinnvoll ist, wenn sich die Menschen im Bezirk wohlfühlen. Dass sie nicht nur hin- und herfahren, sondern auch verweilen wollen. Es werden Gehsteige breiter gemacht und verkehrsberuhigte Zonen eingerichtet. Es ist sehr positiv, dass hier ein Umdenken stattfindet.
Als Leiter des Verkehrsgremiums sind Sie in Kontakt mit den Behörden, um für mehr Barrierefreiheit im öffentlichen Raum zu sorgen. Andererseits sind Sie Ansprechpartner für Menschen, die sehbehindert sind. Mit welchen Anliegen werden Sie häufig konfrontiert?
Ein ganz großes Problem sind die mobilen Verkehrszeichen. Sie stehen oft mitten am Gehsteig und sind sehr scharfkantig. Wenn Sie bei dieser scharfkantigen Verkehrstafel anstoßen, dann haben Sie ganz schnell einen Cut. Also die Gefahr sich zu verletzen ist wirklich groß. Doch das müsste nicht sein. Denn es gibt Verkehrstafeln, die nicht scharfkantig sind, die kosten halt ein bisschen mehr. Die Behörde schreibt jedoch nicht vor, dass die scharfkantigen Tafeln ausgetauscht werden müssen und die Baustellenbetreiber haben kein Bewusstsein, dass solche Tafeln für blinde Menschen gefährlich sind. Also bleiben sie solange stehen, bis sie kaputt sind, nur dieses Blech haltet ja ewig. Und somit haben wir diesen äußerst unbefriedigenden Zustand.
Ein anderes Hindernis und eine Gefahrenquelle sind Kreisverkehre. Sie sind für sehbehinderte Menschen praktisch nicht überschaubar.
Bei einem Kreisverkehr, in den mehrere Fahrbahnen einmünden, können Sie gar nicht wissen, wo der Übergang ist, denn die Übergänge sind ja außerhalb des Kreuzungsschnittpunktes und sie gehen oft nicht im rechten Winkel. In der Vergangenheit sind viele Kreisverkehre zur Verkehrsbeschleunigung gebaut worden. Und da sie nun einmal vorhanden sind, müssen sie mit tastbaren Systemen ausgestattet werden, sodass man weiß, wo der Übergang ist, das heißt wo der Zebrastreifen ist. Und dann braucht man noch unbedingt Hilfslinien über die Fahrbahn, also taktile Bodeninformationen.
Ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz nützt Menschen mit und ohne Behinderung. Wie aber muss der öffentliche Verkehr organisiert sein, damit sehbehinderte Menschen ihn möglichst gefahrlos nutzen können?
Als blinder Mensch muss ich hören, welche Straßenbahn oder welcher Bus gerade einfährt. Die Linie, die gerade einfährt, muss verlässlich gemeldet werden. Doppelhaltestellen sind ein Problem und abzulehnen. Sie können als blinder Mensch nicht wissen, ob eine Straßenbahn sich hinter der anderen anstellt. Es ist in der Theorie zwar so geregelt, dass die Straßenbahnfahrer die Linie ansagen sollen, wenn sie einen sehbehinderten Menschen sehen und dass sie bei einer Doppelhaltestelle noch einmal stehenbleiben sollen. Aber blinde und sehbehinderte Menschen werden oft gar nicht wahrgenommen, wenn viel los ist. Und dann wird die Linie nicht angesagt, dann wird bei einer Doppelhaltestelle nicht zweimal gehalten. Doch blinde Menschen, die in die Schule oder zur Arbeit gehen, die eine Familie, die viele Interessen und Hobbys haben, wollen die Straßenbahn nicht versäumen, nur weil sie das Liniensignal nicht sehen können. Die Straßenbahnen sollten so stehenbleiben, dass alle mitfahren können. Es gibt diese technischen Lösungen, sie haben sich in anderen Städten bewährt. Jetzt fehlt nur noch, dass sie auch in Wien umgesetzt werden.
Lässt sich der öffentliche Raum, der öffentliche Verkehr so gestalten, dass Menschen, die blind sind, ihn genauso gefahrlos benutzen können, wie Menschen, die sehen?
Ich würde sagen, nein, das geht nicht. Aber wenn die Bedürfnisse von sehbehinderten Menschen bei allen Vorhaben bedacht und berücksichtigt werden, dann wird es auf jeden Fall einfacher. Wenn also zum Beispiel eine Begegnungszone geplant wird, ist zu prüfen, ob eine taktile Bodeninformation gemacht werden muss. Wenn Häuserfassaden begrünt werden, muss man sich überlegen, wie sich blinde Menschen gefahrlos und unbehindert dieser Fassade entlang bewegen können, denn die Fassade ist ja ein wichtiger Orientierungspunkt. Sie wollen ja nicht mit dem Langstock oder mit dem Kopf in den Blättern landen oder gegen Blumentröge stoßen. Wenn man E-Scooter in der Stadt anschafft, aber kein Parkkonzept hat, wo die Scooter abgestellt werden, dann hat man die blinden Verkehrsteilnehmer nicht mitbedacht. Denn jemand der sieht, weicht aus, aber jemand der blind ist, fällt natürlich leicht über verkehrsbehindernd abgestellte Roller drüber. Manche liegen sogar am Gehsteig! Auch geräuscharme Elektroautos müssen für blinde Menschen deutlich wahrnehmbar sein. Also wir vom Verkehrsgremium des Blindenverbands bringen unsere Anliegen in die Verkehrsplanung immer wieder ein. Wir wollen rechtzeitig Einfluss nehmen, wir wollen, dass notwendige Maßnahmen von Anfang an einbezogen werden, damit sich blinde Menschen selbstbestimmt bewegen können.
Wünsche, Anregungen und Anfragen an das Verkehrsgremium des Blinden- und Sehbehindertenverbands WNB nimmt Franz Mayer entgegen. Seine Telefonnummer lautet: 0676 / 359 20 80.
Interview: Mag. Ursula Müller