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Portraits

Eine Frau mit warmer Jacke und heller Kappe lacht, während sie den langen Hals eines Kamels direkt neben ihrem Gesicht berührt.
Bildinfo: Renate Pregler probiert immer gerne etwas Neues aus: Zu Besuch auf einer Kamelfarm in Niederösterreich. © privat / Foto zur Verfügung gestellt.

„Ich geh überall hin wo Leute sind.“

Renate Pregler ist seit dem Jahr 2016 beim Blinden- und Sehbehindertenverband (BSVWNB). Sie nimmt gerne an Veranstaltungen teil und freut sich über das vielfältige Angebot.

Renate Pregler im Portrait

Die Niederösterreicherin besucht Sommerfeste und Weihnachtsfeiern. Sie nimmt an zwei Selbsthilfegruppen und am Yogakurs teil, ist bei der Wandergruppe dabei, informiert sich in verschiedenen WhatsApp Gruppen über blindenspezifische Themen und fährt sogar nach Linz zum iPhone Stammtisch. Die gesellige wie aktive Mittsechzigerin ist am rechten Auge fast blind und hat links knapp zehn Prozent Sehvermögen.  Wenngleich sie schon als Volksschulkind schlecht gesehen hat, trifft sie die Diagnose Retinitis Pigmentosa, die sie mit ungefähr Mitte vierzig erhält, wie ein Keulenschlag. Als die Augenärztin ihr eine Information vom BSVWNB überreicht und ihr sagt, dass sie dort Unterstützung erhält, ist sie geschockt und will nichts davon wissen. Zuhause verschwindet die Broschüre in einer Küchenlade. 

„Ich hab‘ gesagt, ich brauche das nicht, ich seh‘ eh noch genug, ich gehe nicht betteln.“ 

Erst Jahre später kontaktiert sie die Selbsthilfeorganisation und schätzt das Angebot wie die Unterstützung, die sie erhält.

Renate Pregler lebt mit ihrem Mann in Pellendorf, in der Marktgemeinde Himberg. Von ihren allerersten Lebenstagen abgesehen, wohnt sie in diesem Haus. „Seit meinem sechsten Lebenstag bin ich hier. Ich habe das Haus von meiner Mutter geerbt.“ Dort ist sie zusammen mit ihrem um zwei Jahre älteren Bruder aufgewachsen. Der Vater ist gelernter Huf- und Wagenschmid und arbeitet bei einem Schmid in Himberg. Davor ist er mit einem Zirkus unterwegs, kümmert sich um die Reparaturen bei den Wagen und um die Hufe der Pferde. Die Mutter ist Hausfrau, sie kommt aus einer großen Familie in St. Paul im Lavanttal. Eine Heiratsannonce führt die beiden zusammen.

Es ist das Jahr 1972, Renate ist zwölf Jahre alt, da verändert ein dramatisches Ereignis ihr Leben und das ihrer Familie völlig. Renate begleitet gemeinsam mit der Mutter den älteren Bruder zur Aufnahmsprüfung in der HTL. Das Mädchen ist, wie so oft, an der Seite der Mutter, die schlecht sieht. Der Vater fühlt sich nicht wohl und bleibt zuhause. „Wie wir zurückgekommen sind, ist er im Bett gelegen. Meine Mutter geht hin und will ihn aufwecken und ihm alles erzählen, aber er war nicht mehr am Leben. Unfassbar war das. Ein ganz großer Schock.“ Der Tod des Vaters trifft die Geschwister und deren Mutter vollkommen unvorbereitet. Zum Schock, zur Trauer und zum Verlust kommen existentielle Sorgen dazu. „Es war ja nix da. Ja, es gab das Haus, aber sonst war nix da. Mein Vater hatte in seiner Jackentasche fünf Schilling eingesteckt gehabt.“ Die Gemeinde hilft, auch der Pfarrer. Die Mutter bewirtschaftet ihren Garten noch intensiver als bisher. Was nicht selbst benötigt wird verkauft die Mutter. Sie packt ihren Rucksack, geht in den Ort und bietet den Leuten Gemüse und Blumen an. So hält sie die Familie über Wasser. Nicht alle reagieren verständnisvoll. „Einige Leute haben sie ganz hämisch gefragt, wohin denn die Reise heute gehen würde. Aber sie hat sich nicht viel anmerken lassen und sie hat es geschafft.“


