Inhalt

Aktuelles

Am Straßenrand stehen sich zwei Herren gegenüber, einer davon mit Fahrrad, der andere mit Weißem Stock. Im Hintergrund fährt ein weißer Lieferwagen vorbei.
Bildinfo: Rudolf (links) und Kian (rechts) im Gespräch. Aus einem Zusammenstoß entsteht eine nette Begegnung. © BSVWNB/Ursula Müller

Eine ungeplante Begegnung

Menschen, die blind oder stark sehbehindert sind, sind besonders gefordert, wenn sie unterwegs sind und Straßen überqueren müssen.

Kian und Rudolf im Gespräch

Kreuzungen verlangen höchste Aufmerksamkeit. Es gibt viele Verkehrsteilnehmer:innen und die Grünphase ist kurz. So kann es plötzlich mitten auf der Kreuzung zu einem ungeplanten Zusammentreffen kommen, wie es Kian und Rudolf erlebt haben. Wir haben die beiden zum Gespräch getroffen. 

Kian: Es war in der Nähe der Babenbergerstraße, ich war auf dem Weg ins Sozialministeriumservice (SMS) und wollte die Straße überqueren. Es war Grün, ich bin los und dann ist alles ganz schnell passiert. Ich habe das Krachen und Knacksen meines Blindenstocks gehört und gedacht, einer von uns beiden war jetzt eine halbe Sekunde zu schnell unterwegs. 

Rudolf: Ich bin mit dem Rad über den Ring gefahren und war etwas in Eile. Wie ich gesehen habe, dass die Ampel Grün blinkt, habe ich gedacht, dass ich noch problemlos die Kreuzung überqueren kann. Im nächsten Augenblick habe ich aber schon den Stock in meinem Vorderrad gespürt. Dann höre ich Herrn Kian sagen, und das hat mich berührt, dann höre ich ihn ganz entsetzt sagen: „Aber es war ja Grün für mich!“ Für mich war es offensichtlich bereits Gelb gewesen. Wie ich dann aufs Vorderrad hinuntergeschaut habe, ist dort der zersplitterte weiße Stock gelegen. Ich habe mir nur gedacht, um Gottes Willen, hoffentlich ist dem Herrn nichts passiert. Aber zum Glück sind wir beide mit dem Schrecken davongekommen. Ich habe ihn gefragt, ob ich etwas für ihn tun könne und wohin er unterwegs sei. Wie er mir gesagt hat, dass er zum SMS müsse, habe ich ihm vorgeschlagen, dass wir zusammen dorthin gehen.

Kian: Das war mein erster Zusammenstoß mit einem Radfahrer. Es war ein Zufall, manchmal geht es ganz schnell und schon ist es passiert. Ich kann es nicht vermeiden, ich sehe ja nicht. Aber es war ein guter Zufall, denn dadurch hab ich Herrn Rudolf Brandstätter kennengelernt. Mit Fußgänger:innen hatte ich schon öfter Zusammenstöße. Einmal war ich mitten auf der Kreuzung, es ist mir jemand entgegengekommen, es hat Knacks gemacht, es hat gekracht, und auf einmal habe ich gemerkt, dass mein Blindenstock leichter geworden ist. Was kann das sein, warum ist der Stock plötzlich so leicht, habe ich mich gefragt. Dann war mir klar, dass er abgebrochen ist, aber die Person ist einfach weitergegangen. Ich glaube, das hat kein Mensch wahrgenommen, es ist alles ganz schnell gegangen. Ich hab dann die Straße ohne Stock überqueren müssen und bin mit einem Taxi nachhause gefahren.

Rudolf: Wir haben es geschafft, aus diesem Zufall, etwas Nettes zu machen.

