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„Solange es geht, mache ich Yoga.“
Interview mit Yoga-Lehrerin und -Schülerin
Frau Wallner, Sie unterrichten Yoga in der Tradition von Sivananda. Das ist eine ganzheitliche Yogarichtung, die von Swami Sivananda, einem indischen Yoga Meister begründet wurde. Worum geht es beim Yoga, können Sie das ganz kurz beschreiben?
Gerda Wallner: Es geht darum, Körperübungen zu machen, um beweglich zu bleiben. Es geht um Atemübungen, um die Verbindung zwischen Geist und Körper besser wahrnehmen zu können und es geht um Spannung und Entspannung.
Sie unterrichten im Louis Braille Haus Yoga für Menschen, die blind oder sehbehindert sind. Wodurch unterscheidet sich dieser Kurs vom Unterricht für sehende Yogaschüler:innen?
Gerda Wallner: Der Unterricht unterscheidet sich kaum. Für blinde und sehbehinderte Teilnehmer:innen beschreibe ich die Bewegungsabläufe nur viel genauer, viel detaillierter. Wenn das nicht reicht, korrigiere ich am Körper, das mache ich aber auch in Gruppen mit sehenden Personen, aber bei sehbehinderten Schüler:innen ist es besonders hilfreich. Deswegen ist es mir wichtig, dass die Gruppen klein sind, dass ich genug Zeit habe, korrigierend einzugreifen, wenn es nötig ist.
Sie bieten diese Yogagruppen seit 17 Jahren im Louis Braille Haus an. Es kommen Männer wie Frauen zu den Kursen, es gibt einige junge Teilnehmer:innen, die meisten sind 50 Jahre oder älter. Kann jeder Yoga machen oder braucht man bestimmte Voraussetzungen?
Gerda Wallner: Eine gewisse Fitness braucht man schon. Wir machen Übungen im Stehen, Sitzen und Liegen. Ich muss mich also selbstständig auf den Boden setzen und wieder aufstehen können. Und ich mache nur Yoga am gesunden Körper. Also nicht mit Personen, die gerade gesundheitliche Probleme wie zum Beispiel einen akuten Bandscheibenvorfall haben. Also wer gesund ist, kann mitmachen und jede Person macht die Übungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Eine Yogaeinheit dauert eineinhalb Stunden. Wie läuft eine Einheit ab?
Man startet im Liegen. Die Teilnehmer:innen liegen auf dem Rücken auf der Matte. Am Anfang gibt es eine Entspannungsphase, dann ein kurzes Mantra, das wir gemeinsam singen. Es folgen Übungen, sogenannte Asanas wie der Fisch, der Hund oder der Schulterstand. Nach jeder Übung nimmt man sich Zeit zu entspannen, den Herzschlag zu beruhigen, den Atem wieder in Fluss zu bringen, erst dann kommt die nächste Übung. Am Ende gibt es die Schlussentspannung. Das ist so ähnlich wie autogenes Training, und dauert ungefähr zehn Minuten. Ich leite das an, man geht den Körper durch und entspannt dabei die einzelnen Körperteile. Danach ist man noch fünf Minuten in der Stille, wo man in dieser aktiven Entspannung bleibt. Man beobachtet dabei den Atem. Dann setzt man sich auf, singt gemeinsam ein Mantra und die Stunde ist aus.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie die Übungen ansagen? Geben Sie uns bitte ein Beispiel für eine Anleitung.
Ich sage zum Beispiel: Stell dich gerade hin, lass die Schultern locker, lass die Arme hängen, bring den Kopf in eine neutrale Stellung. Bei der Kopfhaltung ist oft eine Korrektur notwendig. Da gehe ich von hinten hin, kündige an, dass jetzt meine Hände kommen und dann richte ich den Kopf so aus, dass er neutral ist, dass er nicht zu sehr im Nacken liegt oder zu tief hinunter gebeugt ist. Es ist auch so, dass man sich sprachlich einigen muss. Was ist gemeint, wenn ich sage, Arme heben, Arme zur Seite oder nach oben. Die Teilnehmer:innen müssen lernen, was mit meinen Anweisungen gemeint ist.