Schon früh, schon vor dem plötzlichen Tod des Vaters muss Renate zuhause mithelfen. „Ich hab gar keine richtige Kindheit gehabt. Ich war noch gar nicht in der Schule, habe ich mit meiner Mutter immer das Heu geholt und auf den Dachboden gebracht. Gleich in der Nähe vom Haus ist ein Bach, früher haben die Anrainer den Uferstreifen gemäht. Das hat auch mein Vater gemacht, zeitig in der Früh hat er seine Sense genommen und hat gemäht. Ich war immer diejenige, die brav hat arbeiten müssen. Bis zum heutigen Tag ist mir das geblieben.“ Der Bruder hat es besser. Er ist schließlich der Sohn und wird von der Großmutter gehätschelt. „Er war der brave Bub, ich war das lästige Beiwerk. Das hat mich geprägt. Ich hatte darunter zu leiden, aber es hat mich auch stark gemacht.“

Da das Mädchen früh zuhause mitarbeiten und die Mutter immer wieder begleiten muss, hat es wenig Zeit, mit anderen Kindern zu spielen und Freundinnen zu treffen. Hinzu kommt, dass die Familie ganz am Ortsrand wohnt. 

„So bin ich die ganze Schulzeit hindurch immer ein bissl die Außenseiterin gewesen.“

Das Kind besucht in Himberg die Volksschule. Wenn es weiter hinten sitzt, sieht es nicht, was auf der Tafel steht. Aber es meldet sich, sagt, ich seh‘ das nicht, und wird von der Lehrerin in die erste Reihe gesetzt. Nach der Hauptschule möchte die Mutter, dass die Tochter eine Lehre in einer Schneiderei macht. „Aber wie soll das gehen? Eine Schneiderin muss gut sehen können.“ Ja, die Mutter habe gewusst, dass sie schlecht sieht, sie habe ihre Mutter ja auch immer in die augenärztliche Ordination begleitet. Die Mutter, die gegen Ende ihres Lebens fast blind ist, hat ebenfalls Retinitis Pigmentosa, so auch die Tochter von Renate Pregler. Deren Bruder ist von dieser erblich bedingten Augenerkrankung nicht betroffen.

Da Renate nach der Hauptschule keinen Lehrplatz findet, sucht sie sich eine Arbeit, zunächst in einer Schokoladen-, dann in einer Spielkartenfabrik, schließlich in einem Supermarkt. Nach der Geburt ihrer Tochter bleibt Renate Pregler zunächst daheim. Später arbeitet sie noch einmal für kurze Zeit in einer Brotfabrik, dann auch noch geringfügig in der Gemeinde. Aber die Jahre reichen nicht aus, Renate Pregler erhält keine Pension. Ihr Mann, den sie beim Kegeln in Himberg kennengelernt hat, ist bei der Gemeinde beschäftigt. Die kleine Familie wohnt mit der Mutter in Renates Elternhaus. Als die Mutter an Krebs erkrankt, pflegt die Tochter sie drei Jahre lang bis zu deren Tod. Es sei sehr hart gewesen, mitzuerleben, wie die Mutter immer weniger geworden sei. In dieser Zeit wird ihr auch schmerzlich bewusst, dass ihr Sehvermögen weiter nachgelassen hat. 