Kian: Das ist ganz selten. Es ist mir noch nie passiert, dass ich mit der Person auch zum Reden gekommen bin. Entweder merken die Leute, die es verursacht haben, gar nicht, was passiert ist und gehen einfach weiter, oder es kümmert sie nicht. Deswegen schätze ich es sehr, wie Herr Brandstätter sich verhalten und was er gemacht hat. Obwohl ich überwiegend liebe Leute kennengelernt habe, ist mir so etwas noch nie passiert. (Lacht) Ich finde, er sollte vom Bürgermeister eine Auszeichnung erhalten.

Rudolf: Das ist jetzt aber wirklich übertrieben. (Lacht)

Kian: Nein, nein. Ohne Spaß. So etwas sollte Wertschätzung erfahren und die anderen sollten davon wissen. Andere können davon lernen.


Rudolf: Nach unserem Zusammenstoß sind wir gemeinsam ins SMS gegangen. Dort haben wir noch ein bisschen geplaudert. Herr Kian hat mir erzählt, was er so macht, woher er kommt. Ich habe ihm angeboten, das Taxi für die Heimfahrt zu bezahlen und seinen Blindenstock zu ersetzen, aber das hat er abgelehnt.

Kian: Ich habe gesagt, dass das nicht notwendig sei. Ich habe zu Herrn Brandstätter gemeint, meinen Blindenstock brauche er nicht zu bezahlen, aber es wäre nett, wenn wir einmal auf einen Kaffee gehen würden. Wir haben also Telefonnummern ausgetauscht und sind dann ein paar Wochen nach unserer Begegnung einen Kaffee trinken gegangen.

Rudolf: Ein paar Tage später war ich mit dem Auto zufällig im 14. Bezirk unterwegs. Wie ich aus dem Auto aussteige, sehe ich, dass ich direkt vor dem Louis Braille Haus geparkt habe. Das war noch so ein Zufall. Ich habe die Gelegenheit ergriffen und bin hineingegangen, um einen Stock zu kaufen. Im Geschäft waren zwei sehr nette Damen, die mich beraten haben. Sie haben mich gefragt: wie lang der Stock sein soll? Ich hatte aber keine Ahnung, ich wusste nicht einmal, dass es unterschiedliche Längen gibt. Ich habe mir damit geholfen, dass ich zu einer der beiden Damen gesagt habe, der Herr sei ungefähr so groß wie sie. Sie meinte, sie hätten von allen Kund:innen die Daten hier. Und da ist mir eingefallen, dass wir ja unsere Namen und Telefonnummern ausgetauscht hatten, bevor wir uns im SMS verabschiedet haben. Wie ich den Namen gesagt habe, haben die beiden gemeint: „Ach, Kian kennen wir ja, er kommt oft zum Schachspielen her.“ So war es plötzlich ganz leicht, den passenden Blindenstock zu erwerben. Die beiden Damen haben mir vorgeschlagen, dass ich jenes Modell nehmen sollte, das er sich zuletzt gekauft hatte. Jetzt war noch die Frage, wie der Stock zu seinem Besitzer kommt. Nachdem ich ja keine Adresse hatte, sind wir übereingekommen, dass die beiden vom Shop den Stock an Herrn Kian schicken werden.

Kian: Wie ich ein paar Tage nach meiner Begegnung mit Herrn Brandstätter mein Postfach aufgemacht habe, habe ich ein großes Kuvert gespürt. Ich nehme es in die Hand und frage mich, was da drinnen sein könnte. Dann merke ich, dass ich einen Blindenstock per Post erhalten habe. Daraufhin habe ich Herrn Brandstätter geschrieben, dass der Stock bei mir angekommen sei und dass ich mich sehr herzlich dafür bedanke. Für mich ist der Langstock sehr wichtig, ohne Stock brauche ich ein Taxi. Klar, ein paar Schritte kann ich schon gehen, aber weitere Strecken nicht. Ich mache seit vielen Jahren Kung Fu und dort habe ich unter anderem gelernt, wie eine Schlange zu gehen, also ich meine damit, dass ich die Füße beim Gehen immer am Boden lasse und auf diese Weise alles spüre, so ist man sicher. Aber das geht halt nur für ganz kurze Distanzen. Also der Blindenstock ist ein ganz wichtiges Hilfsmittel, so kann ich mich auch als blinder Mensch orientieren, wenn ich draußen unterwegs bin.