Was bringt mir Yoga ganz allgemein? Und was habe ich als blinde oder sehbehinderte Person im Besonderen davon, wenn ich Yoga mache?
Na ja, was bringt Yoga? Yoga ermöglicht es, dass wir in Einklang gehen, dass wir in Balance kommen, dass wir Spannungen abbauen, dass wir uns entspannen können. Wenn wir entspannt sind, sind wir viel handlungsfähiger als wenn wir angespannt, gestresst oder nervös sind. Man hat mehr Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten. Ich unterrichte Yoga, weil ich es selber als unglaublich bereichernd erlebe, weil es eine Lebenshaltung ist. Das gebe ich gern weiter. Und zwar in einer Art und Weise, die mir entspricht. Das schätzen auch die Teilnehmer:innen sehr.
Dass Yoga nicht nur auf der Matte geübt wird, sondern auch in den Alltag hineinwirkt, erleben die Teilnehmer:innen immer wieder. So auch Renate Pregler, die seit acht Jahren dabei ist. Wie, Frau Pregler, erleben Sie die Yogastunden?
Renate Pregler: Ich komme oft mit Rückenschmerzen her und bin bei den ersten Übungen noch ein bissl steif, aber das legt sich bald. Am Ende der Einheit fühlt es sich an, als ob die Beine, die Füße, der ganze Körper viel leichter wären. Auch das Anspannen und Entspannen und die richtige Atmung tun mir sehr gut, das ist richtig toll. Diese Atemtechnik hab ich schon öfters brauchen können, zum Beispiel wenn es beim Zahnarzt sehr weh getan hat. Dann atme ich ganz bewusst, man fokussiert sich, man beamt sich fast weg. Der Schmerz ist nicht weg, aber er ist leichter auszuhalten. Da habe ich mir von Yoga schon einiges abgeschaut. Gerda, unsere Yogalehrerin, sagt uns ja in den Stunden auch immer wieder, dass wir gerade sitzen und den Bauch anspannen sollen. Auch das kann man im Alltag immer wieder anwenden und Rückenschmerzen vorbeugen. Ich gehe sicher solange zu den Yogastunden, solange ich kann, bis ich nimmer mehr kann. (Lacht) Ich kann es schwer erklären, aber Yoga gehört zu meinem Leben.
Sie sind am rechten Auge fast blind und haben links ungefähr acht bis zehn Prozent Sehvermögen. Sie sehen also nicht, wie die Übungen gemacht werden, sondern achten auf die Anleitungen.
Renate Pregler: Das geht sehr gut, Gerda sagt ja jede Übung genau an und sie schaut ganz genau, wie wir es machen. Sie geht auch immer durch und sagt zum Beispiel zu mir, dass ich den Arm so und so drehen soll und dann bringt sie meinen Arm in die entsprechende Position. So spüre ich genau, wie ich die Übung machen soll. Das ist schon ganz einmalig, also unsere Yogalehrerin ist einmalig.
Sie machen ja nicht nur Yoga, Sie gehen Wandern, benutzen zuhause ein Rudergerät oder gehen regelmäßig Nordic Walken. Was motiviert Sie, auch noch Yoga zu machen? Und zwar über das hinaus, was Sie bereits genannt haben?
Renate Pregler: Wir haben hier eine sehr gute Gemeinschaft. Wenn wir herkommen, ich bin oft schon ein bissl früher da, dann tratschen wir, dann tauschen wir uns aus und geben uns Tipps. Also ich hab zum Beispiel einer Kollegin eine App gezeigt, die mir Sachen vorliest. Wenn ich beim Backen wissen will, ob das Mehl glatt oder griffig ist, lasse ich mir das vorlesen. So tauschen wir uns aus.
Anders als Renate Pregler, kommen Sie, Paula Achmed, erst seit letztem September zum Yoga ins Louis Braille Haus. Das war für Sie, Frau Achmed, ein Schritt mit großen Folgen.