Neben der häuslichen Pflege der Mutter muss sie auch Formulare und Anträge ausfüllen, aber jetzt muss ihr Mann dabei helfen, denn sie kann diese Unterlagen nicht mehr lesen. Auch schreiben geht nicht mehr. 2007 stirbt die Mutter. „Dann haben wir zu renovieren begonnen. Neue Fenster, neue Türen, neues Dach, das hat alles sein müssen.“ Wie auch bei anderen Arbeiten am Haus und im Garten, legen Renate Pregler und ihr Mann immer wieder selbst Hand an. „Wir hatten draußen einen Wacholder, ich habe mir einen elektrischen Fuchsschwanz gekauft, habe mich daruntergelegt und die Äste abgeschnitten. Auch mit der Bohrmaschine konnte ich schon früh umgehen. Und mein Mann und ich haben bei uns eine Mauer aufgestellt, da bin ich den ganzen Tag an der Mischmaschine gestanden.“


Das Paar ist viel unterwegs. Die Anbindung ans öffentliche Verkehrsnetz sei gut, sagt Renate Pregler, auch wenn sie knapp zwanzig Minuten zur nächsten Busstation gehen müsse. „Wir fahren öfters nach Wien und wir nehmen an den Ausflügen vom Blinden- und Sehbehindertenverband teil.“ So zum Beispiel bei einer Unternehmung der Selbsthilfegruppe Eisenstadt. „Da sind wir in Mörbisch in ein Ausflugsschiff gestiegen, dann sind wir mit der Kutsche zu einem Heurigen gefahren und schließlich ist es wieder mit dem Schiff zurückgegangen. Das macht mir wirklich viel Freude.“ Sie sei auch bei der Selbsthilfegruppe in Niederösterreich, in Bruck an der Leitha dabei und meint lachend: „Ich gehe überall hin wo Leute sind.“

Renate Pregler nimmt auch an den Wanderungen teil, die der BSVWNB gemeinsam mit dem Gebirgsverein durchführt. Sie schätzt es, dass jede blinde und sehbehinderte Person eine Begleitperson hat und dass sie auf diese Weise schon in der Au, in einer Klamm und auf der Rax unterwegs sein konnte. Die Frühaufsteherin geht regelmäßig Nordic Walken. Wenn sie von daheim weggeht, muss sie nicht einmal eine Straße überqueren. Sie ist auf einem Rad- und Fußweg zwischen Feldern unterwegs und wenn nicht gerade rücksichtslose Radfahrer:innen unterwegs sind, genießt sie diese morgendlichen Touren sehr.

Die Niederösterreicherin ist nicht nur sportlich aktiv, handwerklich geschickt und gesellig. Sie scheut sich auch nicht, neue Technologien auszuprobieren. Ihr erstes iPhone bekommt sie im Jahr 2018.

„Ich habe echt gekämpft, bis ich mich mit dem iPhone halbwegs vertraut gemacht habe. Da hätte ich das Handy am liebsten in die nächste Ecke geschmissen. Aber ich hab‘ es dann halt auf den Tisch gelegt, eine Pause gemacht und später wieder in die Hand genommen. Inzwischen ist es so, dass andere zu mir kommen und mich fragen, wie dies oder jenes funktioniert.“ 

Heute möchte Renate Pregler ihr iPhone nicht mehr missen. Es ist für sie zu einem wichtigen Hilfsmittel geworden. Da einige Dinge für sie auf einem Tablet leichter funktionieren, möchte sie sich auch noch ein Tablet anschaffen. „Man will ja auch mithalten können, auch wenn man fast nichts mehr sieht.“

Über eine WhatsApp Gruppe erfährt Renate Pregler vom iPhone Stammtisch in Linz. Die Leute treffen sich einmal im Monat, aber dazwischen gibt es auch die Möglichkeit, sich online via Zoom auszutauschen. Bei einem Treffen in Linz probiert die aufgeschlossene Niederösterreicherin eine App aus, mit deren Hilfe sie sich in einer unbekannten Gegend orientieren kann. Bei den Zoom Meetings erfährt sie, wie sie ihr iPhone noch besser nützen und Bankgeschäfte online abwickeln kann. So bleibt sie am Ball, innerlich wie äußerlich beweglich und aktiv.

„Ich geh überall hin wo Leute sind.“

Eine Frau mit warmer Jacke und heller Kappe lacht, während sie den langen Hals eines Kamels direkt neben ihrem Gesicht berührt.
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