Bei einer Kreuzung sind aber auch die akustischen Ampeln ganz wichtig, sie signalisieren mit einem Ton, dass es Grün ist. Es ist ein echtes Problem, dass diese akustischen Ampeln oft defekt sind. Es ist wichtig, dass sehende Mitmenschen wissen, dass eine akustische Ampel ausschließlich für blinde Leute da ist, dass es nicht schneller Grün wird, wenn sie draufdrücken. So wird sie nur schneller abgenützt und kaputt. Ich habe damals die akustische Ampel verwendet, wie ich diesen kleinen Zusammenstoß mit Herrn Brandstätter hatte. Das akustische Signal hat mir gesagt, dass es Grün ist. In diesem Fall war es halt so, dass ich eine halbe Sekunde zu schnell war. (Lacht) Aber ich bin halt sportlich, mache nicht nur Kung Fu, sondern spiele auch Blindenfußball. Im Übrigen hat es in diesem Fall zu einer ausgesprochen netten Begegnung geführt.


Rudolf: Für mich ist es berührend zu erleben, wie positiv Herr Kian reagiert hat. Er hätte ja auch wütend sein können. Er hätte schimpfen und sich furchtbar aufregen können. Und überhaupt finde ich es bemerkenswert, dass er so einen positiven Zugang zum Leben hat. Es ist immer schön, wenn ein Mensch Positives ausstrahlt.

Kian: Ich glaube, das ist wie ein Ping Pong Spiel. Ich habe in meinem Leben immer wieder positive Menschen kennengelernt und sie strahlen auch etwas auf mich ab. Ich bin dankbar für diese Menschen und für diese Begegnungen. So eine positive Begegnung hatte ich auch, wie ich vor vierzehn Jahren zum ersten Mal vor dem Louis Braille Haus gestanden bin und zu jemandem vom Blinden- und Sehbehindertenverband wollte. Aber es war an diesem Tag schon geschlossen, niemand war mehr da. Aber vor dem Haus ist jemand gestanden, er hat mich angeredet, hat mich gefragt, ob ich etwas brauche. Nachdem es aber schon geschlossen war, hat er mich auf einen Tee eingeladen, denn er hat dort gewohnt. Er war sehr freundlich. Wir haben uns unterhalten und zusammen Schach gespielt, Blindenschach, und seitdem besuche ich oft den Schachclub im Louis Braille Haus. Aus zufälligen Begegnungen kann so viel Schönes entstehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Eine ungeplante Begegnung

Am Straßenrand stehen sich zwei Herren gegenüber, einer davon mit Fahrrad, der andere mit Weißem Stock. Im Hintergrund fährt ein weißer Lieferwagen vorbei.
Aktuelles

Menschen, die blind oder stark sehbehindert sind, sind besonders gefordert, wenn sie unterwegs sind und Straßen überqueren müssen.

Gemeinsam wandern

Eine Wandergruppe von knapp 20 Personen steht auf einem Weg vor einer Wiese, blauem Himmel und Bäumen.
Aktuelles

Seit Herbst 2023 gibt es wieder eine Wandergruppe für Menschen, die blind oder stark sehbehindert sind. Die Initiative dazu kommt von Robert Tryner,…

Die „Verrückte Jugend Aktion“ im Wien Museum

Sieben Personen erkunden ein detailliertes, hellbraunes Architekturmodell von Wien in einem Ausstellungsraum, wobei sich einige neugierig darüber beugen. Eine Person im Vordergrund mit blauen Handschuhen interagiert direkt mit dem Modell.
Aktuelles

Besuch der Ausstellung „Winter in Wien - Vom Verschwinden einer Jahreszeit“