Paula Achmed: Ich bin schon 25 Jahre blind, und habe sehr zurückgezogen gelebt. Im letzten Sommer habe ich entschieden, mich im BSVWNB anzumelden. Ich wollte schon immer einen Yogakurs machen, wollte aber nicht als einzige Blinde unter Sehenden sein. Wie ich von diesem Kurs erfahren habe, bin ich gleich gekommen.
Wie war Ihr Einstieg in die Yogagruppe?
Paula Achmed: Der Anfang war ein bissl schwierig für mich. Ich muss dazu sagen, dass ich damals nicht alleine mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren konnte. Ich musste immer ein Taxi nehmen, um zum Kurs zu kommen und wieder nachhause zu fahren. Das kostet natürlich viel Geld. So habe ich mich entschieden, ein Mobilitätstraining zu machen, damit ich zum Yogakurs kommen kann. (lacht) Ich bin also über’s Yoga zum Mobilitätstraining gekommen und beides macht mir unglaublich viel Spaß. Inzwischen kann ich schon gut alleine hin- und herfahren, aber in der ersten Zeit hatte ich schon Angst, fast Panik, wenn ich alleine unterwegs war. Aber die Yogastunden haben mir sehr geholfen.
Yoga hat Sie motiviert, mobiler zu werden. In welcher Hinsicht hat Ihnen Yoga noch geholfen?
Paula Achmed: Ich bewege mich sehr gern, das kann ich nicht überall. Ich habe es in einem Fitnessstudio versucht, aber das hat für mich nicht funktioniert. Hier kann ich es. Auch im Umgang mit anderen hat mir der Kurs geholfen. Wenn man sich 25 Jahre zurückgezogen hat, hat man am Anfang ein bissl Probleme, mit anderen Leuten zu reden, es fällt einem schwer. Yoga hat mir diese Scheu genommen. Wir sind in einer Gruppe, die Leute reden miteinander. Wir reden auch mit den Leuten von der Gruppe, die nach uns stattfindet. Wir tauschen uns aus und unterstützen uns mit nützlichen Tipps. All das hat Yoga für mich gebracht.
Was hat Sie veranlasst, nach 25 Jahren Ihren geschützten Raum zu verlassen und hinauszugehen und etwas ganz Neues zu wagen?
Paula Achmed: Ich wollte nicht mehr so leben wie bisher. Sie müssen sich das so vorstellen, da ist ein Zimmer und aus diesem Zimmer können Sie nicht raus, und das 25 Jahre lang. Also ich bin in meiner Gegend schon unterwegs gewesen, aber nur in einem ganz kleinen Umkreis. Ich bin mir vorgekommen wie ein Hamster in seinem Rad. Irgendwann habe ich mir gesagt, so will ich nicht weiterleben. Ich bin noch nicht so alt, ich möchte mich noch nicht hinlegen und sagen, ich will sterben, ich gebe auf. Das möchte ich nicht. Und es hat sich ausgezahlt. (Lacht) Die Dinge, die sich bei mir verändern, kommen schrittweise, kommen von alleine. Das finde ich sehr schön. Ich kann nur jedem empfehlen, Yoga zu machen. (Lacht) Ich persönlich mache am liebsten Yoga in der Gruppe. Ich habe zwar eine Matte zuhause und übe auch daheim, aber am schönsten ist es für mich in der Gruppe. Manchmal ist es lustig, weil wir gerade eine arge Stellung machen oder wir jammern alle, weil die Übung so anstrengend ist. Man stärkt sich gegenseitig. Man tankt Energie, hält sich frisch, Yoga in der Gruppe ist einfach fantastisch. Und es ist sehr schön, dass der Blinden- und Sehbehindertenverband dies anbietet.
Danke für das Gespräch.
Die Yogakurse im Louis Braille Haus finden montags im Anton Mayer Saal statt. Beginn ist jeweils um 12:15 Uhr, um 14:30 Uhr und um 16:30 Uhr. Eine Einheit dauert eineinhalb Stunden. Eine Schnupperstunde ist jederzeit möglich.
Nähere Informationen sind bei Kursleiterin Gerda Wallner MA, 0664/143 51 42 erhältlich.
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